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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Vierzehntes Kapitel: Conflicts-Ministerium.
innere mich, daß ich schon in Gastein im August 1865 bis zur
Unhöflichkeit darauf bestehn mußte, allein mit Herrn von Mühler
über einen königlichen Befehl zu sprechen, ehe es mir gelang, die
Frau Ministerin zu bewegen, uns allein zu lassen. Das Vorkommen
einer solchen Nöthigung hatte seinerseits Verstimmungen zur Folge,
die sich bei seiner sachkundigen Behandlung der Dinge auf mein
geschäftliches Verhältniß zunächst nicht übertrugen, aber doch die
Ergebnisse unsres persönlichen Verkehrs beeinträchtigten. Frau von
Mühler empfing ihre politische Direction nicht von ihrem Gemale,
sondern von Ihrer Majestät, mit welcher Fühlung zu erhalten sie
vor Allem bestrebt war. Die Hofluft, die Rangfragen, die äußer¬
liche Kundgebung Allerhöchster Intimität haben nicht selten auf
Ministerfrauen einen Einfluß, der sich in der Politik fühlbar macht;
die persönliche, der Staatsraison in der Regel zuwiderlaufende
Politik der Kaiserin Augusta fand in Frau von Mühler eine be¬
reitwillige Dienerin, und Herr von Mühler, wenn auch ein ein¬
sichtiger und ehrlicher Beamter, war doch nicht fest genug in
seinen Ueberzeugungen, um nicht dem Hausfrieden Concessionen
auf Kosten der Staatspolitik zu machen, wenn es in unauffälliger
Weise geschehn konnte.

Der Justizminister Graf zur Lippe hatte vielleicht von seiner
Thätigkeit als Staatsanwalt die Gewohnheit beibehalten, auch das
Schärfste mit lächelnder Miene, mit einem höhnischen Ausdrucke
von Ueberlegenheit zu sagen, und verstimmte dadurch die Parlamente
und die Collegen. Er stand nächst Bodelschwingh am weitesten
rechts unter uns und war in Vertretung seiner Richtung schärfer
als dieser, weil er in seinem Ressort sachkundig genug war, um
seiner persönlichen Ueberzeugung folgen zu können, während Bodel¬
schwingh den Geschäftsgang des Finanzministeriums ohne den wil¬
ligen Beistand seiner sachkundigen Räthe nicht beherrschen konnte,
diese Räthe aber in ihrer politischen Auffassung weiter links standen
als ihr Chef und das ganze Ministerium.

Vierzehntes Kapitel: Conflicts-Miniſterium.
innere mich, daß ich ſchon in Gaſtein im Auguſt 1865 bis zur
Unhöflichkeit darauf beſtehn mußte, allein mit Herrn von Mühler
über einen königlichen Befehl zu ſprechen, ehe es mir gelang, die
Frau Miniſterin zu bewegen, uns allein zu laſſen. Das Vorkommen
einer ſolchen Nöthigung hatte ſeinerſeits Verſtimmungen zur Folge,
die ſich bei ſeiner ſachkundigen Behandlung der Dinge auf mein
geſchäftliches Verhältniß zunächſt nicht übertrugen, aber doch die
Ergebniſſe unſres perſönlichen Verkehrs beeinträchtigten. Frau von
Mühler empfing ihre politiſche Direction nicht von ihrem Gemale,
ſondern von Ihrer Majeſtät, mit welcher Fühlung zu erhalten ſie
vor Allem beſtrebt war. Die Hofluft, die Rangfragen, die äußer¬
liche Kundgebung Allerhöchſter Intimität haben nicht ſelten auf
Miniſterfrauen einen Einfluß, der ſich in der Politik fühlbar macht;
die perſönliche, der Staatsraiſon in der Regel zuwiderlaufende
Politik der Kaiſerin Auguſta fand in Frau von Mühler eine be¬
reitwillige Dienerin, und Herr von Mühler, wenn auch ein ein¬
ſichtiger und ehrlicher Beamter, war doch nicht feſt genug in
ſeinen Ueberzeugungen, um nicht dem Hausfrieden Conceſſionen
auf Koſten der Staatspolitik zu machen, wenn es in unauffälliger
Weiſe geſchehn konnte.

