Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Graf Rechbergs Stellung erschüttert durch die Zollverhandlung. abdingen können, und weil die politische Seite der Frage imVordergrunde stand. Die Zolleinigung hielt ich für eine un¬ ausführbare Utopie wegen der Verschiedenheit der wirthschaftlichen und administrativen Zustände beider Theile. Die Gegenstände, die im Norden des Zollvereins die finanzielle Unterlage bildeten, gelangen in dem größern Theile des östreichisch-ungarischen Gebietes garnicht zum Verbrauch. Die Schwierigkeiten, welche die Verschieden¬ heiten der Lebensgewohnheiten und der Consumtion zwischen Nord- und Süddeutschland schon innerhalb des Zollvereins bedingten, mußten unüberwindlich werden, wenn beide Regionen mit den östlichen Ländern Oestreich-Ungarns von derselben Zollgrenze umschlossen werden sollten. Ein gerechter, der bestehenden Consumtion zoll¬ pflichtiger Waaren entsprechender Maßstab der Vertheilung würde sich nicht vereinbaren lassen; jeder Maßstab würde entweder un¬ gerecht für den Zollverein oder unannehmbar für die öffentliche Meinung in Oestreich-Ungarn sein. Der bedürfnißlose Slowake und Galizier einerseits, der Rheinländer und der Niedersachse andrerseits sind für die Besteuerung nicht commensurabel. Außer¬ dem fehlte mir der Glaube an die Zuverlässigkeit des Dienstes auf einem großen Theile der östreichischen Grenzen. Von der Unmöglichkeit der Zolleinigung überzeugt, hatte ich Graf Rechbergs Stellung erſchüttert durch die Zollverhandlung. abdingen können, und weil die politiſche Seite der Frage imVordergrunde ſtand. Die Zolleinigung hielt ich für eine un¬ ausführbare Utopie wegen der Verſchiedenheit der wirthſchaftlichen und adminiſtrativen Zuſtände beider Theile. Die Gegenſtände, die im Norden des Zollvereins die finanzielle Unterlage bildeten, gelangen in dem größern Theile des öſtreichiſch-ungariſchen Gebietes garnicht zum Verbrauch. Die Schwierigkeiten, welche die Verſchieden¬ heiten der Lebensgewohnheiten und der Conſumtion zwiſchen Nord- und Süddeutſchland ſchon innerhalb des Zollvereins bedingten, mußten unüberwindlich werden, wenn beide Regionen mit den öſtlichen Ländern Oeſtreich-Ungarns von derſelben Zollgrenze umſchloſſen werden ſollten. Ein gerechter, der beſtehenden Conſumtion zoll¬ pflichtiger Waaren entſprechender Maßſtab der Vertheilung würde ſich nicht vereinbaren laſſen; jeder Maßſtab würde entweder un¬ gerecht für den Zollverein oder unannehmbar für die öffentliche Meinung in Oeſtreich-Ungarn ſein. Der bedürfnißloſe Slowake und Galizier einerſeits, der Rheinländer und der Niederſachſe andrerſeits ſind für die Beſteuerung nicht commenſurabel. Außer¬ dem fehlte mir der Glaube an die Zuverläſſigkeit des Dienſtes auf einem großen Theile der öſtreichiſchen Grenzen. Von der Unmöglichkeit der Zolleinigung überzeugt, hatte ich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0374" n="347"/><fw place="top" type="header">Graf Rechbergs Stellung erſchüttert durch die Zollverhandlung.<lb/></fw> abdingen können, und weil die politiſche Seite der Frage im<lb/> Vordergrunde ſtand. Die Zolleinigung hielt ich für eine un¬<lb/> ausführbare Utopie wegen der Verſchiedenheit der wirthſchaftlichen<lb/> und adminiſtrativen Zuſtände beider Theile. Die Gegenſtände,<lb/> die im Norden des Zollvereins die finanzielle Unterlage bildeten,<lb/> gelangen in dem größern Theile des öſtreichiſch-ungariſchen Gebietes<lb/> garnicht zum Verbrauch. Die Schwierigkeiten, welche die Verſchieden¬<lb/> heiten der Lebensgewohnheiten und der Conſumtion zwiſchen Nord-<lb/> und Süddeutſchland ſchon innerhalb des Zollvereins bedingten, mußten<lb/> unüberwindlich werden, wenn beide Regionen mit den öſtlichen<lb/> Ländern Oeſtreich-Ungarns von derſelben Zollgrenze umſchloſſen<lb/> werden ſollten. Ein