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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Briefwechsel mit Roon über den Eintritt ins Ministerium.
session in der bisherigen Unvollständigkeit und Unzulänglichkeit ein¬
treten sollten, halte ich für ganz widersinnig und unmöglich, und
zu dieser Meinung habe ich mehr als eine allerhöchste Zustimmung.
Gefochten muß und gefochten wird werden. An Concessionen und
Compromisse ist gar nicht zu denken; am wenigsten ist der König
dazu geneigt. Gefährliche Katastrophen sind daher mit Sicherheit
vorauszusehen, auch ganz abgesehen von den Verwickelungen in
unserer äußeren Politik, die schon jetzt einige recht interessante
Verhedderungen aufzuweisen hat. -- Ich kann mir denken, daß
Sie, mein alter Freund, sehr disgustirt sind; ich kann an meinem
eigenen Ekel den Ihrigen ermessen. Aber ich hoffe noch immer,
daß Sie um deswillen nicht boudiren, sondern sich vielmehr der
altritterlichen Pflicht erinnern werden, den König herauszuhauen,
auch wenn er, wie geschehen, sich muthwillig in Gefahr begab.
Aber Sie sind ein Mensch, und was mehr ist, ein Gatte und
Familienvater. Sie wollen, neben aller Arbeit, auch eine Häus¬
lichkeit und ein Familienleben. Sie haben ein Recht darauf, c'est
convenu
! Sie müssen also wissen, bald wissen, wo Ihr Bett und
Ihr Schreibtisch aufgestellt werden soll, ob in Paris oder Berlin.
Und das Wort des Königs, daß Sie sich in Berlin nicht etabliren
sollen, ist bis jetzt, soviel ich weiß, noch nicht zurückgenommen.
Sie müssen Gewißheit haben. Ich will das Meinige -- und zwar
nicht blos aus Selbstsucht, sondern aus patriotischem Interesse --
dazu beitragen, daß Ihnen diese Gewißheit baldigst werde. Ich
fingire daher, und zwar so lange, bis Sie es mir untersagen, von
Ihnen zur Herbeiführung dieser Gewißheit privatim beauftragt zu
sein. Nach den letzten Unterredungen mit Serenissimo über Sie
habe ich ohnehin mein spezielles persönliches Interesse für Sie be¬
reits verwerthen müssen. Ich kann daher auch von Ihrer un¬
erträglichen Situation sprechen, die besonders darin begründet ist,
daß Sie ausdrücklich verhindert werden, Sich in Paris zu etabliren.
Dergleichen Motive werden verstanden, wirken daher vielleicht mehr
als politische Erwägungen. Ich fingire daher Ihr Einverständniß

Briefwechſel mit Roon über den Eintritt ins Miniſterium.
ſeſſion in der bisherigen Unvollſtändigkeit und Unzulänglichkeit ein¬
treten ſollten, halte ich für ganz widerſinnig und unmöglich, und
zu dieſer Meinung habe ich mehr als eine allerhöchſte Zuſtimmung.
Gefochten muß und gefochten wird werden. An Conceſſionen und
Compromiſſe iſt gar nicht zu denken; am wenigſten iſt der König
dazu geneigt. Gefährliche Kataſtrophen ſind daher mit Sicherheit
vorauszuſehen, auch ganz abgeſehen von den Verwickelungen in
unſerer äußeren Politik, die ſchon jetzt einige recht intereſſante
Verhedderungen aufzuweiſen hat. — Ich kann mir denken, daß
Sie, mein alter Freund, ſehr disguſtirt ſind; ich kann an meinem
eigenen Ekel den Ihrigen ermeſſen. Aber ich hoffe noch immer,
daß Sie um deswillen nicht boudiren, ſondern ſich vielmehr der
altritterlichen Pflicht erinnern werden, den König herauszuhauen,
auch wenn er, wie geſchehen, ſich muthwillig in Gefahr begab.
Aber Sie ſind ein Menſch, und was mehr iſt, ein Gatte und
Familienvater. Sie wollen, neben aller Arbeit, auch eine Häus¬
lichkeit und ein Familienleben. Sie haben ein Recht darauf, c'est
convenu
! Sie müſſen alſo wiſſen, bald wiſſen, wo Ihr Bett und
Ihr Schreibtiſch aufgeſtellt werden ſoll, ob in Paris oder Berlin.
Und das Wort des Königs, daß Sie ſich in Berlin nicht etabliren
ſollen, iſt bis jetzt, ſoviel ich weiß, noch nicht zurückgenommen.
Sie müſſen Gewißheit haben. Ich will das Meinige — und zwar
nicht blos aus Selbſtſucht, ſondern aus patriotiſchem Intereſſe —
dazu beitragen, daß Ihnen dieſe Gewißheit baldigſt werde. Ich
fingire daher, und zwar ſo lange, bis Sie es mir unterſagen, von
Ihnen zur Herbeiführung dieſer Gewißheit privatim beauftragt zu
ſein. Nach den letzten Unterredungen mit Serenissimo über Sie
habe ich ohnehin mein ſpezielles perſönliches Intereſſe für Sie be¬
reits verwerthen müſſen. Ich kann daher auch von Ihrer un¬
erträglichen Situation ſprechen, die beſonders darin begründet iſt,
daß Sie ausdrücklich verhindert werden, Sich in Paris zu etabliren.
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als politiſche Erwägungen. Ich fingire daher Ihr Einverſtändniß

