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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Achtes Kapitel: Besuch in Paris.
brechen zu helfen, war eine ausgezeichnete Dummheit; schnell, nach¬
drücklich und bis zum letzten Hauch hätten wir gegen Napoleon
eingreifen sollen. Stillzusitzen war noch unverständiger, als für
Frankreich Partei zu nehmen; nachdem wir aber diese Gelegenheit
hatten vorbeigehn lassen, so mußten wir auch 1806 a tout prix
Friede halten und eine bessere abwarten.

Ich bin garnicht für ,Defensiv-Politik', ich sage nur, daß
wir ohne aggressive Absichten und Verpflichtungen uns auf die
Annäherungsversuche Frankreichs einlassen können, daß dieses Ver¬
halten grade den Vortheil bietet, uns jede Thür offen, jede Wen¬
dung frei zu erhalten, bis die Lage der Dinge fester und durch¬
sichtiger wird, daß ich die empfohlene Richtung nicht als conspirirend
gegen Andre, sondern nur als vorsorglich für unsre Nothwehr
auffasse.

Sie sagen, ,Frankreich wird auch nicht mehr für uns thun
als Oestreich und die Mittelstaaten'; ich glaube, daß niemand
etwas für uns thut, der nicht zugleich sein Interesse dabei findet.
Die Richtung aber, in welcher Oestreich und die Mittelstaaten gegen¬
wärtig ihre Interessen verfolgen, ist mit den Aufgaben, welche
für Preußen Lebensfragen sind, ganz incompatibel, und eine
Gemeinschaftlichkeit der Politik garnicht möglich, bevor Oestreich
nicht ein bescheidneres System uns gegenüber adoptirt, wozu bisher
wenig Aussicht. Sie stimmen mit mir darin überein, daß wir ,den
kleinen Staaten die Ueberlegenheit Preußens zeigen müssen'; aber
welche Mittel haben wir dazu innerhalb der Bundesacte? Eine
Stimme unter siebzehn und Oestreich gegen uns, damit ist nicht
viel auszurichten.

Der Besuch L. Napoleons bei uns würde aus den anderweit
von mir vorgetragnen Gründen unsrer Stimme an und für sich
schon ein durchschlagenderes Gewicht geben. Sie werden rücksicht¬
voll und selbst anhänglich für uns sein im genauen Verhältniß
ihrer Furcht vor uns; Vertrauen werden sie nie zu uns haben;
jeder Blick auf die Karte benimmt es ihnen, und sie wissen, daß ihre

Achtes Kapitel: Beſuch in Paris.
brechen zu helfen, war eine ausgezeichnete Dummheit; ſchnell, nach¬
drücklich und bis zum letzten Hauch hätten wir gegen Napoleon
eingreifen ſollen. Stillzuſitzen war noch unverſtändiger, als für
Frankreich Partei zu nehmen; nachdem wir aber dieſe Gelegenheit
hatten vorbeigehn laſſen, ſo mußten wir auch 1806 à tout prix
Friede halten und eine beſſere abwarten.

Ich bin garnicht für ‚Defenſiv-Politik‘, ich ſage nur, daß
wir ohne aggreſſive Abſichten und Verpflichtungen uns auf die
Annäherungsverſuche Frankreichs einlaſſen können, daß dieſes Ver¬
halten grade den Vortheil bietet, uns jede Thür offen, jede Wen¬
dung frei zu erhalten, bis die Lage der Dinge feſter und durch¬
ſichtiger wird, daß ich die empfohlene Richtung nicht als conſpirirend
gegen Andre, ſondern nur als vorſorglich für unſre Nothwehr
auffaſſe.

Sie ſagen, ‚Frankreich wird auch nicht mehr für uns thun
als Oeſtreich und die Mittelſtaaten‘; ich glaube, daß niemand
etwas für uns thut, der nicht zugleich ſein Intereſſe dabei findet.
Die Richtung aber, in welcher Oeſtreich und die Mittelſtaaten gegen¬
wärtig ihre Intereſſen verfolgen, iſt mit den Aufgaben, welche
für Preußen Lebensfragen ſind, ganz incompatibel, und eine
Gemeinſchaftlichkeit der Politik garnicht möglich, bevor Oeſtreich
nicht ein beſcheidneres Syſtem uns gegenüber adoptirt, wozu bisher
wenig Ausſicht. Sie ſtimmen mit mir darin überein, daß wir ,den
kleinen Staaten die Ueberlegenheit Preußens zeigen müſſen‘; aber
welche Mittel haben wir dazu innerhalb der Bundesacte? Eine
Stimme unter ſiebzehn und Oeſtreich gegen uns, damit iſt nicht
viel auszurichten.

Der Beſuch L. Napoleons bei uns würde aus den anderweit
von mir vorgetragnen Gründen unſrer Stimme an und für ſich
ſchon ein durchſchlagenderes Gewicht geben. Sie werden rückſicht¬
voll und ſelbſt anhänglich für uns ſein im genauen Verhältniß
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[184/0211] Achtes Kapitel: Beſuch in Paris. brechen zu helfen, war eine ausgezeichnete Dummheit; ſchnell, nach¬ drücklich und bis zum letzten Hauch hätten wir gegen Napoleon eingreifen ſollen. Stillzuſitzen war noch unverſtändiger, als für Frankreich Partei zu nehmen; nachdem wir aber dieſe Gelegenheit hatten vorbeigehn laſſen, ſo mußten wir auch 1806 à tout prix Friede halten und eine beſſere abwarten. Ich bin garnicht für ‚Defenſiv-Politik‘, ich ſage nur, daß wir ohne aggreſſive Abſichten und Verpflichtungen uns auf die Annäherungsverſuche Frankreichs einlaſſen können, daß dieſes Ver¬ halten grade den Vortheil bietet, uns jede Thür offen, jede Wen¬ dung frei zu erhalten, bis die Lage der Dinge feſter und durch¬ ſichtiger wird, daß ich die empfohlene Richtung nicht als conſpirirend gegen Andre, ſondern nur als vorſorglich für unſre Nothwehr auffaſſe. Sie ſagen, ‚Frankreich wird auch nicht mehr für uns thun als Oeſtreich und die Mittelſtaaten‘; ich glaube, daß niemand etwas für uns thut, der nicht zugleich ſein Intereſſe dabei findet. Die Richtung aber, in welcher Oeſtreich und die Mittelſtaaten gegen¬ wärtig ihre Intereſſen verfolgen, iſt mit den Aufgaben, welche für Preußen Lebensfragen ſind, ganz incompatibel, und eine Gemeinſchaftlichkeit der Politik garnicht möglich, bevor Oeſtreich nicht ein beſcheidneres Syſtem uns gegenüber adoptirt, wozu bisher wenig Ausſicht. Sie ſtimmen mit mir darin überein, daß wir ,den kleinen Staaten die Ueberlegenheit Preußens zeigen müſſen‘; aber welche Mittel haben wir dazu innerhalb der Bundesacte? Eine Stimme unter ſiebzehn und Oeſtreich gegen uns, damit iſt nicht viel auszurichten. Der Beſuch L. Napoleons bei uns würde aus den anderweit von mir vorgetragnen Gründen unſrer Stimme an und für ſich ſchon ein durchſchlagenderes Gewicht geben. Sie werden rückſicht¬ voll und ſelbſt anhänglich für uns ſein im genauen Verhältniß ihrer Furcht vor uns; Vertrauen werden ſie nie zu uns haben; jeder Blick auf die Karte benimmt es ihnen, und ſie wiſſen, daß ihre

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/211>, abgerufen am 25.11.2024.