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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Napoleon III. und die Polen. Die polnische Frage für Preußen.
nicht vermöge einer allzu bindenden Form gezwungen wird, ihre
strenge Ausführung zu überwachen. Ich fürchte nur bei der bis¬
herigen Behandlung der Sache, daß uns die Russen das Verdienst
der Beilegung nehmen, indem sie ohne uns das thun, wozu wir (?)
ihnen zureden wollten (?). Die Reise des Großfürsten, der offen¬
bar nicht abberufen ist, ist mir in dieser Beziehung verdächtig.
Wie, wenn der Kaiser Alexander jetzt eine Constitution verkündigte
und dem Kaiser Napoleon davon mittelst autographen verbindlichen
Schreibens Anzeige machte? Es wäre dies immer noch besser als
die Fortdauer der Differenz, aber ungünstiger für uns, als wenn
wir vorher dem Kaiser Napoleon gesagt hätten: ,Wir sind bereit
dazu zu rathen; würdest Du damit zufrieden sein?'"

Dieser, schon 14 Tage vorher von dem General Fleury einem
Mitgliede der preußischen Gesandschaft gradezu gemachten Insinua¬
tion, dem Kaiser Alexander zu dem bezeichneten Schritte zu rathen,
haben wir keine Folge gegeben, und der diplomatische Feldzug der
drei Mächte ist im Sande verlaufen. Der ganze Plan des Grafen
Goltz schien mir weder politisch richtig noch würdig, mehr im Pariser
Sinne als in unserm gedacht.

Oestreich hat der polnischen Frage gegenüber nicht die Schwie¬
rigkeiten, die für uns in der gegenseitigen Durchsetzung polni¬
scher und deutscher Ansprüche in Polen und Westpreußen und in
der Lage Ostpreußens mit der Frage einer Wiederherstellung pol¬
nischer Unabhängigkeit unlösbar verbunden sind. Unsre geo¬
graphische Lage und die Mischung beider Nationalitäten in den
Ostprovinzen einschließlich Schlesiens, nöthigen uns, die Eröffnung
der polnischen Frage nach Möglichkeit hintanzuhalten, und ließen es
auch 1863 rathsam erscheinen, die Eröffnung dieser Frage durch
Rußland nicht zu fördern, sondern, so viel wir konnten, zu verhüten.
Es hat vor 1863 Zeiten gegeben, da man in Petersburg auf
der Basis der Wielopolskischen Theorien den Großfürsten Con¬
stantin mit seiner schönen Gemalin als Vicekönig von Polen in
Aussicht nahm -- die Großfürstin trug damals polnisches Costüm --,

Napoleon III. und die Polen. Die polniſche Frage für Preußen.
nicht vermöge einer allzu bindenden Form gezwungen wird, ihre
ſtrenge Ausführung zu überwachen. Ich fürchte nur bei der bis¬
herigen Behandlung der Sache, daß uns die Ruſſen das Verdienſt
der Beilegung nehmen, indem ſie ohne uns das thun, wozu wir (?)
ihnen zureden wollten (?). Die Reiſe des Großfürſten, der offen¬
bar nicht abberufen iſt, iſt mir in dieſer Beziehung verdächtig.
Wie, wenn der Kaiſer Alexander jetzt eine Conſtitution verkündigte
und dem Kaiſer Napoleon davon mittelſt autographen verbindlichen
Schreibens Anzeige machte? Es wäre dies immer noch beſſer als
die Fortdauer der Differenz, aber ungünſtiger für uns, als wenn
wir vorher dem Kaiſer Napoleon geſagt hätten: ,Wir ſind bereit
dazu zu rathen; würdeſt Du damit zufrieden ſein?‘“

Dieſer, ſchon 14 Tage vorher von dem General Fleury einem
Mitgliede der preußiſchen Geſandſchaft gradezu gemachten Inſinua¬
tion, dem Kaiſer Alexander zu dem bezeichneten Schritte zu rathen,
haben wir keine Folge gegeben, und der diplomatiſche Feldzug der
drei Mächte iſt im Sande verlaufen. Der ganze Plan des Grafen
Goltz ſchien mir weder politiſch richtig noch würdig, mehr im Pariſer
Sinne als in unſerm gedacht.

