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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Achtes Kapitel: Besuch in Paris.

Ich finde das ,Besondre', welches uns heut zu Tage bestimmt,
grade die französische Revolution vorzugsweise als Revolution
zu bezeichnen, nicht in der Familie Bonaparte, sondern in der ört¬
lichen und zeitlichen Nähe der Ereignisse und in der Größe und
Macht des Landes, auf dessen Boden sie sich zutragen. Deßhalb
sind sie gefährlicher, aber ich finde es deßhalb noch nicht schlechter,
mit Bonaparte in Beziehung zu stehn, als mit andern von der
Revolution erzeugten Existenzen, oder mit Regirungen, welche sich
freiwillig mit ihr identificiren, wie Oestreich, und für die Aus¬
breitung revolutionärer Grundsätze thätig sind, wie England. Ich
will mit diesem allen keine Apologie der Personen und Zustände
in Frankreich geben; ich habe für die erstern keine Vorliebe und
halte die letztern für ein Unglück jenes Landes; ich will nur er¬
klären, wie ich dazu komme, daß es mir weder sündlich noch ehren¬
rührig erscheint, mit dem von uns anerkannten Souverän eines
wichtigen Landes in nähere Verbindung zu treten, wenn es der
Gang der Politik mit sich bringt. Daß diese Verbindung an sich
etwas Wünschenswerthes sei, sage ich nicht, sondern nur, daß alle
andern Chancen schlechter sind, und daß wir, um sie zu bessern,
durch die Wirklichkeit oder den Schein intimerer Beziehungen zu
Frankreich hindurch müssen. Nur durch dieses Mittel können wir
Oestreich so weit zur Vernunft und zur Verzichtleistung auf seinen
überspannten Schwarzenbergischen Ehrgeiz bringen, daß es die
Verständigung mit uns statt unsrer Uebervortheilung sucht, und
nur durch dieses Mittel können wir die weitre Entwicklung der
directen Beziehungen der deutschen Mittelstaaten zu Frankreich
hemmen. Auch England wird anfangen zu erkennen, wie wichtig
ihm die Allianz Preußens ist, wenn es erst fürchtet, sie an Frank¬
reich zu verlieren. Also auch wenn ich mich auf Ihren Stand¬
punkt der Neigung für Oestreich und England stellte, müssen wir
bei Frankreich anfangen, um jene zur Erkenntniß zu bringen.

Sie sehn in Ihrem Schreiben voraus, verehrtester Freund, daß
wir in einer preußisch-französisch-russischen Allianz eine geringe Rolle

Achtes Kapitel: Beſuch in Paris.

Ich finde das ‚Beſondre‘, welches uns heut zu Tage beſtimmt,
grade die franzöſiſche Revolution vorzugsweiſe als Revolution
zu bezeichnen, nicht in der Familie Bonaparte, ſondern in der ört¬
lichen und zeitlichen Nähe der Ereigniſſe und in der Größe und
Macht des Landes, auf deſſen Boden ſie ſich zutragen. Deßhalb
ſind ſie gefährlicher, aber ich finde es deßhalb noch nicht ſchlechter,
mit Bonaparte in Beziehung zu ſtehn, als mit andern von der
Revolution erzeugten Exiſtenzen, oder mit Regirungen, welche ſich
freiwillig mit ihr identificiren, wie Oeſtreich, und für die Aus¬
breitung revolutionärer Grundſätze thätig ſind, wie England. Ich
will mit dieſem allen keine Apologie der Perſonen und Zuſtände
in Frankreich geben; ich habe für die erſtern keine Vorliebe und
halte die letztern für ein Unglück jenes Landes; ich will nur er¬
klären, wie ich dazu komme, daß es mir weder ſündlich noch ehren¬
rührig erſcheint, mit dem von uns anerkannten Souverän eines
wichtigen Landes in nähere Verbindung zu treten, wenn es der
Gang der Politik mit ſich bringt. Daß dieſe Verbindung an ſich
etwas Wünſchenswerthes ſei, ſage ich nicht, ſondern nur, daß alle
andern Chancen ſchlechter ſind, und daß wir, um ſie zu beſſern,
durch die Wirklichkeit oder den Schein intimerer Beziehungen zu
Frankreich hindurch müſſen. Nur durch dieſes Mittel können wir
Oeſtreich ſo weit zur Vernunft und zur Verzichtleiſtung auf ſeinen
überſpannten Schwarzenbergiſchen Ehrgeiz bringen, daß es die
Verſtändigung mit uns ſtatt unſrer Uebervortheilung ſucht, und
nur durch dieſes Mittel können wir die weitre Entwicklung der
directen Beziehungen der deutſchen Mittelſtaaten zu Frankreich
hemmen. Auch England wird anfangen zu erkennen, wie wichtig
ihm die Allianz Preußens iſt, wenn es erſt fürchtet, ſie an Frank¬
reich zu verlieren. Alſo auch wenn ich mich auf Ihren Stand¬
punkt der Neigung für Oeſtreich und England ſtellte, müſſen wir
bei Frankreich anfangen, um jene zur Erkenntniß zu bringen.

