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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Unterredung mit Napoleon III. Verstimmung des Königs.
wieder genähert hatte, fragte er mich einmal bei Tafel quer über
den Tisch nach meiner Meinung über Louis Napoleon; sein Ton
war ironisch. Ich antwortete: "Ich habe den Eindruck, daß der
Kaiser Napoleon ein gescheidter und liebenswürdiger Mann, aber
so klug nicht ist, wie die Welt ihn schätzt, die Alles, was vorgeht,
auf seine Rechnung schreibt, und wenn es in Ostasien zur unrechten
Zeit regnet, das aus einer übelwollenden Machination des Kaisers
erklären will. Man hat sich besonders bei uns daran gewöhnt,
ihn als eine Art genie du mal zu betrachten, das immer nur
darüber nachdenke, wie es in der Welt Unfug anrichten könne1).
Ich glaube, daß er froh ist, wenn er etwas Gutes in Ruhe genießen
kann; sein Verstand wird auf Kosten seines Herzens überschätzt; er
ist im Grunde gutmüthig und es ist ihm ein ungewöhnliches Maß
von Dankbarkeit für jeden geleisteten Dienst eigen."

Der König lachte dazu in einer Weise, die mich verdroß und zu
der Frage veranlaßte, ob ich mir gestatten dürfe, die augenblicklichen
Gedanken Sr. Majestät zu errathen. Der König bejahte und ich sagte:

"General von Canitz hielt den jungen Offizieren in der Kriegs¬
akademie Vorträge über Napoleon's Feldzüge. Ein strebsamer Zu¬
hörer fragte ihn, warum Napoleon diese oder jene Bewegung unter¬
lassen haben könne. Canitz antwortete: ,Ja, sehn Sie, wie dieser
Napoleon eben war, ein seelensguter Kerl, aber dumm, dumm' --
was natürlich die große Heiterkeit der Kriegsschüler erregte. Ich
fürchte, daß Eurer Majestät Gedanken über mich denen des Generals
von Canitz über Napoleon ähnlich sind."

Der König sagte lachend: "Sie mögen Recht haben; aber ich
kenne den jetzigen Napoleon nicht hinreichend, um Ihren Eindruck
bestreiten zu können, daß sein Herz besser sei, als sein Kopf." Daß
die Königin mit meiner Ansicht unzufrieden war, konnte ich aus
den kleinen Aeußerlichkeiten entnehmen, durch welche sich bei Hofe
die Eindrücke kenntlich machen.

1) Vgl. die Aeußerung Bismarck's in der Reichstagsrede vom 8. Januar
1885, Politische Reden X 373.

Unterredung mit Napoleon III. Verſtimmung des Königs.
wieder genähert hatte, fragte er mich einmal bei Tafel quer über
den Tiſch nach meiner Meinung über Louis Napoleon; ſein Ton
war ironiſch. Ich antwortete: „Ich habe den Eindruck, daß der
Kaiſer Napoleon ein geſcheidter und liebenswürdiger Mann, aber
ſo klug nicht iſt, wie die Welt ihn ſchätzt, die Alles, was vorgeht,
auf ſeine Rechnung ſchreibt, und wenn es in Oſtaſien zur unrechten
Zeit regnet, das aus einer übelwollenden Machination des Kaiſers
erklären will. Man hat ſich beſonders bei uns daran gewöhnt,
ihn als eine Art génie du mal zu betrachten, das immer nur
darüber nachdenke, wie es in der Welt Unfug anrichten könne1).
Ich glaube, daß er froh iſt, wenn er etwas Gutes in Ruhe genießen
kann; ſein Verſtand wird auf Koſten ſeines Herzens überſchätzt; er
iſt im Grunde gutmüthig und es iſt ihm ein ungewöhnliches Maß
von Dankbarkeit für jeden geleiſteten Dienſt eigen.“

Der König lachte dazu in einer Weiſe, die mich verdroß und zu
der Frage veranlaßte, ob ich mir geſtatten dürfe, die augenblicklichen
Gedanken Sr. Majeſtät zu errathen. Der König bejahte und ich ſagte:

