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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Zehntes Kapitel: Petersburg.
alexandrinischen Zeitalter angehörte und in ihm durch Intelligenz
und Tapferkeit sich aus der Stellung eines jungen Offiziers in einem
Linienregimente, in dem er die französischen Kriege mitgemacht, zu
einem Staatsmanne emporgearbeitet hatte, dessen Wort bei dem
Kaiser Nicolaus erheblich in's Gewicht fiel. Die Annehmlichkeit
seines gastfreien Hauses in Berlin wie in Petersburg wurde wesent¬
lich erhöht durch seine Gemalin, eine männlich kluge, vornehme,
ehrliche und liebenswürdige Frau, die in noch höherm Grade als
ihre Schwester, Frau von Vrints in Frankfurt, den Beweis lieferte,
daß in der gräflich Buol'schen Familie der erbliche Verstand ein
Kunkellehn war. Ihr Bruder, der östreichische Minister Graf Vuol,
hatte daran nicht den Antheil geerbt, der zur Leitung der Politik
einer großen Monarchie unentbehrlich ist. Die beiden Geschwister
standen einander persönlich nicht näher als die russische und die
östreichische Politik. Als ich 1852 in besondrer Mission in Wien
beglaubigt war, war das Verhältniß zwischen ihnen noch derart,
daß Frau von Meyendorff geneigt war, mir das Gelingen meiner
für Oestreich freundlichen Mission zu erleichtern, wofür ohne Zweifel
die Instructionen ihres Gemals maßgebend waren. Der Kaiser
Nicolaus wünschte damals unsre Verständigung mit Oestreich. Als
ein oder zwei Jahre später, zur Zeit des Krimkriegs, von meiner
Ernennung nach Wien die Rede war, fand das Verhältniß zwischen
ihr und ihrem Bruder in den Worten Ausdruck: sie hoffe, daß ich
nach Wien kommen und "dem Karl ein Gallenfieber anärgern würde".
Frau von Meyendorff war als Frau ihres Gemals patriotische
Russin und würde auch ohnedies schon nach ihrem persönlichen Ge¬
fühl die feindselige und undankbare Politik nicht gebilligt haben,
zu welcher Graf Buol Oestreich bewogen hatte.

Die dritte Generation, die der jungen Herrn, zeigte in ihrem
gesellschaftlichen Auftreten meist weniger Höflichkeit, mitunter schlechte
Manieren und in der Regel stärkere Abneigung gegen deutsche, ins¬
besondre preußische Elemente, als die beiden ältern Generationen.
Wenn man, des Russischen unkundig, sie deutsch anredete, so waren

Zehntes Kapitel: Petersburg.
alexandriniſchen Zeitalter angehörte und in ihm durch Intelligenz
und Tapferkeit ſich aus der Stellung eines jungen Offiziers in einem
Linienregimente, in dem er die franzöſiſchen Kriege mitgemacht, zu
einem Staatsmanne emporgearbeitet hatte, deſſen Wort bei dem
Kaiſer Nicolaus erheblich in’s Gewicht fiel. Die Annehmlichkeit
ſeines gaſtfreien Hauſes in Berlin wie in Petersburg wurde weſent¬
lich erhöht durch ſeine Gemalin, eine männlich kluge, vornehme,
ehrliche und liebenswürdige Frau, die in noch höherm Grade als
ihre Schweſter, Frau von Vrints in Frankfurt, den Beweis lieferte,
daß in der gräflich Buol’ſchen Familie der erbliche Verſtand ein
Kunkellehn war. Ihr Bruder, der öſtreichiſche Miniſter Graf Vuol,
hatte daran nicht den Antheil geerbt, der zur Leitung der Politik
einer großen Monarchie unentbehrlich iſt. Die beiden Geſchwiſter
ſtanden einander perſönlich nicht näher als die ruſſiſche und die
öſtreichiſche Politik. Als ich 1852 in beſondrer Miſſion in Wien
beglaubigt war, war das Verhältniß zwiſchen ihnen noch derart,
daß Frau von Meyendorff geneigt war, mir das Gelingen meiner
für Oeſtreich freundlichen Miſſion zu erleichtern, wofür ohne Zweifel
die Inſtructionen ihres Gemals maßgebend waren. Der Kaiſer
Nicolaus wünſchte damals unſre Verſtändigung mit Oeſtreich. Als
ein oder zwei Jahre ſpäter, zur Zeit des Krimkriegs, von meiner
Ernennung nach Wien die Rede war, fand das Verhältniß zwiſchen
ihr und ihrem Bruder in den Worten Ausdruck: ſie hoffe, daß ich
nach Wien kommen und „dem Karl ein Gallenfieber anärgern würde“.
Frau von Meyendorff war als Frau ihres Gemals patriotiſche
Ruſſin und würde auch ohnedies ſchon nach ihrem perſönlichen Ge¬
fühl die feindſelige und undankbare Politik nicht gebilligt haben,
zu welcher Graf Buol Oeſtreich bewogen hatte.