Sie ſehn in Ihrem Schreiben voraus, verehrteſter Freund, daß
wir in einer preußiſch-franzöſiſch-ruſſiſchen Allianz eine geringe Rolle

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[182/0209] Achtes Kapitel: Beſuch in Paris. Ich finde das ‚Beſondre‘, welches uns heut zu Tage beſtimmt, grade die franzöſiſche Revolution vorzugsweiſe als Revolution zu bezeichnen, nicht in der Familie Bonaparte, ſondern in der ört¬ lichen und zeitlichen Nähe der Ereigniſſe und in der Größe und Macht des Landes, auf deſſen Boden ſie ſich zutragen. Deßhalb ſind ſie gefährlicher, aber ich finde es deßhalb noch nicht ſchlechter, mit Bonaparte in Beziehung zu ſtehn, als mit andern von der Revolution erzeugten Exiſtenzen, oder mit Regirungen, welche ſich freiwillig mit ihr identificiren, wie Oeſtreich, und für die Aus¬ breitung revolutionärer Grundſätze thätig ſind, wie England. Ich will mit dieſem allen keine Apologie der Perſonen und Zuſtände in Frankreich geben; ich habe für die erſtern keine Vorliebe und halte die letztern für ein Unglück jenes Landes; ich will nur er¬ klären, wie ich dazu komme, daß es mir weder ſündlich noch ehren¬ rührig erſcheint, mit dem von uns anerkannten Souverän eines wichtigen Landes in nähere Verbindung zu treten, wenn es der Gang der Politik mit ſich bringt. Daß dieſe Verbindung an ſich etwas Wünſchenswerthes ſei, ſage ich nicht, ſondern nur, daß alle andern Chancen ſchlechter ſind, und daß wir, um ſie zu beſſern, durch die Wirklichkeit oder den Schein intimerer Beziehungen zu Frankreich hindurch müſſen. Nur durch dieſes Mittel können wir Oeſtreich ſo weit zur Vernunft und zur Verzichtleiſtung auf ſeinen überſpannten Schwarzenbergiſchen Ehrgeiz bringen, daß es die Verſtändigung mit uns ſtatt unſrer Uebervortheilung ſucht, und nur durch dieſes Mittel können wir die weitre Entwicklung der directen Beziehungen der deutſchen Mittelſtaaten zu Frankreich hemmen. Auch England wird anfangen zu erkennen, wie wichtig ihm die Allianz Preußens iſt, wenn es erſt fürchtet, ſie an Frank¬ reich zu verlieren. Alſo auch wenn ich mich auf Ihren Stand¬ punkt der Neigung für Oeſtreich und England ſtellte, müſſen wir bei Frankreich anfangen, um jene zur Erkenntniß zu bringen. Sie ſehn in Ihrem Schreiben voraus, verehrteſter Freund, daß wir in einer preußiſch-franzöſiſch-ruſſiſchen Allianz eine geringe Rolle

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/209>, abgerufen am 14.05.2024.