Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Achtes Kapitel: Besuch in Paris.
Pflanzen darauf zogen, und daß ich ein Mann bin, der mit sich
reden läßt und Unrecht abthut, wenn ihm die Erkenntniß davon
wird. ... v. B." 1)

Gerlach erwiderte:

"Sanssouci, den 5. Junius 1857.

... Zunächst will ich gern die practische Seite Ihrer Ansicht
anerkennen. Nesselrode sagte hier mit Recht, ebenso wie Sie, daß,
so lange Buol regiere (Sie nennen richtig Bach zugleich mit), es
nicht möglich wäre, sich mit Oestreich zu stellen. Oestreich hätte
mit lauter Freundschafts-Versicherungen Europa gegen sie (d. i.
die Russen) gehetzt, ihnen das Stück Bessarabien entrissen und thäte
ihnen noch jetzt das gebrannte Herzeleid an. Aehnlich benimmt
es sich mit uns und hat sich während des orientalischen Krieges
scheuslich perfide benommen. Wenn Sie also sagen, man kann
nicht mit Oestreich gehen, so hat das eine relative Wahrheit,
und würden wir in casu concreto schwerlich uns hierüber ver¬
uneinigen. Vergessen Sie aber nicht, daß die Sünde stets wieder
die Sünde gebiert, und daß Oestreich uns auch ein Sündenregister
schlimmer Art vorhalten kann, z. B. die Abwehr des Einmarsches
1849 in den Badischen Seekreis, was den eigentlichen Verlust von
Neuenburg, das damals durch den Prinzen von Preußen zu er¬
obern war, bewirkt hat, dann die Radowitzische Politik, dann die
hochmüthige Behandlung des Interim, bei dem selbst Schwarzen¬
berg guten Willen hatte, und endlich eine Menge unbedeutenderer
Einzelnheiten: alles Repetitionen der Politik von 1793-1805.
Die Anschauung aber, daß unser schlechtes Verhältniß zu Oestreich
nur ein relatives sein darf, wird bei jeder Gelegenheit practisch,
indem sie einmal die Rache von unsrer Seite, weil sie nur zu
Unglück führen kann, verhindert und dann den Willen zur Ver¬
söhnung und Annäherung festhält und daher das, was eine solche
Annäherung unmöglich macht, vermeidet. Beides fehlt bei uns, und
warum? weil unsre Staatsmänner donnent dans le Bonapartisme.

1) Bismarcks Briefe an den General L. v. Gerlach S. 326 ff.

Achtes Kapitel: Beſuch in Paris.
Pflanzen darauf zogen, und daß ich ein Mann bin, der mit ſich
reden läßt und Unrecht abthut, wenn ihm die Erkenntniß davon
wird. ... v. B.“ 1)

Gerlach erwiderte:

„Sansſouci, den 5. Junius 1857.

... Zunächſt will ich gern die practiſche Seite Ihrer Anſicht
anerkennen. Neſſelrode ſagte hier mit Recht, ebenſo wie Sie, daß,
ſo lange Buol regiere (Sie nennen richtig Bach zugleich mit), es
nicht möglich wäre, ſich mit Oeſtreich zu ſtellen. Oeſtreich hätte
mit lauter Freundſchafts-Verſicherungen Europa gegen ſie (d. i.
die Ruſſen) gehetzt, ihnen das Stück Beſſarabien entriſſen und thäte
ihnen noch jetzt das gebrannte Herzeleid an. Aehnlich benimmt
es ſich mit uns und hat ſich während des orientaliſchen Krieges
ſcheuslich perfide benommen. Wenn Sie alſo ſagen, man kann
nicht mit Oeſtreich gehen, ſo hat das eine relative Wahrheit,
und würden wir in casu concreto ſchwerlich uns hierüber ver¬
uneinigen. Vergeſſen Sie aber nicht, daß die Sünde ſtets wieder
die Sünde gebiert, und daß Oeſtreich uns auch ein Sündenregiſter
ſchlimmer Art vorhalten kann, z. B. die Abwehr des Einmarſches
1849 in den Badiſchen Seekreis, was den eigentlichen Verluſt von
Neuenburg, das damals durch den Prinzen von Preußen zu er¬
obern war, bewirkt hat, dann die Radowitziſche Politik, dann die
hochmüthige Behandlung des Interim, bei dem ſelbſt Schwarzen¬
berg guten Willen hatte, und endlich eine Menge unbedeutenderer
Einzelnheiten: alles Repetitionen der Politik von 1793-1805.
Die Anſchauung aber, daß unſer ſchlechtes Verhältniß zu Oeſtreich
nur ein relatives ſein darf, wird bei jeder Gelegenheit practiſch,
indem ſie einmal die Rache von unſrer Seite, weil ſie nur zu
Unglück führen kann, verhindert und dann den Willen zur Ver¬
ſöhnung und Annäherung feſthält und daher das, was eine ſolche
Annäherung unmöglich macht, vermeidet. Beides fehlt bei uns, und
warum? weil unſre Staatsmänner donnent dans le Bonapartisme.

