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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Die neuen Minister: Bodelschwingh, Itzenplitz, Jagow, Selchow, Eulenburg.
dem er ausgeschieden und in die Stelle des Oberpräsidenten in
Potsdam eingerückt war. In wichtigen Angelegenheiten der Stadt
Berlin schwebten Verhandlungen, in denen er das ressortmäßige
Mittelglied zwischen der Regirung und den Gemeindebehörden
war. Die Dringlichkeit der Sache brachte es mit sich, daß das
Staatsministerium den Oberbürgermeister ersuchte, sich nach Pots¬
dam zu begeben und über einen entscheidenden Punkt die Anträge
des Oberpräsidenten mündlich einzuholen und darüber in einer zu
dem Zweck angesagten Abendsitzung des Ministeriums zu berichten.
Der Oberbürgermeister hatte eine zweistündige Audienz; aber zur
Berichterstattung darüber in der Sitzung erscheinend, erklärte er,
eine solche nicht machen zu können, weil er während der zwei
Stunden, die zwischen den beiden Zügen lagen, dem Herrn Ober¬
präsidenten gegenüber nicht zu Worte gekommen sei. Er habe es
wiederholt und bis zur Unhöflichkeit versucht, seine Frage zu stellen,
sei aber von dem Vorgesetzten stets und mit steigender Energie
mit den Worten zur Ruhe verwiesen worden: "Erlauben Sie, ich
bin noch nicht fertig, bitte mich ausreden zu lassen." Dieser Be¬
richt des Oberbürgermeisters erzeugte einen geschäftlichen Verdruß,
rief aber doch in der Erinnerung an eigne frühere Erlebnisse einige
Heiterkeit hervor.

Mein landwirthschaftlicher College von Selchow entsprach in
seiner Begabung nicht dem Rufe, der ihm in der Provinzial¬
verwaltung vorhergegangen war. Der König hatte ihm das zur
Zeit wichtigste Ministerium des Innern zugedacht. Nach einer
längern Unterredung, in der ich die Bekanntschaft des Herrn
von Selchow machte, bat ich Se. Majestät, davon abzustehn,
weil ich ihn der Aufgabe nicht für gewachsen hielt, und schlug
statt seiner den Grafen Friedrich Eulenburg vor. Beide Herrn
standen mit dem Könige in maurerischen Beziehungen und wurden
bei den Schwierigkeiten, die die Vervollständigung des Ministe¬
riums hatte, erst im December zum Eintritt bewogen. Der König
hatte Zweifel an Graf Eulenburgs Sachkunde auf dem Gebiete

Die neuen Miniſter: Bodelſchwingh, Itzenplitz, Jagow, Selchow, Eulenburg.
dem er ausgeſchieden und in die Stelle des Oberpräſidenten in
Potsdam eingerückt war. In wichtigen Angelegenheiten der Stadt
Berlin ſchwebten Verhandlungen, in denen er das reſſortmäßige
Mittelglied zwiſchen der Regirung und den Gemeindebehörden
war. Die Dringlichkeit der Sache brachte es mit ſich, daß das
Staatsminiſterium den Oberbürgermeiſter erſuchte, ſich nach Pots¬
dam zu begeben und über einen entſcheidenden Punkt die Anträge
des Oberpräſidenten mündlich einzuholen und darüber in einer zu
dem Zweck angeſagten Abendſitzung des Miniſteriums zu berichten.
Der Oberbürgermeiſter hatte eine zweiſtündige Audienz; aber zur
Berichterſtattung darüber in der Sitzung erſcheinend, erklärte er,
eine ſolche nicht machen zu können, weil er während der zwei
Stunden, die zwiſchen den beiden Zügen lagen, dem Herrn Ober¬
präſidenten gegenüber nicht zu Worte gekommen ſei. Er habe es
wiederholt und bis zur Unhöflichkeit verſucht, ſeine Frage zu ſtellen,
ſei aber von dem Vorgeſetzten ſtets und mit ſteigender Energie
mit den Worten zur Ruhe verwieſen worden: „Erlauben Sie, ich
bin noch nicht fertig, bitte mich ausreden zu laſſen.“ Dieſer Be¬
richt des Oberbürgermeiſters erzeugte einen geſchäftlichen Verdruß,
rief aber doch in der Erinnerung an eigne frühere Erlebniſſe einige
Heiterkeit hervor.

