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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Verlauf der Ministerkrisis.
Huldigungsfrage mit meinen Gespielen für immer auch äußerlich
entzweit, wissen Sie wohl durch Manteuffel oder Alvensleben.
Wenn ich dennoch in ,dieser Gesellschaft' bleibe, so geschieht es,
weil der K. darauf besteht und ich, unter den jetzigen Umständen
von jeder Rücksicht entbunden, nunmehr mit offenem Visir fort¬
kämpfen kann. Es sagt meiner Natur mehr zu, daß die Herren
wissen, ich bin gegen ihre Recepte, als daß sie es, wie bisher,
blos glauben. Gott möge weiter helfen! ich kann wenig mehr
thun, als ein ehrlicher Mann bleiben und in meinen Ressorts
thätig sein und Vernünftiges wirken. -- Das größte Unglück in
aller dieser misere ist indeß die Mattigkeit und Abgespanntheit
unsres Königs. Er ist mehr wie je in der Botmäßigkeit der K.
und ihrer Gehülfen. Wird er nicht körperlich wieder frischer, so
ist Alles verloren, und wir schwanken weiter in das Joch des Par¬
lamentarimus und der Republik und der Präsidentschaft Patow.
Ich sehe keine, keine Rettung, wenn uns Gott der Herr nicht
hilft. In dem Proceß der allgemeinen Zersetzung vermag ich nur
noch einen widerstandsfähigen Organismus zu erkennen, die Armee.
Sie unverfault zu erhalten: das ist die Aufgabe, die ich noch für
lösbar erachte, aber freilich nur noch auf einige Zeit. Auch sie wird
verpestet werden, wenn sie nicht zu Thaten kömmt, wenn ihr nicht
von Oben gesunde Lebensluft zugeführt wird, und das, auch das
wird alle Tage schwieriger. Habe ich darin Recht, und ich glaube
es, so kann man auch nicht tadeln, daß ich in dieser Gesellschaft
weiter diene. Ich will damit nicht sagen, daß; ein Andrer mein
Amt nicht mit gleicher oder größerer Einsicht und Energie zu ver¬
walten vermöchte, aber auch der Fähigste wird ein Jahr zu seiner
Orientirung brauchen und -- ,die Todten reiten schnell'. Wie
gern ich mich zurückzöge, brauche ich Niemand zu versichern, der
mich genauer kennt. In meiner Natur liegt viel mehr Neigung
zur Behaglichkeit, als vor Gott Recht ist, und diese würde ich mit
meiner verdienten reichlichen Pension finden, da ich weder ver¬
wöhnt bin noch ehrbedürftig. Wie sehr ich zur Faulheit neige,

Verlauf der Miniſterkriſis.
Huldigungsfrage mit meinen Geſpielen für immer auch äußerlich
entzweit, wiſſen Sie wohl durch Manteuffel oder Alvensleben.
Wenn ich dennoch in ‚dieſer Geſellſchaft‘ bleibe, ſo geſchieht es,
weil der K. darauf beſteht und ich, unter den jetzigen Umſtänden
von jeder Rückſicht entbunden, nunmehr mit offenem Viſir fort¬
kämpfen kann. Es ſagt meiner Natur mehr zu, daß die Herren
wiſſen, ich bin gegen ihre Recepte, als daß ſie es, wie bisher,
blos glauben. Gott möge weiter helfen! ich kann wenig mehr
thun, als ein ehrlicher Mann bleiben und in meinen Reſſorts
thätig ſein und Vernünftiges wirken. — Das größte Unglück in
aller dieſer misère iſt indeß die Mattigkeit und Abgeſpanntheit
unſres Königs. Er iſt mehr wie je in der Botmäßigkeit der K.
und ihrer Gehülfen. Wird er nicht körperlich wieder friſcher, ſo
iſt Alles verloren, und wir ſchwanken weiter in das Joch des Par¬
lamentarimus und der Republik und der Präſidentſchaft Patow.
Ich ſehe keine, keine Rettung, wenn uns Gott der Herr nicht
hilft. In dem Proceß der allgemeinen Zerſetzung vermag ich nur
noch einen widerſtandsfähigen Organismus zu erkennen, die Armee.
Sie unverfault zu erhalten: das iſt die Aufgabe, die ich noch für
lösbar erachte, aber freilich nur noch auf einige Zeit. Auch ſie wird
verpeſtet werden, wenn ſie nicht zu Thaten kömmt, wenn ihr nicht
von Oben geſunde Lebensluft zugeführt wird, und das, auch das
wird alle Tage ſchwieriger. Habe ich darin Recht, und ich glaube
es, ſo kann man auch nicht tadeln, daß ich in dieſer Geſellſchaft
weiter diene. Ich will damit nicht ſagen, daß; ein Andrer mein
Amt nicht mit gleicher oder größerer Einſicht und Energie zu ver¬
walten vermöchte, aber auch der Fähigſte wird ein Jahr zu ſeiner
Orientirung brauchen und — ,die Todten reiten ſchnell‘. Wie
gern ich mich zurückzöge, brauche ich Niemand zu verſichern, der
mich genauer kennt. In meiner Natur liegt viel mehr Neigung
zur Behaglichkeit, als vor Gott Recht iſt, und dieſe würde ich mit
meiner verdienten reichlichen Penſion finden, da ich weder ver¬
wöhnt bin noch ehrbedürftig. Wie ſehr ich zur Faulheit neige,

