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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Elftes Kapitel: Zwischenzustand.
Präsident von Möller und von Selchow gerichtet, bin aber noch
ohne Antwort. Es ist eine trostlose Lage! Der König leidet ent¬
setzlich. Die Nächsten aus seiner Familie sind gegen ihn und rathen
zu einem faulen Frieden. Gott verhüte, daß er nachgiebt. Thäte
er es, so steuerten wir mit vollen Segeln in das Schlamm-Meer
des parlamentarischen Regiments.

Ich zittere vor Geschäfts-Aufregung, denn die vermehrten Lasten
erdrücken mich fast im Verein mit dieser politischen misere, indeß --
ein braves Pferd stürzt, aber versagt nicht. -- Die Geschäftsnoth
entschuldige daher auch die Kürze dieser Zeilen. Daher nur noch
das Eine, daß ich die Brücke hinter mir abgebrochen habe, daß ich
daher gehe, wenn der König nachgiebt, obwohl sich dies eigentlich
von selbst versteht.

Dieser Brief soll Ihnen durch den Englischen Courier zugehen,
wie Schlieffen verheißt. Antworten Sie mir sogleich durch den
Telegraphen."

Ich antwortete am 2. Juli:

"Ihr Schreiben durch den Engländer kam gestern in Sturm
und Regen hier an, und störte mich in dem Behagen, mit welchem
ich an die ruhige Zeit dachte, die ich in Reinfeld mit Kissinger und
demnächst in Stolpmünde zu verbringen beabsichtigte. In den Streit
wohlthuender Gefühle für junge Auerhühner einerseits und Wieder¬
sehn von Frau und Kindern andrerseits tönte Ihr Commando:
,an die Pferde' mit schrillem Mißklang. Ich bin geistesträge,
matt und kleinmüthig geworden, seit mir das Fundament der Gesund¬
heit abhanden gekommen ist. Doch zur Sache. In dem Huldigungs¬
streit verstehe ich nicht recht, wie er so wichtig hat werden können,
für beide Theile. Es ist mir rechtlich garnicht zweifelhaft, daß der
König in keinen Widerstreit mit der Verfassung tritt, wenn er die
Huldigung in herkömmlicher Form annimmt. Er hat das Recht,
sich von jedem einzelnen seiner Unterthanen und von jeder Cor¬
poration im Lande huldigen zu lassen, wann und wo es ihm ge¬

Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand.
Präſident von Möller und von Selchow gerichtet, bin aber noch
ohne Antwort. Es iſt eine troſtloſe Lage! Der König leidet ent¬
ſetzlich. Die Nächſten aus ſeiner Familie ſind gegen ihn und rathen
zu einem faulen Frieden. Gott verhüte, daß er nachgiebt. Thäte
er es, ſo ſteuerten wir mit vollen Segeln in das Schlamm-Meer
des parlamentariſchen Regiments.

Ich zittere vor Geſchäfts-Aufregung, denn die vermehrten Laſten
erdrücken mich faſt im Verein mit dieſer politiſchen misère, indeß —
ein braves Pferd ſtürzt, aber verſagt nicht. — Die Geſchäftsnoth
entſchuldige daher auch die Kürze dieſer Zeilen. Daher nur noch
das Eine, daß ich die Brücke hinter mir abgebrochen habe, daß ich
daher gehe, wenn der König nachgiebt, obwohl ſich dies eigentlich
von ſelbſt verſteht.

Dieſer Brief ſoll Ihnen durch den Engliſchen Courier zugehen,
wie Schlieffen verheißt. Antworten Sie mir ſogleich durch den
Telegraphen.“

Ich antwortete am 2. Juli:

„Ihr Schreiben durch den Engländer kam geſtern in Sturm
und Regen hier an, und ſtörte mich in dem Behagen, mit welchem
ich an die ruhige Zeit dachte, die ich in Reinfeld mit Kiſſinger und
demnächſt in Stolpmünde zu verbringen beabſichtigte. In den Streit
wohlthuender Gefühle für junge Auerhühner einerſeits und Wieder¬
ſehn von Frau und Kindern andrerſeits tönte Ihr Commando:
,an die Pferde‘ mit ſchrillem Mißklang. Ich bin geiſtesträge,
matt und kleinmüthig geworden, ſeit mir das Fundament der Geſund¬
heit abhanden gekommen iſt. Doch zur Sache. In dem Huldigungs¬
ſtreit verſtehe ich nicht recht, wie er ſo wichtig hat werden können,
für beide Theile. Es iſt mir rechtlich garnicht zweifelhaft, daß der
König in keinen Widerſtreit mit der Verfaſſung tritt, wenn er die
Huldigung in herkömmlicher Form annimmt. Er hat das Recht,
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poration im Lande huldigen zu laſſen, wann und wo es ihm ge¬

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[242/0269] Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand. Präſident von Möller und von Selchow gerichtet, bin aber noch ohne Antwort. Es iſt eine troſtloſe Lage! Der König leidet ent¬ ſetzlich. Die Nächſten aus ſeiner Familie ſind gegen ihn und rathen zu einem faulen Frieden. Gott verhüte, daß er nachgiebt. Thäte er es, ſo ſteuerten wir mit vollen Segeln in das Schlamm-Meer des parlamentariſchen Regiments. Ich zittere vor Geſchäfts-Aufregung, denn die vermehrten Laſten erdrücken mich faſt im Verein mit dieſer politiſchen misère, indeß — ein braves Pferd ſtürzt, aber verſagt nicht. — Die Geſchäftsnoth entſchuldige daher auch die Kürze dieſer Zeilen. Daher nur noch das Eine, daß ich die Brücke hinter mir abgebrochen habe, daß ich daher gehe, wenn der König nachgiebt, obwohl ſich dies eigentlich von ſelbſt verſteht. Dieſer Brief ſoll Ihnen durch den Engliſchen Courier zugehen, wie Schlieffen verheißt. Antworten Sie mir ſogleich durch den Telegraphen.“ Ich antwortete am 2. Juli: „Ihr Schreiben durch den Engländer kam geſtern in Sturm und Regen hier an, und ſtörte mich in dem Behagen, mit welchem ich an die ruhige Zeit dachte, die ich in Reinfeld mit Kiſſinger und demnächſt in Stolpmünde zu verbringen beabſichtigte. In den Streit wohlthuender Gefühle für junge Auerhühner einerſeits und Wieder¬ ſehn von Frau und Kindern andrerſeits tönte Ihr Commando: ,an die Pferde‘ mit ſchrillem Mißklang. Ich bin geiſtesträge, matt und kleinmüthig geworden, ſeit mir das Fundament der Geſund¬ heit abhanden gekommen iſt. Doch zur Sache. In dem Huldigungs¬ ſtreit verſtehe ich nicht recht, wie er ſo wichtig hat werden können, für beide Theile. Es iſt mir rechtlich garnicht zweifelhaft, daß der König in keinen Widerſtreit mit der Verfaſſung tritt, wenn er die Huldigung in herkömmlicher Form annimmt. Er hat das Recht, ſich von jedem einzelnen ſeiner Unterthanen und von jeder Cor¬ poration im Lande huldigen zu laſſen, wann und wo es ihm ge¬

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/269>, abgerufen am 20.05.2024.