Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite
Elftes Kapitel: Zwischenzustand.

10. Juni. Die Antwort Sr. M. auf die Adresse macht in
ihrer zurückhaltenden Gemessenheit einen sehr würdigen Eindruck,
und kühl, keine Gereiztheit. Anspielungen auf Schleinitz' Eintritt
für Hohenlohe finden sich in mehren Blättern. Ich gönne es ihm
von Herzen, und Hausminister bleibt er dabei doch.

Ich schicke diesen Brief morgen mit dem Feldjäger, der dann
in Aachen bleibt, bis er wieder etwas aus Berlin herzubringen
bekommt. Meine Empfehlungen an Ihre Damen; den Meinigen
geht es gut. In alter Treue
Ihr
v. B."

Am 26. Juni hatte der Kaiser mich nach Fontainebleau ein¬
geladen und machte mit mir einen längern Spaziergang. Im
Laufe der Unterhaltung über politische Fragen des Tages und der
letzten Jahre fragte er mich unerwartet, ob ich glaubte, daß der
König geneigt sein würde, auf eine Allianz mit ihm einzugehn.
Ich antwortete, der König hätte die freundschaftlichsten Gesinnungen
für ihn, und die Vorurtheile, die früher in der öffentlichen Meinung
bei uns in Betreff Frankreichs geherrscht hätten, seien so ziemlich
verschwunden; aber Allianzen seien das Ergebniß der Umstände,
nach denen das Bedürfniß oder die Nützlichkeit zu beurtheilen sei.
Eine Allianz setze ein Motiv, einen bestimmten Zweck voraus.
Der Kaiser bestritt die Nothwendigkeit einer solchen Voraussetzung;
es gäbe Mächte, die freundlich zu einander ständen, und andre,
bei denen das weniger der Fall sei. Angesichts einer ungewissen
Zukunft müsse man sein Vertrauen nach irgend einer Seite richten.
Er spreche von einer Allianz nicht mit der Absicht eines abenteuer¬
lichen Projects; aber er finde zwischen Preußen und Frankreich
eine Conformität der Interessen und darin die Elemente einer
entente intime et durable. Es würde ein großer Fehler sein, die
Ereignisse schaffen zu wollen; man könne ihre Richtung und
Stärke nicht vorausberechnen, aber man könne sich ihnen gegenüber
einrichten, se premunir, en avisant aux moyens, pour y faire face

Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand.

10. Juni. Die Antwort Sr. M. auf die Adreſſe macht in
ihrer zurückhaltenden Gemeſſenheit einen ſehr würdigen Eindruck,
und kühl, keine Gereiztheit. Anſpielungen auf Schleinitz' Eintritt
für Hohenlohe finden ſich in mehren Blättern. Ich gönne es ihm
von Herzen, und Hausminiſter bleibt er dabei doch.

Ich ſchicke dieſen Brief morgen mit dem Feldjäger, der dann
in Aachen bleibt, bis er wieder etwas aus Berlin herzubringen
bekommt. Meine Empfehlungen an Ihre Damen; den Meinigen
geht es gut. In alter Treue
Ihr
v. B.“

Am 26. Juni hatte der Kaiſer mich nach Fontainebleau ein¬
geladen und machte mit mir einen längern Spaziergang. Im
Laufe der Unterhaltung über politiſche Fragen des Tages und der
letzten Jahre fragte er mich unerwartet, ob ich glaubte, daß der
König geneigt ſein würde, auf eine Allianz mit ihm einzugehn.
Ich antwortete, der König hätte die freundſchaftlichſten Geſinnungen
für ihn, und die Vorurtheile, die früher in der öffentlichen Meinung
bei uns in Betreff Frankreichs geherrſcht hätten, ſeien ſo ziemlich
verſchwunden; aber Allianzen ſeien das Ergebniß der Umſtände,
nach denen das Bedürfniß oder die Nützlichkeit zu beurtheilen ſei.
Eine Allianz ſetze ein Motiv, einen beſtimmten Zweck voraus.
Der Kaiſer beſtritt die Nothwendigkeit einer ſolchen Vorausſetzung;
es gäbe Mächte, die freundlich zu einander ſtänden, und andre,
bei denen das weniger der Fall ſei. Angeſichts einer ungewiſſen
Zukunft müſſe man ſein Vertrauen nach irgend einer Seite richten.
Er ſpreche von einer Allianz nicht mit der Abſicht eines abenteuer¬
lichen Projects; aber er finde zwiſchen Preußen und Frankreich
eine Conformität der Intereſſen und darin die Elemente einer
entente intime et durable. Es würde ein großer Fehler ſein, die
Ereigniſſe ſchaffen zu wollen; man könne ihre Richtung und
Stärke nicht vorausberechnen, aber man könne ſich ihnen gegenüber
einrichten, se prémunir, en avisant aux moyens, pour y faire face