1) Bismarcks Briefe an den General L. v. Gerlach S. 326 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0213" n="186"/><fw place="top" type="header">Achtes Kapitel: Be&#x017F;uch in Paris.<lb/></fw> Pflanzen darauf zogen, und daß ich ein Mann bin, der mit &#x017F;ich<lb/>
reden läßt und Unrecht abthut, wenn ihm die Erkenntniß davon<lb/>
wird. ... v. B.&#x201C; <note place="foot" n="1)"><lb/>
Bismarcks Briefe an den General L. v. Gerlach S. 326 ff.</note></p><lb/>
          <p>Gerlach erwiderte:</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#right">&#x201E;Sans&#x017F;ouci, den 5. Junius 1857.</hi> </p><lb/>
          <p>... Zunäch&#x017F;t will ich gern die practi&#x017F;che Seite Ihrer An&#x017F;icht<lb/>
anerkennen. Ne&#x017F;&#x017F;elrode &#x017F;agte hier mit Recht, eben&#x017F;o wie Sie, daß,<lb/>
&#x017F;o lange Buol regiere (Sie nennen richtig Bach zugleich mit), es<lb/>
nicht möglich wäre, &#x017F;ich mit Oe&#x017F;treich zu &#x017F;tellen. Oe&#x017F;treich hätte<lb/>
mit lauter Freund&#x017F;chafts-Ver&#x017F;icherungen Europa gegen &#x017F;ie (d. i.<lb/>
die Ru&#x017F;&#x017F;en) gehetzt, ihnen das Stück Be&#x017F;&#x017F;arabien entri&#x017F;&#x017F;en und thäte<lb/>
ihnen noch jetzt das gebrannte Herzeleid an. Aehnlich benimmt<lb/>
es &#x017F;ich mit uns und hat &#x017F;ich während des orientali&#x017F;chen Krieges<lb/>
&#x017F;cheuslich perfide benommen. Wenn Sie al&#x017F;o &#x017F;agen, man kann<lb/>
nicht mit Oe&#x017F;treich gehen, &#x017F;o hat das eine <hi rendition="#g">relative</hi> Wahrheit,<lb/>
und würden wir in <hi rendition="#aq">casu concreto</hi> &#x017F;chwerlich uns hierüber ver¬<lb/>
uneinigen. Verge&#x017F;&#x017F;en Sie aber nicht, daß die Sünde &#x017F;tets wieder<lb/>
die Sünde gebiert, und daß Oe&#x017F;treich uns auch ein Sündenregi&#x017F;ter<lb/>
&#x017F;chlimmer Art vorhalten kann, z. B. die Abwehr des Einmar&#x017F;ches<lb/>
1849 in den Badi&#x017F;chen Seekreis, was den eigentlichen Verlu&#x017F;t von<lb/>
Neuenburg, das damals durch den Prinzen von Preußen zu er¬<lb/>
obern war, bewirkt hat, dann die Radowitzi&#x017F;che Politik, dann die<lb/>
hochmüthige Behandlung des Interim, bei dem &#x017F;elb&#x017F;t Schwarzen¬<lb/>
berg guten Willen hatte, und endlich eine Menge unbedeutenderer<lb/>
Einzelnheiten: alles Repetitionen der Politik von 1793-1805.<lb/>
Die An&#x017F;chauung aber, daß un&#x017F;er &#x017F;chlechtes Verhältniß zu Oe&#x017F;treich<lb/>
nur ein <hi rendition="#g">relatives</hi> &#x017F;ein darf, wird bei jeder Gelegenheit practi&#x017F;ch,<lb/>
indem &#x017F;ie einmal die Rache von un&#x017F;rer Seite, weil &#x017F;ie nur zu<lb/>
Unglück führen kann, verhindert und dann den Willen zur Ver¬<lb/>
&#x017F;öhnung und Annäherung fe&#x017F;thält und daher das, was eine &#x017F;olche<lb/>
Annäherung unmöglich macht, vermeidet. Beides fehlt bei uns, und<lb/>
warum? weil un&#x017F;re Staatsmänner <hi rendition="#aq">donnent dans le Bonapartisme</hi>.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[186/0213] Achtes Kapitel: Beſuch in Paris. Pflanzen darauf zogen, und daß ich ein Mann bin, der mit ſich reden läßt und Unrecht abthut, wenn ihm die Erkenntniß davon wird. ... v. B.“ 1) Gerlach erwiderte: „Sansſouci, den 5. Junius 1857. ... Zunächſt will ich gern die practiſche Seite Ihrer Anſicht anerkennen. Neſſelrode ſagte hier mit Recht, ebenſo wie Sie, daß, ſo lange Buol regiere (Sie nennen richtig Bach zugleich mit), es nicht möglich wäre, ſich mit Oeſtreich zu ſtellen. Oeſtreich hätte mit lauter Freundſchafts-Verſicherungen Europa gegen ſie (d. i. die Ruſſen) gehetzt, ihnen das Stück Beſſarabien entriſſen und thäte ihnen noch jetzt das gebrannte Herzeleid an. Aehnlich benimmt es ſich mit uns und hat ſich während des orientaliſchen Krieges ſcheuslich perfide benommen. Wenn Sie alſo ſagen, man kann nicht mit Oeſtreich gehen, ſo hat das eine relative Wahrheit, und würden wir in casu concreto ſchwerlich uns hierüber ver¬ uneinigen. Vergeſſen Sie aber nicht, daß die Sünde ſtets wieder die Sünde gebiert, und daß Oeſtreich uns auch ein Sündenregiſter ſchlimmer Art vorhalten kann, z. B. die Abwehr des Einmarſches 1849 in den Badiſchen Seekreis, was den eigentlichen Verluſt von Neuenburg, das damals durch den Prinzen von Preußen zu er¬ obern war, bewirkt hat, dann die Radowitziſche Politik, dann die hochmüthige Behandlung des Interim, bei dem ſelbſt Schwarzen¬ berg guten Willen hatte, und endlich eine Menge unbedeutenderer Einzelnheiten: alles Repetitionen der Politik von 1793-1805. Die Anſchauung aber, daß unſer ſchlechtes Verhältniß zu Oeſtreich nur ein relatives ſein darf, wird bei jeder Gelegenheit practiſch, indem ſie einmal die Rache von unſrer Seite, weil ſie nur zu Unglück führen kann, verhindert und dann den Willen zur Ver¬ ſöhnung und Annäherung feſthält und daher das, was eine ſolche Annäherung unmöglich macht, vermeidet. Beides fehlt bei uns, und warum? weil unſre Staatsmänner donnent dans le Bonapartisme. 1) Bismarcks Briefe an den General L. v. Gerlach S. 326 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/213
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/213>, abgerufen am 22.11.2024.