Die dritte Generation, die der jungen Herrn, zeigte in ihrem
geſellſchaftlichen Auftreten meiſt weniger Höflichkeit, mitunter ſchlechte
Manieren und in der Regel ſtärkere Abneigung gegen deutſche, ins¬
beſondre preußiſche Elemente, als die beiden ältern Generationen.
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[220/0247] Zehntes Kapitel: Petersburg. alexandriniſchen Zeitalter angehörte und in ihm durch Intelligenz und Tapferkeit ſich aus der Stellung eines jungen Offiziers in einem Linienregimente, in dem er die franzöſiſchen Kriege mitgemacht, zu einem Staatsmanne emporgearbeitet hatte, deſſen Wort bei dem Kaiſer Nicolaus erheblich in’s Gewicht fiel. Die Annehmlichkeit ſeines gaſtfreien Hauſes in Berlin wie in Petersburg wurde weſent¬ lich erhöht durch ſeine Gemalin, eine männlich kluge, vornehme, ehrliche und liebenswürdige Frau, die in noch höherm Grade als ihre Schweſter, Frau von Vrints in Frankfurt, den Beweis lieferte, daß in der gräflich Buol’ſchen Familie der erbliche Verſtand ein Kunkellehn war. Ihr Bruder, der öſtreichiſche Miniſter Graf Vuol, hatte daran nicht den Antheil geerbt, der zur Leitung der Politik einer großen Monarchie unentbehrlich iſt. Die beiden Geſchwiſter ſtanden einander perſönlich nicht näher als die ruſſiſche und die öſtreichiſche Politik. Als ich 1852 in beſondrer Miſſion in Wien beglaubigt war, war das Verhältniß zwiſchen ihnen noch derart, daß Frau von Meyendorff geneigt war, mir das Gelingen meiner für Oeſtreich freundlichen Miſſion zu erleichtern, wofür ohne Zweifel die Inſtructionen ihres Gemals maßgebend waren. Der Kaiſer Nicolaus wünſchte damals unſre Verſtändigung mit Oeſtreich. Als ein oder zwei Jahre ſpäter, zur Zeit des Krimkriegs, von meiner Ernennung nach Wien die Rede war, fand das Verhältniß zwiſchen ihr und ihrem Bruder in den Worten Ausdruck: ſie hoffe, daß ich nach Wien kommen und „dem Karl ein Gallenfieber anärgern würde“. Frau von Meyendorff war als Frau ihres Gemals patriotiſche Ruſſin und würde auch ohnedies ſchon nach ihrem perſönlichen Ge¬ fühl die feindſelige und undankbare Politik nicht gebilligt haben, zu welcher Graf Buol Oeſtreich bewogen hatte. Die dritte Generation, die der jungen Herrn, zeigte in ihrem geſellſchaftlichen Auftreten meiſt weniger Höflichkeit, mitunter ſchlechte Manieren und in der Regel ſtärkere Abneigung gegen deutſche, ins¬ beſondre preußiſche Elemente, als die beiden ältern Generationen. Wenn man, des Ruſſiſchen unkundig, ſie deutſch anredete, ſo waren

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/247>, abgerufen am 25.11.2024.