„General von Canitz hielt den jungen Offizieren in der Kriegs¬
akademie Vorträge über Napoleon's Feldzüge. Ein ſtrebſamer Zu¬
hörer fragte ihn, warum Napoleon dieſe oder jene Bewegung unter¬
laſſen haben könne. Canitz antwortete: ,Ja, ſehn Sie, wie dieſer
Napoleon eben war, ein ſeelensguter Kerl, aber dumm, dumm‘ —
was natürlich die große Heiterkeit der Kriegsſchüler erregte. Ich
fürchte, daß Eurer Majeſtät Gedanken über mich denen des Generals
von Canitz über Napoleon ähnlich ſind.“

Der König ſagte lachend: „Sie mögen Recht haben; aber ich
kenne den jetzigen Napoleon nicht hinreichend, um Ihren Eindruck
beſtreiten zu können, daß ſein Herz beſſer ſei, als ſein Kopf.“ Daß
die Königin mit meiner Anſicht unzufrieden war, konnte ich aus
den kleinen Aeußerlichkeiten entnehmen, durch welche ſich bei Hofe
die Eindrücke kenntlich machen.

1) Vgl. die Aeußerung Bismarck's in der Reichstagsrede vom 8. Januar
1885, Politiſche Reden X 373.
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[155/0182] Unterredung mit Napoleon III. Verſtimmung des Königs. wieder genähert hatte, fragte er mich einmal bei Tafel quer über den Tiſch nach meiner Meinung über Louis Napoleon; ſein Ton war ironiſch. Ich antwortete: „Ich habe den Eindruck, daß der Kaiſer Napoleon ein geſcheidter und liebenswürdiger Mann, aber ſo klug nicht iſt, wie die Welt ihn ſchätzt, die Alles, was vorgeht, auf ſeine Rechnung ſchreibt, und wenn es in Oſtaſien zur unrechten Zeit regnet, das aus einer übelwollenden Machination des Kaiſers erklären will. Man hat ſich beſonders bei uns daran gewöhnt, ihn als eine Art génie du mal zu betrachten, das immer nur darüber nachdenke, wie es in der Welt Unfug anrichten könne 1). Ich glaube, daß er froh iſt, wenn er etwas Gutes in Ruhe genießen kann; ſein Verſtand wird auf Koſten ſeines Herzens überſchätzt; er iſt im Grunde gutmüthig und es iſt ihm ein ungewöhnliches Maß von Dankbarkeit für jeden geleiſteten Dienſt eigen.“ Der König lachte dazu in einer Weiſe, die mich verdroß und zu der Frage veranlaßte, ob ich mir geſtatten dürfe, die augenblicklichen Gedanken Sr. Majeſtät zu errathen. Der König bejahte und ich ſagte: „General von Canitz hielt den jungen Offizieren in der Kriegs¬ akademie Vorträge über Napoleon's Feldzüge. Ein ſtrebſamer Zu¬ hörer fragte ihn, warum Napoleon dieſe oder jene Bewegung unter¬ laſſen haben könne. Canitz antwortete: ,Ja, ſehn Sie, wie dieſer Napoleon eben war, ein ſeelensguter Kerl, aber dumm, dumm‘ — was natürlich die große Heiterkeit der Kriegsſchüler erregte. Ich fürchte, daß Eurer Majeſtät Gedanken über mich denen des Generals von Canitz über Napoleon ähnlich ſind.“ Der König ſagte lachend: „Sie mögen Recht haben; aber ich kenne den jetzigen Napoleon nicht hinreichend, um Ihren Eindruck beſtreiten zu können, daß ſein Herz beſſer ſei, als ſein Kopf.“ Daß die Königin mit meiner Anſicht unzufrieden war, konnte ich aus den kleinen Aeußerlichkeiten entnehmen, durch welche ſich bei Hofe die Eindrücke kenntlich machen. 1) Vgl. die Aeußerung Bismarck's in der Reichstagsrede vom 8. Januar 1885, Politiſche Reden X 373.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/182>, abgerufen am 24.11.2024.