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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Beschaffenheit der preußischen Diplomatie.
gab an sich einen Vorzug. Die an den kleinen Höfen erwachsenen,
in den preußischen Dienst übernommnen Diplomaten hatten nicht
selten den Vortheil größrer assurance in höfischen Kreisen und
eines größern Mangels an Blödigkeit vor den eingebornen. Ein
Beispiel dieser Richtung war namentlich Herr von Schleinitz.
Dann finden sich in der Liste Mitglieder standesherrlicher Häuser,
bei denen die Abstammung die Begabung ersetzte. Aus der Zeit,
als ich nach Frankfurt ernannt wurde, ist mir außer mir, dem Frei¬
herrn Karl von Werther, Canitz und dem französisch verheiratheten
Grafen Max Hatzfeldt kaum der Chef einer ansehnlichen Mission
preußischer Abstammung erinnerlich. Ausländische Namen standen
höher im Kurse: Brassier, Perponcher, Savigny, Oriola. Man
setzte bei ihnen größere Geläufigkeit im Französischen voraus, und
sie waren "weiter her", dazu trat der Mangel an Bereitwilligkeit
zur Uebernahme eigner Verantwortlichkeit bei fehlender Deckung
durch zweifellose Instruction, ähnlich wie im Militär 1806 bei der
alten Schule aus Friedericianischer Zeit. Wir züchteten schon da¬
mals das Offiziersmaterial bis zum Regiments-Commandeur in einer
Vollkommenheit wie kein andrer Staat, aber darüber hinaus war
das eingeborne preußische Blut nicht mehr fruchtbar an Be¬
gabungen wie zur Zeit Friedrichs des Großen selbst. Unsre er¬
folgreichsten Feldherrn, Blücher, Gneisenau, Moltke, Goeben, waren
keine preußischen Urproducte, ebensowenig im Civildienste Stein,
Hardenberg, Motz und Grolman. Es ist, als ob unsre Staats¬
männer wie die Bäume in den Baumschulen zu voller Wurzel¬
bildung der Versetzung bedürften.

Ancillon rieth mir, zunächst das Examen als Regirungs-
Assessor zu machen und dann auf dem Umwege durch die Zoll¬
vereinsgeschäfte Eintritt in die deutsche Diplomatie Preußens zu
suchen; einen Beruf für die europäische erwartete er also bei einem
Sprößlinge des einheimischen Landadels nicht. Ich nahm mir seine
Andeutung zu Herzen und beabsichtigte, zunächst das Examen als
Regirungs-Assessor zu machen.

Beſchaffenheit der preußiſchen Diplomatie.
gab an ſich einen Vorzug. Die an den kleinen Höfen erwachſenen,
in den preußiſchen Dienſt übernommnen Diplomaten hatten nicht
ſelten den Vortheil größrer assurance in höfiſchen Kreiſen und
eines größern Mangels an Blödigkeit vor den eingebornen. Ein
Beiſpiel dieſer Richtung war namentlich Herr von Schleinitz.
Dann finden ſich in der Liſte Mitglieder ſtandesherrlicher Häuſer,
bei denen die Abſtammung die Begabung erſetzte. Aus der Zeit,
als ich nach Frankfurt ernannt wurde, iſt mir außer mir, dem Frei¬
herrn Karl von Werther, Canitz und dem franzöſiſch verheiratheten
Grafen Max Hatzfeldt kaum der Chef einer anſehnlichen Miſſion
preußiſcher Abſtammung erinnerlich. Ausländiſche Namen ſtanden
höher im Kurſe: Braſſier, Perponcher, Savigny, Oriola. Man
ſetzte bei ihnen größere Geläufigkeit im Franzöſiſchen voraus, und
ſie waren „weiter her“, dazu trat der Mangel an Bereitwilligkeit
zur Uebernahme eigner Verantwortlichkeit bei fehlender Deckung
durch zweifelloſe Inſtruction, ähnlich wie im Militär 1806 bei der
alten Schule aus Friedericianiſcher Zeit. Wir züchteten ſchon da¬
mals das Offiziersmaterial bis zum Regiments-Commandeur in einer
Vollkommenheit wie kein andrer Staat, aber darüber hinaus war
das eingeborne preußiſche Blut nicht mehr fruchtbar an Be¬
gabungen wie zur Zeit Friedrichs des Großen ſelbſt. Unſre er¬
folgreichſten Feldherrn, Blücher, Gneiſenau, Moltke, Goeben, waren
keine preußiſchen Urproducte, ebenſowenig im Civildienſte Stein,
Hardenberg, Motz und Grolman. Es iſt, als ob unſre Staats¬
männer wie die Bäume in den Baumſchulen zu voller Wurzel¬
bildung der Verſetzung bedürften.