gerechter, der beſtehenden Conſumtion zoll¬<lb/> pflichtiger Waaren entſprechender Maßſtab der Vertheilung würde<lb/> ſich nicht vereinbaren laſſen; jeder Maßſtab würde entweder un¬<lb/> gerecht für den Zollverein oder unannehmbar für die öffentliche<lb/> Meinung in Oeſtreich-Ungarn ſein. Der bedürfnißloſe Slowake<lb/> und Galizier einerſeits, der Rheinländer und der Niederſachſe<lb/> andrerſeits ſind für die Beſteuerung nicht commenſurabel. Außer¬<lb/> dem fehlte mir der Glaube an die Zuverläſſigkeit des Dienſtes auf<lb/> einem großen Theile der öſtreichiſchen Grenzen.</p><lb/> <p>Von der Unmöglichkeit der Zolleinigung überzeugt, hatte ich<lb/> kein Bedenken, dem Grafen Rechberg den gewünſchten Dienſt zu er¬<lb/> weiſen, um ihn im Amte zu erhalten. Ich glaubte bei meiner Ab¬<lb/> reiſe nach Biarritz (5. October) ſicher zu ſein, daß der König an<lb/> meinem Votum feſthalten werde; und mir ſind noch heut die Motive<lb/> nicht klar, welche meine Collegen, den Finanzminiſter Karl von<lb/> Bodelſchwingh und den Handelsminiſter Grafen Itzenplitz, und ihren<lb/> freihändleriſchen <hi rendition="#aq">spiritus rector</hi> Delbrück beſtimmt haben, während<lb/> meiner Abweſenheit den König auf einem ihm ziemlich fremden<lb/> Gebiete mit ſo viel Entſchiedenheit zu bearbeiten, daß durch unſre<lb/> Ablehnung die Stellung Rechbergs, wie er es vorhergeſagt hatte,<lb/> erſchüttert und er in dem auswärtigen Miniſterium durch Mens¬<lb/> dorff erſetzt wurde, der zunächſt der Candidat Schmerlings war,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [347/0374]
Graf Rechbergs Stellung erſchüttert durch die Zollverhandlung.
abdingen können, und weil die politiſche Seite der Frage im
Vordergrunde ſtand. Die Zolleinigung hielt ich für eine un¬
ausführbare Utopie wegen der Verſchiedenheit der wirthſchaftlichen
und adminiſtrativen Zuſtände beider Theile. Die Gegenſtände,
die im Norden des Zollvereins die finanzielle Unterlage bildeten,
gelangen in dem größern Theile des öſtreichiſch-ungariſchen Gebietes
garnicht zum Verbrauch. Die Schwierigkeiten, welche die Verſchieden¬
heiten der Lebensgewohnheiten und der Conſumtion zwiſchen Nord-
und Süddeutſchland ſchon innerhalb des Zollvereins bedingten, mußten
unüberwindlich werden, wenn beide Regionen mit den öſtlichen
Ländern Oeſtreich-Ungarns von derſelben Zollgrenze umſchloſſen
werden ſollten. Ein gerechter, der beſtehenden Conſumtion zoll¬
pflichtiger Waaren entſprechender Maßſtab der Vertheilung würde
ſich nicht vereinbaren laſſen; jeder Maßſtab würde entweder un¬
gerecht für den Zollverein oder unannehmbar für die öffentliche
Meinung in Oeſtreich-Ungarn ſein. Der bedürfnißloſe Slowake
und Galizier einerſeits, der Rheinländer und der Niederſachſe
andrerſeits ſind für die Beſteuerung nicht commenſurabel. Außer¬
dem fehlte mir der Glaube an die Zuverläſſigkeit des Dienſtes auf
einem großen Theile der öſtreichiſchen Grenzen.
Von der Unmöglichkeit der Zolleinigung überzeugt, hatte ich
kein Bedenken, dem Grafen Rechberg den gewünſchten Dienſt zu er¬
weiſen, um ihn im Amte zu erhalten. Ich glaubte bei meiner Ab¬
reiſe nach Biarritz (5. October) ſicher zu ſein, daß der König an
meinem Votum feſthalten werde; und mir ſind noch heut die Motive
nicht klar, welche meine Collegen, den Finanzminiſter Karl von
Bodelſchwingh und den Handelsminiſter Grafen Itzenplitz, und ihren
freihändleriſchen spiritus rector Delbrück beſtimmt haben, während
meiner Abweſenheit den König auf einem ihm ziemlich fremden
Gebiete mit ſo viel Entſchiedenheit zu bearbeiten, daß durch unſre
Ablehnung die Stellung Rechbergs, wie er es vorhergeſagt hatte,
erſchüttert und er in dem auswärtigen Miniſterium durch Mens¬
dorff erſetzt wurde, der zunächſt der Candidat Schmerlings war,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |