Gleichwohl wurde er nach Frankfurt ernannt. Daß ich ihm mit meinem Urtheil nicht Unrecht gethan, bewies sein späteres Ver¬ halten in Turin und Florenz. Er posirte gerne als Stratege, auch als "verfluchter Kerl" und tief eingeweihter Verschwörer, hatte Ver¬ kehr mit Garibaldi und Mazzini und that sich etwas darauf zu Gute. In der Neigung zu unterirdischen Verbindungen nahm er in Turin einen angeblichen Mazzinisten, in der That östreichischen Spitzel, als Privatsekretär an, gab ihm die Akten zu lesen und den Chiffre in die Hände. Er war Wochen und Monate von seinem Posten abwesend, hinterließ Blanquets, auf welche die Legationssekretäre Berichte schrieben; so gelangten an das Aus¬ wärtige Amt Berichte mit seiner Unterschrift über Unterredungen, die er mit den italienischen Ministern gehabt haben sollte, ohne daß er diese Herrn in der betreffenden Zeit gesehn hatte. Aber er war ein hoher Freimaurer. Als ich im Februar 1869 die Ab¬ berufung eines so unbrauchbaren und bedenklichen Beamten ver¬ langte, stieß ich bei dem Könige, der die Pflichten gegen die Brüder mit einer fast religiösen Treue erfüllte, auf einen Widerstand, der auch durch meine mehrtägige Enthaltung von amtlicher Thätigkeit nicht zu überwinden war und mich zu der Absicht brachte, meinen Abschied zu erbitten1). Indem ich jetzt nach mehr als 20 Jahren die betreffenden Papiere wieder lese, befällt mich eine Reue darüber, daß ich damals, zwischen meine Ueberzeugung von dem Staats¬ interesse und meine persönliche Liebe zu dem Könige gestellt, der erstern gefolgt bin und folgen mußte. Ich fühle mich heut beschämt von der Liebenswürdigkeit, mit welcher der König meine amtliche Pedanterie ertrug. Ich hätte ihm und seinem Maurerglauben den Dienst in Florenz opfern sollen. Am 22. Februar schrieb mir S. M.: "Ueberbringer dieser Zeilen [Cabinetsrath Wehrmann] hat mir Mittheilung von dem Auftrage gemacht, den Sie ihm für Sich gegeben haben. Wie können Sie nur daran denken, daß ich auf
1) Vgl. Bismarck-Jahrbuch I 76 ff.
Neuntes Kapitel: Reiſen. Regentſchaft.
Gleichwohl wurde er nach Frankfurt ernannt. Daß ich ihm mit meinem Urtheil nicht Unrecht gethan, bewies ſein ſpäteres Ver¬ halten in Turin und Florenz. Er poſirte gerne als Stratege, auch als „verfluchter Kerl“ und tief eingeweihter Verſchwörer, hatte Ver¬ kehr mit Garibaldi und Mazzini und that ſich etwas darauf zu Gute. In der Neigung zu unterirdiſchen Verbindungen nahm er in Turin einen angeblichen Mazziniſten, in der That öſtreichiſchen Spitzel, als Privatſekretär an, gab ihm die Akten zu leſen und den Chiffre in die Hände. Er war Wochen und Monate von ſeinem Poſten abweſend, hinterließ Blanquets, auf welche die Legationsſekretäre Berichte ſchrieben; ſo gelangten an das Aus¬ wärtige Amt Berichte mit ſeiner Unterſchrift über Unterredungen, die er mit den italieniſchen Miniſtern gehabt haben ſollte, ohne daß er dieſe Herrn in der betreffenden Zeit geſehn hatte. Aber er war ein hoher Freimaurer. Als ich im Februar 1869 die Ab¬ berufung eines ſo unbrauchbaren und bedenklichen Beamten ver¬ langte, ſtieß ich bei dem Könige, der die Pflichten gegen die Brüder mit einer faſt religiöſen Treue erfüllte, auf einen Widerſtand, der auch durch meine mehrtägige Enthaltung von amtlicher Thätigkeit nicht zu überwinden war und mich zu der Abſicht brachte, meinen Abſchied zu erbitten1). Indem ich jetzt nach mehr als 20 Jahren die betreffenden Papiere wieder leſe, befällt mich eine Reue darüber, daß ich damals, zwiſchen meine Ueberzeugung von dem Staats¬ intereſſe und meine perſönliche Liebe zu dem Könige geſtellt, der erſtern gefolgt bin und folgen mußte. Ich fühle mich heut beſchämt von der Liebenswürdigkeit, mit welcher der König meine amtliche Pedanterie ertrug. Ich hätte ihm und ſeinem Maurerglauben den Dienſt in Florenz opfern ſollen. Am 22. Februar ſchrieb mir S. M.: „Ueberbringer dieſer Zeilen [Cabinetsrath Wehrmann] hat mir Mittheilung von dem Auftrage gemacht, den Sie ihm für Sich gegeben haben. Wie können Sie nur daran denken, daß ich auf
1) Vgl. Bismarck-Jahrbuch I 76 ff.
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[204/0231]
Neuntes Kapitel: Reiſen. Regentſchaft.
Gleichwohl wurde er nach Frankfurt ernannt. Daß ich ihm
mit meinem Urtheil nicht Unrecht gethan, bewies ſein ſpäteres Ver¬
halten in Turin und Florenz. Er poſirte gerne als Stratege, auch
als „verfluchter Kerl“ und tief eingeweihter Verſchwörer, hatte Ver¬
kehr mit Garibaldi und Mazzini und that ſich etwas darauf zu
Gute. In der Neigung zu unterirdiſchen Verbindungen nahm er
in Turin einen angeblichen Mazziniſten, in der That öſtreichiſchen
Spitzel, als Privatſekretär an, gab ihm die Akten zu leſen und
den Chiffre in die Hände. Er war Wochen und Monate von
ſeinem Poſten abweſend, hinterließ Blanquets, auf welche die
Legationsſekretäre Berichte ſchrieben; ſo gelangten an das Aus¬
wärtige Amt Berichte mit ſeiner Unterſchrift über Unterredungen,
die er mit den italieniſchen Miniſtern gehabt haben ſollte, ohne
daß er dieſe Herrn in der betreffenden Zeit geſehn hatte. Aber
er war ein hoher Freimaurer. Als ich im Februar 1869 die Ab¬
berufung eines ſo unbrauchbaren und bedenklichen Beamten ver¬
langte, ſtieß ich bei dem Könige, der die Pflichten gegen die Brüder
mit einer faſt religiöſen Treue erfüllte, auf einen Widerſtand, der
auch durch meine mehrtägige Enthaltung von amtlicher Thätigkeit
nicht zu überwinden war und mich zu der Abſicht brachte, meinen
Abſchied zu erbitten 1). Indem ich jetzt nach mehr als 20 Jahren
die betreffenden Papiere wieder leſe, befällt mich eine Reue darüber,
daß ich damals, zwiſchen meine Ueberzeugung von dem Staats¬
intereſſe und meine perſönliche Liebe zu dem Könige geſtellt, der
erſtern gefolgt bin und folgen mußte. Ich fühle mich heut beſchämt
von der Liebenswürdigkeit, mit welcher der König meine amtliche
Pedanterie ertrug. Ich hätte ihm und ſeinem Maurerglauben den
Dienſt in Florenz opfern ſollen. Am 22. Februar ſchrieb mir
S. M.: „Ueberbringer dieſer Zeilen [Cabinetsrath Wehrmann] hat
mir Mittheilung von dem Auftrage gemacht, den Sie ihm für Sich
gegeben haben. Wie können Sie nur daran denken, daß ich auf
1)
Vgl. Bismarck-Jahrbuch I 76 ff.
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/231>, abgerufen am 29.11.2024.
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