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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Siebzehntes Kapitel: Der Frankfurter Fürstentag.
bad trafen, drang in mich, nach Frankfurt zu gehn. Ich erwiderte:
"Wenn der König sich nicht anders entschließt, so werde ich hingehn
und dort seine Geschäfte machen, aber nicht als Minister nach
Berlin zurückkehren." Die Königin schien über diese Aussicht
beunruhigt und hörte auf, meine Auffassung beim Könige zu be¬
kämpfen.

Wenn ich meinen Widerstand gegen das Streben des Königs
nach Frankfurt aufgegeben und ihn seinem Wunsche gemäß dorthin
begleitet hätte, um in dem Fürstencongreß die preußisch-östreichische
Rivalität in eine gemeinsame Bekämpfung der Revolution und des
Constitutionalismus zu verwandeln, so wäre Preußen äußerlich ge¬
blieben, was es vorher war, hätte freilich unter dem östreichischen
Präsidium durch bundestägliche Beschlüsse die Möglichkeit gehabt,
seine Verfassung in analoger Weise revidiren zu lassen, wie das
mit der hanöverschen, der hessischen und der mecklenburgischen und
in Lippe, Hamburg, Luxemburg geschehn war, damit aber den
nationaldeutschen Weg geschlossen.

Es wurde mir nicht leicht, den König zum Fernbleiben von
Frankfurt zu bestimmen. Ich bemühte mich darum auf der Fahrt
von Wildbad nach Baden, wo wir im offnen kleinen Wagen,
wegen der Leute vor uns auf dem Bock, die deutsche Frage fran¬
zösisch verhandelten. Ich glaubte den Herrn überzeugt zu haben,
als wir in Baden anlangten. Dort aber fanden wir den König
von Sachsen, der im Auftrage aller Fürsten die Einladung nach
Frankfurt erneuerte (19. August). Diesem Schachzug zu wider¬
stehn, wurde meinem Herrn nicht leicht. Er wiederholte mehr¬
mals die Erwägung: "30 regirende Herrn und ein König als
Courier!" und er liebte und verehrte den König von Sachsen,
der unter den Fürsten für diese Mission auch persönlich der Be¬
rufenste war. Erst um Mitternacht gelang es mir, die Unterschrift
des Königs zu erhalten für die Absage an den König von Sachsen.
Als ich den Herrn verließ, waren wir beide in Folge der nervösen
Spannung der Situation krankhaft erschöpft, und meine sofortige

Siebzehntes Kapitel: Der Frankfurter Fürſtentag.
bad trafen, drang in mich, nach Frankfurt zu gehn. Ich erwiderte:
„Wenn der König ſich nicht anders entſchließt, ſo werde ich hingehn
und dort ſeine Geſchäfte machen, aber nicht als Miniſter nach
Berlin zurückkehren.“ Die Königin ſchien über dieſe Ausſicht
beunruhigt und hörte auf, meine Auffaſſung beim Könige zu be¬
kämpfen.

Wenn ich meinen Widerſtand gegen das Streben des Königs
nach Frankfurt aufgegeben und ihn ſeinem Wunſche gemäß dorthin
begleitet hätte, um in dem Fürſtencongreß die preußiſch-öſtreichiſche
Rivalität in eine gemeinſame Bekämpfung der Revolution und des
Conſtitutionalismus zu verwandeln, ſo wäre Preußen äußerlich ge¬
blieben, was es vorher war, hätte freilich unter dem öſtreichiſchen
Präſidium durch bundeſtägliche Beſchlüſſe die Möglichkeit gehabt,
ſeine Verfaſſung in analoger Weiſe revidiren zu laſſen, wie das
mit der hanöverſchen, der heſſiſchen und der mecklenburgiſchen und
in Lippe, Hamburg, Luxemburg geſchehn war, damit aber den
nationaldeutſchen Weg geſchloſſen.

Es wurde mir nicht leicht, den König zum Fernbleiben von
Frankfurt zu beſtimmen. Ich bemühte mich darum auf der Fahrt
von Wildbad nach Baden, wo wir im offnen kleinen Wagen,
wegen der Leute vor uns auf dem Bock, die deutſche Frage fran¬
zöſiſch verhandelten. Ich glaubte den Herrn überzeugt zu haben,
als wir in Baden anlangten. Dort aber fanden wir den König
von Sachſen, der im Auftrage aller Fürſten die Einladung nach
Frankfurt erneuerte (19. Auguſt). Dieſem Schachzug zu wider¬
ſtehn, wurde meinem Herrn nicht leicht. Er wiederholte mehr¬
mals die Erwägung: „30 regirende Herrn und ein König als
Courier!“ und er liebte und verehrte den König von Sachſen,
der unter den Fürſten für dieſe Miſſion auch perſönlich der Be¬
rufenſte war. Erſt um Mitternacht gelang es mir, die Unterſchrift
des Königs zu erhalten für die Abſage an den König von Sachſen.
Als ich den Herrn verließ, waren wir beide in Folge der nervöſen
Spannung der Situation krankhaft erſchöpft, und meine ſofortige

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[340/0367] Siebzehntes Kapitel: Der Frankfurter Fürſtentag. bad trafen, drang in mich, nach Frankfurt zu gehn. Ich erwiderte: „Wenn der König ſich nicht anders entſchließt, ſo werde ich hingehn und dort ſeine Geſchäfte machen, aber nicht als Miniſter nach Berlin zurückkehren.“ Die Königin ſchien über dieſe Ausſicht beunruhigt und hörte auf, meine Auffaſſung beim Könige zu be¬ kämpfen. Wenn ich meinen Widerſtand gegen das Streben des Königs nach Frankfurt aufgegeben und ihn ſeinem Wunſche gemäß dorthin begleitet hätte, um in dem Fürſtencongreß die preußiſch-öſtreichiſche Rivalität in eine gemeinſame Bekämpfung der Revolution und des Conſtitutionalismus zu verwandeln, ſo wäre Preußen äußerlich ge¬ blieben, was es vorher war, hätte freilich unter dem öſtreichiſchen Präſidium durch bundeſtägliche Beſchlüſſe die Möglichkeit gehabt, ſeine Verfaſſung in analoger Weiſe revidiren zu laſſen, wie das mit der hanöverſchen, der heſſiſchen und der mecklenburgiſchen und in Lippe, Hamburg, Luxemburg geſchehn war, damit aber den nationaldeutſchen Weg geſchloſſen. Es wurde mir nicht leicht, den König zum Fernbleiben von Frankfurt zu beſtimmen. Ich bemühte mich darum auf der Fahrt von Wildbad nach Baden, wo wir im offnen kleinen Wagen, wegen der Leute vor uns auf dem Bock, die deutſche Frage fran¬ zöſiſch verhandelten. Ich glaubte den Herrn überzeugt zu haben, als wir in Baden anlangten. Dort aber fanden wir den König von Sachſen, der im Auftrage aller Fürſten die Einladung nach Frankfurt erneuerte (19. Auguſt). Dieſem Schachzug zu wider¬ ſtehn, wurde meinem Herrn nicht leicht. Er wiederholte mehr¬ mals die Erwägung: „30 regirende Herrn und ein König als Courier!“ und er liebte und verehrte den König von Sachſen, der unter den Fürſten für dieſe Miſſion auch perſönlich der Be¬ rufenſte war. Erſt um Mitternacht gelang es mir, die Unterſchrift des Königs zu erhalten für die Abſage an den König von Sachſen. Als ich den Herrn verließ, waren wir beide in Folge der nervöſen Spannung der Situation krankhaft erſchöpft, und meine ſofortige

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/367>, abgerufen am 17.09.2024.