Mein landwirthſchaftlicher College von Selchow entſprach in
ſeiner Begabung nicht dem Rufe, der ihm in der Provinzial¬
verwaltung vorhergegangen war. Der König hatte ihm das zur
Zeit wichtigſte Miniſterium des Innern zugedacht. Nach einer
längern Unterredung, in der ich die Bekanntſchaft des Herrn
von Selchow machte, bat ich Se. Majeſtät, davon abzuſtehn,
weil ich ihn der Aufgabe nicht für gewachſen hielt, und ſchlug
ſtatt ſeiner den Grafen Friedrich Eulenburg vor. Beide Herrn
ſtanden mit dem Könige in maureriſchen Beziehungen und wurden
bei den Schwierigkeiten, die die Vervollſtändigung des Miniſte¬
riums hatte, erſt im December zum Eintritt bewogen. Der König
hatte Zweifel an Graf Eulenburgs Sachkunde auf dem Gebiete

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[299/0326] Die neuen Miniſter: Bodelſchwingh, Itzenplitz, Jagow, Selchow, Eulenburg. dem er ausgeſchieden und in die Stelle des Oberpräſidenten in Potsdam eingerückt war. In wichtigen Angelegenheiten der Stadt Berlin ſchwebten Verhandlungen, in denen er das reſſortmäßige Mittelglied zwiſchen der Regirung und den Gemeindebehörden war. Die Dringlichkeit der Sache brachte es mit ſich, daß das Staatsminiſterium den Oberbürgermeiſter erſuchte, ſich nach Pots¬ dam zu begeben und über einen entſcheidenden Punkt die Anträge des Oberpräſidenten mündlich einzuholen und darüber in einer zu dem Zweck angeſagten Abendſitzung des Miniſteriums zu berichten. Der Oberbürgermeiſter hatte eine zweiſtündige Audienz; aber zur Berichterſtattung darüber in der Sitzung erſcheinend, erklärte er, eine ſolche nicht machen zu können, weil er während der zwei Stunden, die zwiſchen den beiden Zügen lagen, dem Herrn Ober¬ präſidenten gegenüber nicht zu Worte gekommen ſei. Er habe es wiederholt und bis zur Unhöflichkeit verſucht, ſeine Frage zu ſtellen, ſei aber von dem Vorgeſetzten ſtets und mit ſteigender Energie mit den Worten zur Ruhe verwieſen worden: „Erlauben Sie, ich bin noch nicht fertig, bitte mich ausreden zu laſſen.“ Dieſer Be¬ richt des Oberbürgermeiſters erzeugte einen geſchäftlichen Verdruß, rief aber doch in der Erinnerung an eigne frühere Erlebniſſe einige Heiterkeit hervor. Mein landwirthſchaftlicher College von Selchow entſprach in ſeiner Begabung nicht dem Rufe, der ihm in der Provinzial¬ verwaltung vorhergegangen war. Der König hatte ihm das zur Zeit wichtigſte Miniſterium des Innern zugedacht. Nach einer längern Unterredung, in der ich die Bekanntſchaft des Herrn von Selchow machte, bat ich Se. Majeſtät, davon abzuſtehn, weil ich ihn der Aufgabe nicht für gewachſen hielt, und ſchlug ſtatt ſeiner den Grafen Friedrich Eulenburg vor. Beide Herrn ſtanden mit dem Könige in maureriſchen Beziehungen und wurden bei den Schwierigkeiten, die die Vervollſtändigung des Miniſte¬ riums hatte, erſt im December zum Eintritt bewogen. Der König hatte Zweifel an Graf Eulenburgs Sachkunde auf dem Gebiete

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/326>, abgerufen am 22.11.2024.