lieber Fürst, die herzlichsten Grüße sende, verbleibe ich mit Ihnen bekannten Gesinnungen jederzeit Berg, den 18. Juni 1876
Ihr aufrichtiger Freund Ludwig.
Kissingen, 5. Juli 1876.
... Leider läßt mir die Politik nicht ganz die Ruhe, deren man im Bade bedarf: es ist dabei mehr die allgemeine Unruhe und Ungeduld als eine wirkliche Gefährdung des Friedens, für Deutschland wenigstens, wodurch die unfruchtbaren Arbeiten der Diplomaten veranlaßt werden. Unfruchtbar sind sie nothwendig, so lange der Kampf innerhalb der türkischen Grenzen zu keiner Ent¬ scheidung gediehen sein wird. Wie die letztre auch ausfallen möge, so wird die Verständigung zwischen Rußland und England bei gegenseitiger Aufrichtigkeit immer möglich sein, da -- und so lange -- Rußland nicht nach dem Besitze von Constantinopel strebt. Sehr viel schwieriger wird auf die Dauer die Vermittlung zwischen den östreichisch-ungarischen und den russischen Interessen sein; bis¬ her aber sind beide Kaiserhöfe noch einig, und ich bin überzeugt, Eurer Majestät Allerhöchste Billigung zu finden, wenn ich die Er¬ haltung dieser Einigkeit als eine Hauptaufgabe deutscher Diplomatie ansehe. Es würde eine große Verlegenheit für Deutschland sein, zwischen diesen beiden so eng befreundeten Nachbarn optiren zu sollen; denn ich zweifle nicht daran, im Sinne Eurer Majestät und aller deutscher Fürsten zu handeln, wenn ich in unsrer Politik den Grundsatz vertrete, daß Deutschland nur zur Wahrung zweifelloser deutscher Interessen sich an einem Kriege freiwillig betheiligen sollte. Die türkische Frage, so lange sie sich innerhalb der türkischen Grenzen entwickelt, berührt meines unterthänigsten Dafürhaltens keine kriegs¬ würdigen deutschen Interessen; auch ein Kampf zwischen Rußland und einer der Westmächte oder beiden kann sich entwickeln, ohne
Briefwechſel mit Ludwig von Baiern.
lieber Fürſt, die herzlichſten Grüße ſende, verbleibe ich mit Ihnen bekannten Geſinnungen jederzeit Berg, den 18. Juni 1876
Ihr aufrichtiger Freund Ludwig.
Kiſſingen, 5. Juli 1876.
... Leider läßt mir die Politik nicht ganz die Ruhe, deren man im Bade bedarf: es iſt dabei mehr die allgemeine Unruhe und Ungeduld als eine wirkliche Gefährdung des Friedens, für Deutſchland wenigſtens, wodurch die unfruchtbaren Arbeiten der Diplomaten veranlaßt werden. Unfruchtbar ſind ſie nothwendig, ſo lange der Kampf innerhalb der türkiſchen Grenzen zu keiner Ent¬ ſcheidung gediehen ſein wird. Wie die letztre auch ausfallen möge, ſo wird die Verſtändigung zwiſchen Rußland und England bei gegenſeitiger Aufrichtigkeit immer möglich ſein, da — und ſo lange — Rußland nicht nach dem Beſitze von Conſtantinopel ſtrebt. Sehr viel ſchwieriger wird auf die Dauer die Vermittlung zwiſchen den öſtreichiſch-ungariſchen und den ruſſiſchen Intereſſen ſein; bis¬ her aber ſind beide Kaiſerhöfe noch einig, und ich bin überzeugt, Eurer Majeſtät Allerhöchſte Billigung zu finden, wenn ich die Er¬ haltung dieſer Einigkeit als eine Hauptaufgabe deutſcher Diplomatie anſehe. Es würde eine große Verlegenheit für Deutſchland ſein, zwiſchen dieſen beiden ſo eng befreundeten Nachbarn optiren zu ſollen; denn ich zweifle nicht daran, im Sinne Eurer Majeſtät und aller deutſcher Fürſten zu handeln, wenn ich in unſrer Politik den Grundſatz vertrete, daß Deutſchland nur zur Wahrung zweifelloſer deutſcher Intereſſen ſich an einem Kriege freiwillig betheiligen ſollte. Die türkiſche Frage, ſo lange ſie ſich innerhalb der türkiſchen Grenzen entwickelt, berührt meines unterthänigſten Dafürhaltens keine kriegs¬ würdigen deutſchen Intereſſen; auch ein Kampf zwiſchen Rußland und einer der Weſtmächte oder beiden kann ſich entwickeln, ohne
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Briefwechſel mit Ludwig von Baiern.
lieber Fürſt, die herzlichſten Grüße ſende, verbleibe ich mit Ihnen
bekannten Geſinnungen jederzeit
Berg, den 18. Juni 1876
Ihr
aufrichtiger Freund
Ludwig.
Kiſſingen, 5. Juli 1876.
... Leider läßt mir die Politik nicht ganz die Ruhe, deren
man im Bade bedarf: es iſt dabei mehr die allgemeine Unruhe
und Ungeduld als eine wirkliche Gefährdung des Friedens, für
Deutſchland wenigſtens, wodurch die unfruchtbaren Arbeiten der
Diplomaten veranlaßt werden. Unfruchtbar ſind ſie nothwendig,
ſo lange der Kampf innerhalb der türkiſchen Grenzen zu keiner Ent¬
ſcheidung gediehen ſein wird. Wie die letztre auch ausfallen möge,
ſo wird die Verſtändigung zwiſchen Rußland und England bei
gegenſeitiger Aufrichtigkeit immer möglich ſein, da — und ſo
lange — Rußland nicht nach dem Beſitze von Conſtantinopel ſtrebt.
Sehr viel ſchwieriger wird auf die Dauer die Vermittlung zwiſchen
den öſtreichiſch-ungariſchen und den ruſſiſchen Intereſſen ſein; bis¬
her aber ſind beide Kaiſerhöfe noch einig, und ich bin überzeugt,
Eurer Majeſtät Allerhöchſte Billigung zu finden, wenn ich die Er¬
haltung dieſer Einigkeit als eine Hauptaufgabe deutſcher Diplomatie
anſehe. Es würde eine große Verlegenheit für Deutſchland ſein,
zwiſchen dieſen beiden ſo eng befreundeten Nachbarn optiren zu
ſollen; denn ich zweifle nicht daran, im Sinne Eurer Majeſtät und
aller deutſcher Fürſten zu handeln, wenn ich in unſrer Politik den
Grundſatz vertrete, daß Deutſchland nur zur Wahrung zweifelloſer
deutſcher Intereſſen ſich an einem Kriege freiwillig betheiligen ſollte.
Die türkiſche Frage, ſo lange ſie ſich innerhalb der türkiſchen Grenzen
entwickelt, berührt meines unterthänigſten Dafürhaltens keine kriegs¬
würdigen deutſchen Intereſſen; auch ein Kampf zwiſchen Rußland
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/386>, abgerufen am 24.11.2024.
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