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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Elftes Kapitel: Zwischenzustand.
Meine Antwort lautet:

"Paris, Pfingsten 1)62.

Lieber Roon
Ich habe Ihren Brief durch Stein (damals Militär-Bevoll¬
mächtigter) richtig erhalten, offenbar unerbrochen, denn ich konnte
ihn ohne theilweise Zerstörung nicht öffnen. Sie können versichert
sein, daß ich durchaus keine Gegenzüge und Manövers mache;
wenn ich nicht aus allen Anzeichen ersähe, daß Bernstorff garnicht
daran denkt auszuscheiden, so würde ich mit Gewißheit erwarten,
daß ich in wenig Tagen Paris verließe, um über London nach
Berlin zu gehn, und ich würde keinen Finger rühren, um dem
entgegenzuarbeiten. Ich rühre auch so keinen; aber ich kann doch
auch nicht den König mahnen, mir Bernstorffs Stelle zu geben,
und wenn ich ohne Portefeuille einträte, so hätten wir, Schleinitz
eingerechnet, drei auswärtige Minister, von denen jeder Verant¬
wortung gegenüber der eine sich stündlich in's Hausministerium,
der andre nach London zurückzuziehn bereit ist. Mit Ihnen weiß
ich mich einig, mit Jagow glaube ich es werden zu können, die
Fachministerien würden mir nicht Anstoß geben; über auswärtige
Dinge aber habe ich ziemlich bestimmte Ansichten; Bernstorff vielleicht
auch, aber ich kenne sie nicht, und vermag mich in seine Methode
und seine Formen nicht einzuleben, ich habe auch kein Vertrauen
zu seinem richtigen Augenmaß für die politischen Dinge, er also
vermuthlich zu dem meinigen auch nicht. So sehr lange kann
die Ungewißheit übrigens nicht mehr dauern; ich warte bis nach
dem 11., ob der König bei der Auffassung vom 26. v. M. 2)bleibt
oder sich anderweit versorgt. Geschieht bis dahin nichts, so schreibe
ich Sr. M. in der Voraussetzung, daß mein hiesiges Verhältniß
definitiv wird, und ich meine häuslichen Einrichtungen danach treffe,

1) 8. bez. 9. Juni, Bismarckbriefe (7. Aufl.) 339 f., Roon's Denkwürdig¬
keiten II 4 95 ff.
2) Tag der letzten Audienz auf Schloß Babelsberg vor der Abreise
nach Paris.

Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand.
Meine Antwort lautet:

„Paris, Pfingſten 1)62.

Lieber Roon
Ich habe Ihren Brief durch Stein (damals Militär-Bevoll¬
mächtigter) richtig erhalten, offenbar unerbrochen, denn ich konnte
ihn ohne theilweiſe Zerſtörung nicht öffnen. Sie können verſichert
ſein, daß ich durchaus keine Gegenzüge und Manövers mache;
wenn ich nicht aus allen Anzeichen erſähe, daß Bernſtorff garnicht
daran denkt auszuſcheiden, ſo würde ich mit Gewißheit erwarten,
daß ich in wenig Tagen Paris verließe, um über London nach
Berlin zu gehn, und ich würde keinen Finger rühren, um dem
entgegenzuarbeiten. Ich rühre auch ſo keinen; aber ich kann doch
auch nicht den König mahnen, mir Bernſtorffs Stelle zu geben,
und wenn ich ohne Portefeuille einträte, ſo hätten wir, Schleinitz
eingerechnet, drei auswärtige Miniſter, von denen jeder Verant¬
wortung gegenüber der eine ſich ſtündlich in's Hausminiſterium,
der andre nach London zurückzuziehn bereit iſt. Mit Ihnen weiß
ich mich einig, mit Jagow glaube ich es werden zu können, die
Fachminiſterien würden mir nicht Anſtoß geben; über auswärtige
Dinge aber habe ich ziemlich beſtimmte Anſichten; Bernſtorff vielleicht
auch, aber ich kenne ſie nicht, und vermag mich in ſeine Methode
und ſeine Formen nicht einzuleben, ich habe auch kein Vertrauen
zu ſeinem richtigen Augenmaß für die politiſchen Dinge, er alſo
vermuthlich zu dem meinigen auch nicht. So ſehr lange kann
die Ungewißheit übrigens nicht mehr dauern; ich warte bis nach
dem 11., ob der König bei der Auffaſſung vom 26. v. M. 2)bleibt
oder ſich anderweit verſorgt. Geſchieht bis dahin nichts, ſo ſchreibe
ich Sr. M. in der Vorausſetzung, daß mein hieſiges Verhältniß
definitiv wird, und ich meine häuslichen Einrichtungen danach treffe,

1) 8. bez. 9. Juni, Bismarckbriefe (7. Aufl.) 339 f., Roon's Denkwürdig¬
keiten II 4 95 ff.
2) Tag der letzten Audienz auf Schloß Babelsberg vor der Abreiſe
nach Paris.
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[254/0281] Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand. Meine Antwort lautet: „Paris, Pfingſten 1)62. Lieber Roon Ich habe Ihren Brief durch Stein (damals Militär-Bevoll¬ mächtigter) richtig erhalten, offenbar unerbrochen, denn ich konnte ihn ohne theilweiſe Zerſtörung nicht öffnen. Sie können verſichert ſein, daß ich durchaus keine Gegenzüge und Manövers mache; wenn ich nicht aus allen Anzeichen erſähe, daß Bernſtorff garnicht daran denkt auszuſcheiden, ſo würde ich mit Gewißheit erwarten, daß ich in wenig Tagen Paris verließe, um über London nach Berlin zu gehn, und ich würde keinen Finger rühren, um dem entgegenzuarbeiten. Ich rühre auch ſo keinen; aber ich kann doch auch nicht den König mahnen, mir Bernſtorffs Stelle zu geben, und wenn ich ohne Portefeuille einträte, ſo hätten wir, Schleinitz eingerechnet, drei auswärtige Miniſter, von denen jeder Verant¬ wortung gegenüber der eine ſich ſtündlich in's Hausminiſterium, der andre nach London zurückzuziehn bereit iſt. Mit Ihnen weiß ich mich einig, mit Jagow glaube ich es werden zu können, die Fachminiſterien würden mir nicht Anſtoß geben; über auswärtige Dinge aber habe ich ziemlich beſtimmte Anſichten; Bernſtorff vielleicht auch, aber ich kenne ſie nicht, und vermag mich in ſeine Methode und ſeine Formen nicht einzuleben, ich habe auch kein Vertrauen zu ſeinem richtigen Augenmaß für die politiſchen Dinge, er alſo vermuthlich zu dem meinigen auch nicht. So ſehr lange kann die Ungewißheit übrigens nicht mehr dauern; ich warte bis nach dem 11., ob der König bei der Auffaſſung vom 26. v. M. 2)bleibt oder ſich anderweit verſorgt. Geſchieht bis dahin nichts, ſo ſchreibe ich Sr. M. in der Vorausſetzung, daß mein hieſiges Verhältniß definitiv wird, und ich meine häuslichen Einrichtungen danach treffe, 1) 8. bez. 9. Juni, Bismarckbriefe (7. Aufl.) 339 f., Roon's Denkwürdig¬ keiten II 4 95 ff. 2) Tag der letzten Audienz auf Schloß Babelsberg vor der Abreiſe nach Paris.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/281>, abgerufen am 22.11.2024.