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0283" n="256"/>
          <fw place="top" type="header">Elftes Kapitel: Zwi&#x017F;chenzu&#x017F;tand.<lb/></fw>
          <p>10. Juni. Die Antwort Sr. M. auf die Adre&#x017F;&#x017F;e macht in<lb/>
ihrer zurückhaltenden Geme&#x017F;&#x017F;enheit einen &#x017F;ehr würdigen Eindruck,<lb/>
und kühl, keine Gereiztheit. An&#x017F;pielungen auf Schleinitz' Eintritt<lb/>
für Hohenlohe finden &#x017F;ich in mehren Blättern. Ich gönne es ihm<lb/>
von Herzen, und Hausmini&#x017F;ter bleibt er dabei doch.</p><lb/>
          <p>Ich &#x017F;chicke die&#x017F;en Brief morgen mit dem Feldjäger, der dann<lb/>
in Aachen bleibt, bis er wieder etwas aus Berlin herzubringen<lb/>
bekommt. Meine Empfehlungen an Ihre Damen; den Meinigen<lb/>
geht es gut. In alter Treue<lb/><hi rendition="#right">Ihr<lb/>
v. B.&#x201C;</hi></p><lb/>
          <p>Am 26. Juni hatte der Kai&#x017F;er mich nach Fontainebleau ein¬<lb/>
geladen und machte mit mir einen längern Spaziergang. Im<lb/>
Laufe der Unterhaltung über politi&#x017F;che Fragen des Tages und der<lb/>
letzten Jahre fragte er mich unerwartet, ob ich glaubte, daß der<lb/>
König geneigt &#x017F;ein würde, auf eine Allianz mit ihm einzugehn.<lb/>
Ich antwortete, der König hätte die freund&#x017F;chaftlich&#x017F;ten Ge&#x017F;innungen<lb/>
für ihn, und die Vorurtheile, die früher in der öffentlichen Meinung<lb/>
bei uns in Betreff Frankreichs geherr&#x017F;cht hätten, &#x017F;eien &#x017F;o ziemlich<lb/>
ver&#x017F;chwunden; aber Allianzen &#x017F;eien das Ergebniß der Um&#x017F;tände,<lb/>
nach denen das Bedürfniß oder die Nützlichkeit zu beurtheilen &#x017F;ei.<lb/>
Eine Allianz &#x017F;etze ein Motiv, einen be&#x017F;timmten Zweck voraus.<lb/>
Der Kai&#x017F;er be&#x017F;tritt die Nothwendigkeit einer &#x017F;olchen Voraus&#x017F;etzung;<lb/>
es gäbe Mächte, die freundlich zu einander &#x017F;tänden, und andre,<lb/>
bei denen das weniger der Fall &#x017F;ei. Ange&#x017F;ichts einer ungewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Zukunft mü&#x017F;&#x017F;e man &#x017F;ein Vertrauen nach irgend einer Seite richten.<lb/>
Er &#x017F;preche von einer Allianz nicht mit der Ab&#x017F;icht eines abenteuer¬<lb/>
lichen Projects; aber er finde zwi&#x017F;chen Preußen und Frankreich<lb/>
eine Conformität der Intere&#x017F;&#x017F;en und darin die Elemente einer<lb/><hi rendition="#aq">entente intime et durable</hi>. Es würde ein großer Fehler &#x017F;ein, die<lb/>
Ereigni&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#g">&#x017F;chaffen</hi> zu wollen; man könne ihre Richtung und<lb/>
Stärke nicht vorausberechnen, aber man könne &#x017F;ich ihnen gegenüber<lb/>
einrichten, <hi rendition="#aq">se prémunir, en avisant aux moyens, pour y faire face</hi><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[256/0283] Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand. 10. Juni. Die Antwort Sr. M. auf die Adreſſe macht in ihrer zurückhaltenden Gemeſſenheit einen ſehr würdigen Eindruck, und kühl, keine Gereiztheit. Anſpielungen auf Schleinitz' Eintritt für Hohenlohe finden ſich in mehren Blättern. Ich gönne es ihm von Herzen, und Hausminiſter bleibt er dabei doch. Ich ſchicke dieſen Brief morgen mit dem Feldjäger, der dann in Aachen bleibt, bis er wieder etwas aus Berlin herzubringen bekommt. Meine Empfehlungen an Ihre Damen; den Meinigen geht es gut. In alter Treue Ihr v. B.“ Am 26. Juni hatte der Kaiſer mich nach Fontainebleau ein¬ geladen und machte mit mir einen längern Spaziergang. Im Laufe der Unterhaltung über politiſche Fragen des Tages und der letzten Jahre fragte er mich unerwartet, ob ich glaubte, daß der König geneigt ſein würde, auf eine Allianz mit ihm einzugehn. Ich antwortete, der König hätte die freundſchaftlichſten Geſinnungen für ihn, und die Vorurtheile, die früher in der öffentlichen Meinung bei uns in Betreff Frankreichs geherrſcht hätten, ſeien ſo ziemlich verſchwunden; aber Allianzen ſeien das Ergebniß der Umſtände, nach denen das Bedürfniß oder die Nützlichkeit zu beurtheilen ſei. Eine Allianz ſetze ein Motiv, einen beſtimmten Zweck voraus. Der Kaiſer beſtritt die Nothwendigkeit einer ſolchen Vorausſetzung; es gäbe Mächte, die freundlich zu einander ſtänden, und andre, bei denen das weniger der Fall ſei. Angeſichts einer ungewiſſen Zukunft müſſe man ſein Vertrauen nach irgend einer Seite richten. Er ſpreche von einer Allianz nicht mit der Abſicht eines abenteuer¬ lichen Projects; aber er finde zwiſchen Preußen und Frankreich eine Conformität der Intereſſen und darin die Elemente einer entente intime et durable. Es würde ein großer Fehler ſein, die Ereigniſſe ſchaffen zu wollen; man könne ihre Richtung und Stärke nicht vorausberechnen, aber man könne ſich ihnen gegenüber einrichten, se prémunir, en avisant aux moyens, pour y faire face

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/283
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/283>, abgerufen am 25.11.2024.