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[263/0290] Briefwechſel mit Roon über den Eintritt ins Miniſterium. ſeſſion in der bisherigen Unvollſtändigkeit und Unzulänglichkeit ein¬ treten ſollten, halte ich für ganz widerſinnig und unmöglich, und zu dieſer Meinung habe ich mehr als eine allerhöchſte Zuſtimmung. Gefochten muß und gefochten wird werden. An Conceſſionen und Compromiſſe iſt gar nicht zu denken; am wenigſten iſt der König dazu geneigt. Gefährliche Kataſtrophen ſind daher mit Sicherheit vorauszuſehen, auch ganz abgeſehen von den Verwickelungen in unſerer äußeren Politik, die ſchon jetzt einige recht intereſſante Verhedderungen aufzuweiſen hat. — Ich kann mir denken, daß Sie, mein alter Freund, ſehr disguſtirt ſind; ich kann an meinem eigenen Ekel den Ihrigen ermeſſen. Aber ich hoffe noch immer, daß Sie um deswillen nicht boudiren, ſondern ſich vielmehr der altritterlichen Pflicht erinnern werden, den König herauszuhauen, auch wenn er, wie geſchehen, ſich muthwillig in Gefahr begab. Aber Sie ſind ein Menſch, und was mehr iſt, ein Gatte und Familienvater. Sie wollen, neben aller Arbeit, auch eine Häus¬ lichkeit und ein Familienleben. Sie haben ein Recht darauf, c'est convenu! Sie müſſen alſo wiſſen, bald wiſſen, wo Ihr Bett und Ihr Schreibtiſch aufgeſtellt werden ſoll, ob in Paris oder Berlin. Und das Wort des Königs, daß Sie ſich in Berlin nicht etabliren ſollen, iſt bis jetzt, ſoviel ich weiß, noch nicht zurückgenommen. Sie müſſen Gewißheit haben. Ich will das Meinige — und zwar nicht blos aus Selbſtſucht, ſondern aus patriotiſchem Intereſſe — dazu beitragen, daß Ihnen dieſe Gewißheit baldigſt werde. Ich fingire daher, und zwar ſo lange, bis Sie es mir unterſagen, von Ihnen zur Herbeiführung dieſer Gewißheit privatim beauftragt zu ſein. Nach den letzten Unterredungen mit Serenissimo über Sie habe ich ohnehin mein ſpezielles perſönliches Intereſſe für Sie be¬ reits verwerthen müſſen. Ich kann daher auch von Ihrer un¬ erträglichen Situation ſprechen, die beſonders darin begründet iſt, daß Sie ausdrücklich verhindert werden, Sich in Paris zu etabliren. Dergleichen Motive werden verſtanden, wirken daher vielleicht mehr als politiſche Erwägungen. Ich fingire daher Ihr Einverſtändniß

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/290>, abgerufen am 20.05.2024.