Ancillon rieth mir, zunächſt das Examen als Regirungs-
Aſſeſſor zu machen und dann auf dem Umwege durch die Zoll¬
vereinsgeſchäfte Eintritt in die deutſche Diplomatie Preußens zu
ſuchen; einen Beruf für die europäiſche erwartete er alſo bei einem
Sprößlinge des einheimiſchen Landadels nicht. Ich nahm mir ſeine
Andeutung zu Herzen und beabſichtigte, zunächſt das Examen als
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[5/0032] Beſchaffenheit der preußiſchen Diplomatie. gab an ſich einen Vorzug. Die an den kleinen Höfen erwachſenen, in den preußiſchen Dienſt übernommnen Diplomaten hatten nicht ſelten den Vortheil größrer assurance in höfiſchen Kreiſen und eines größern Mangels an Blödigkeit vor den eingebornen. Ein Beiſpiel dieſer Richtung war namentlich Herr von Schleinitz. Dann finden ſich in der Liſte Mitglieder ſtandesherrlicher Häuſer, bei denen die Abſtammung die Begabung erſetzte. Aus der Zeit, als ich nach Frankfurt ernannt wurde, iſt mir außer mir, dem Frei¬ herrn Karl von Werther, Canitz und dem franzöſiſch verheiratheten Grafen Max Hatzfeldt kaum der Chef einer anſehnlichen Miſſion preußiſcher Abſtammung erinnerlich. Ausländiſche Namen ſtanden höher im Kurſe: Braſſier, Perponcher, Savigny, Oriola. Man ſetzte bei ihnen größere Geläufigkeit im Franzöſiſchen voraus, und ſie waren „weiter her“, dazu trat der Mangel an Bereitwilligkeit zur Uebernahme eigner Verantwortlichkeit bei fehlender Deckung durch zweifelloſe Inſtruction, ähnlich wie im Militär 1806 bei der alten Schule aus Friedericianiſcher Zeit. Wir züchteten ſchon da¬ mals das Offiziersmaterial bis zum Regiments-Commandeur in einer Vollkommenheit wie kein andrer Staat, aber darüber hinaus war das eingeborne preußiſche Blut nicht mehr fruchtbar an Be¬ gabungen wie zur Zeit Friedrichs des Großen ſelbſt. Unſre er¬ folgreichſten Feldherrn, Blücher, Gneiſenau, Moltke, Goeben, waren keine preußiſchen Urproducte, ebenſowenig im Civildienſte Stein, Hardenberg, Motz und Grolman. Es iſt, als ob unſre Staats¬ männer wie die Bäume in den Baumſchulen zu voller Wurzel¬ bildung der Verſetzung bedürften. Ancillon rieth mir, zunächſt das Examen als Regirungs- Aſſeſſor zu machen und dann auf dem Umwege durch die Zoll¬ vereinsgeſchäfte Eintritt in die deutſche Diplomatie Preußens zu ſuchen; einen Beruf für die europäiſche erwartete er alſo bei einem Sprößlinge des einheimiſchen Landadels nicht. Ich nahm mir ſeine Andeutung zu Herzen und beabſichtigte, zunächſt das Examen als Regirungs-Aſſeſſor zu machen.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/32>, abgerufen am 27.04.2024.