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[247/0274] Verlauf der Miniſterkriſis. Huldigungsfrage mit meinen Geſpielen für immer auch äußerlich entzweit, wiſſen Sie wohl durch Manteuffel oder Alvensleben. Wenn ich dennoch in ‚dieſer Geſellſchaft‘ bleibe, ſo geſchieht es, weil der K. darauf beſteht und ich, unter den jetzigen Umſtänden von jeder Rückſicht entbunden, nunmehr mit offenem Viſir fort¬ kämpfen kann. Es ſagt meiner Natur mehr zu, daß die Herren wiſſen, ich bin gegen ihre Recepte, als daß ſie es, wie bisher, blos glauben. Gott möge weiter helfen! ich kann wenig mehr thun, als ein ehrlicher Mann bleiben und in meinen Reſſorts thätig ſein und Vernünftiges wirken. — Das größte Unglück in aller dieſer misère iſt indeß die Mattigkeit und Abgeſpanntheit unſres Königs. Er iſt mehr wie je in der Botmäßigkeit der K. und ihrer Gehülfen. Wird er nicht körperlich wieder friſcher, ſo iſt Alles verloren, und wir ſchwanken weiter in das Joch des Par¬ lamentarimus und der Republik und der Präſidentſchaft Patow. Ich ſehe keine, keine Rettung, wenn uns Gott der Herr nicht hilft. In dem Proceß der allgemeinen Zerſetzung vermag ich nur noch einen widerſtandsfähigen Organismus zu erkennen, die Armee. Sie unverfault zu erhalten: das iſt die Aufgabe, die ich noch für lösbar erachte, aber freilich nur noch auf einige Zeit. Auch ſie wird verpeſtet werden, wenn ſie nicht zu Thaten kömmt, wenn ihr nicht von Oben geſunde Lebensluft zugeführt wird, und das, auch das wird alle Tage ſchwieriger. Habe ich darin Recht, und ich glaube es, ſo kann man auch nicht tadeln, daß ich in dieſer Geſellſchaft weiter diene. Ich will damit nicht ſagen, daß; ein Andrer mein Amt nicht mit gleicher oder größerer Einſicht und Energie zu ver¬ walten vermöchte, aber auch der Fähigſte wird ein Jahr zu ſeiner Orientirung brauchen und — ,die Todten reiten ſchnell‘. Wie gern ich mich zurückzöge, brauche ich Niemand zu verſichern, der mich genauer kennt. In meiner Natur liegt viel mehr Neigung zur Behaglichkeit, als vor Gott Recht iſt, und dieſe würde ich mit meiner verdienten reichlichen Penſion finden, da ich weder ver¬ wöhnt bin noch ehrbedürftig. Wie ſehr ich zur Faulheit neige,

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/274>, abgerufen am 20.05.2024.