Oeſtreich hat der polniſchen Frage gegenüber nicht die Schwie¬
rigkeiten, die für uns in der gegenſeitigen Durchſetzung polni¬
ſcher und deutſcher Anſprüche in Polen und Weſtpreußen und in
der Lage Oſtpreußens mit der Frage einer Wiederherſtellung pol¬
niſcher Unabhängigkeit unlösbar verbunden ſind. Unſre geo¬
graphiſche Lage und die Miſchung beider Nationalitäten in den
Oſtprovinzen einſchließlich Schleſiens, nöthigen uns, die Eröffnung
der polniſchen Frage nach Möglichkeit hintanzuhalten, und ließen es
auch 1863 rathſam erſcheinen, die Eröffnung dieſer Frage durch
Rußland nicht zu fördern, ſondern, ſo viel wir konnten, zu verhüten.
Es hat vor 1863 Zeiten gegeben, da man in Petersburg auf
der Baſis der Wielopolskiſchen Theorien den Großfürſten Con¬
ſtantin mit ſeiner ſchönen Gemalin als Vicekönig von Polen in
Ausſicht nahm — die Großfürſtin trug damals polniſches Coſtüm —,

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[313/0340] Napoleon III. und die Polen. Die polniſche Frage für Preußen. nicht vermöge einer allzu bindenden Form gezwungen wird, ihre ſtrenge Ausführung zu überwachen. Ich fürchte nur bei der bis¬ herigen Behandlung der Sache, daß uns die Ruſſen das Verdienſt der Beilegung nehmen, indem ſie ohne uns das thun, wozu wir (?) ihnen zureden wollten (?). Die Reiſe des Großfürſten, der offen¬ bar nicht abberufen iſt, iſt mir in dieſer Beziehung verdächtig. Wie, wenn der Kaiſer Alexander jetzt eine Conſtitution verkündigte und dem Kaiſer Napoleon davon mittelſt autographen verbindlichen Schreibens Anzeige machte? Es wäre dies immer noch beſſer als die Fortdauer der Differenz, aber ungünſtiger für uns, als wenn wir vorher dem Kaiſer Napoleon geſagt hätten: ,Wir ſind bereit dazu zu rathen; würdeſt Du damit zufrieden ſein?‘“ Dieſer, ſchon 14 Tage vorher von dem General Fleury einem Mitgliede der preußiſchen Geſandſchaft gradezu gemachten Inſinua¬ tion, dem Kaiſer Alexander zu dem bezeichneten Schritte zu rathen, haben wir keine Folge gegeben, und der diplomatiſche Feldzug der drei Mächte iſt im Sande verlaufen. Der ganze Plan des Grafen Goltz ſchien mir weder politiſch richtig noch würdig, mehr im Pariſer Sinne als in unſerm gedacht. Oeſtreich hat der polniſchen Frage gegenüber nicht die Schwie¬ rigkeiten, die für uns in der gegenſeitigen Durchſetzung polni¬ ſcher und deutſcher Anſprüche in Polen und Weſtpreußen und in der Lage Oſtpreußens mit der Frage einer Wiederherſtellung pol¬ niſcher Unabhängigkeit unlösbar verbunden ſind. Unſre geo¬ graphiſche Lage und die Miſchung beider Nationalitäten in den Oſtprovinzen einſchließlich Schleſiens, nöthigen uns, die Eröffnung der polniſchen Frage nach Möglichkeit hintanzuhalten, und ließen es auch 1863 rathſam erſcheinen, die Eröffnung dieſer Frage durch Rußland nicht zu fördern, ſondern, ſo viel wir konnten, zu verhüten. Es hat vor 1863 Zeiten gegeben, da man in Petersburg auf der Baſis der Wielopolskiſchen Theorien den Großfürſten Con¬ ſtantin mit ſeiner ſchönen Gemalin als Vicekönig von Polen in Ausſicht nahm — die Großfürſtin trug damals polniſches Coſtüm —,

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/340>, abgerufen am 20.05.2024.