Der Juſtizminiſter Graf zur Lippe hatte vielleicht von ſeiner
Thätigkeit als Staatsanwalt die Gewohnheit beibehalten, auch das
Schärfſte mit lächelnder Miene, mit einem höhniſchen Ausdrucke
von Ueberlegenheit zu ſagen, und verſtimmte dadurch die Parlamente
und die Collegen. Er ſtand nächſt Bodelſchwingh am weiteſten
rechts unter uns und war in Vertretung ſeiner Richtung ſchärfer
als dieſer, weil er in ſeinem Reſſort ſachkundig genug war, um
ſeiner perſönlichen Ueberzeugung folgen zu können, während Bodel¬
ſchwingh den Geſchäftsgang des Finanzminiſteriums ohne den wil¬
ligen Beiſtand ſeiner ſachkundigen Räthe nicht beherrſchen konnte,
dieſe Räthe aber in ihrer politiſchen Auffaſſung weiter links ſtanden
als ihr Chef und das ganze Miniſterium.

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[302/0329] Vierzehntes Kapitel: Conflicts-Miniſterium. innere mich, daß ich ſchon in Gaſtein im Auguſt 1865 bis zur Unhöflichkeit darauf beſtehn mußte, allein mit Herrn von Mühler über einen königlichen Befehl zu ſprechen, ehe es mir gelang, die Frau Miniſterin zu bewegen, uns allein zu laſſen. Das Vorkommen einer ſolchen Nöthigung hatte ſeinerſeits Verſtimmungen zur Folge, die ſich bei ſeiner ſachkundigen Behandlung der Dinge auf mein geſchäftliches Verhältniß zunächſt nicht übertrugen, aber doch die Ergebniſſe unſres perſönlichen Verkehrs beeinträchtigten. Frau von Mühler empfing ihre politiſche Direction nicht von ihrem Gemale, ſondern von Ihrer Majeſtät, mit welcher Fühlung zu erhalten ſie vor Allem beſtrebt war. Die Hofluft, die Rangfragen, die äußer¬ liche Kundgebung Allerhöchſter Intimität haben nicht ſelten auf Miniſterfrauen einen Einfluß, der ſich in der Politik fühlbar macht; die perſönliche, der Staatsraiſon in der Regel zuwiderlaufende Politik der Kaiſerin Auguſta fand in Frau von Mühler eine be¬ reitwillige Dienerin, und Herr von Mühler, wenn auch ein ein¬ ſichtiger und ehrlicher Beamter, war doch nicht feſt genug in ſeinen Ueberzeugungen, um nicht dem Hausfrieden Conceſſionen auf Koſten der Staatspolitik zu machen, wenn es in unauffälliger Weiſe geſchehn konnte. Der Juſtizminiſter Graf zur Lippe hatte vielleicht von ſeiner Thätigkeit als Staatsanwalt die Gewohnheit beibehalten, auch das Schärfſte mit lächelnder Miene, mit einem höhniſchen Ausdrucke von Ueberlegenheit zu ſagen, und verſtimmte dadurch die Parlamente und die Collegen. Er ſtand nächſt Bodelſchwingh am weiteſten rechts unter uns und war in Vertretung ſeiner Richtung ſchärfer als dieſer, weil er in ſeinem Reſſort ſachkundig genug war, um ſeiner perſönlichen Ueberzeugung folgen zu können, während Bodel¬ ſchwingh den Geſchäftsgang des Finanzminiſteriums ohne den wil¬ ligen Beiſtand ſeiner ſachkundigen Räthe nicht beherrſchen konnte, dieſe Räthe aber in ihrer politiſchen Auffaſſung weiter links ſtanden als ihr Chef und das ganze Miniſterium.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/329>, abgerufen am 23.11.2024.