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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Brief an L. v. Gerlach.
einschränken. Ueber die conditions particulieres, welche von den
kriegführenden Mächten werden aufgestellt werden, bleibt uns
und dem Bunde das freie Urtheil vorbehalten, in Betreff der von
Oestreich aufzustellenden aber nicht, und was die Interpretation der
4 Punkte anbelangt, so ist die Annahme, daß darüber Preußen
und Deutschland sich im Voraus der Auffassung ihrer sie ver¬
tretenden Schutzmacht Oestreich anschließen, dadurch gerechtfertigt,
daß unser früher deßhalb begehrter Vorbehalt von Baiern und
Oestreich abgelehnt ist, und nur uns dabei beruhigt haben.

Diese ganze Berechnung zerreißen wir, wenn wir hier jetzt
ablehnen, uns auszusprechen, bis unsrer Ansicht nach die Zeit dazu
gekommen sein wird. So lange wir diese Haltung annehmen,
bedarf man unser noch und wird um uns werben. Man wird
hier auch schwerlich den Versuch machen, uns zu majorisiren; selbst
Sachsen und Baiern stehn nur in der ,Vorausseßung' unsres Ein¬
verständnisses zu dem dermaligen östreichischen Entwurfe; sie haben
sich daran gewöhnt, daß wir schließlich nachlassen, und deßhalb er¬
lauben sie sich solche Voraussetzungen. Wenn wir aber den Muth
unsrer Meinung haben, wird man es auch der Mühe werth finden,
bei Entscheidungen über deutsche Politik die Erklärung Preußens
abzuwarten. Wenn wir fest auf Aufschub des Beschlusses ver¬
harren und das den deutschen Höfen erklären, so steht uns noch
heut eine gute Majorität zur Seite, selbst wenn, was nicht der
Fall sein wird, Sachsen und Baiern sich schon mit Kopf und
Kragen an Buol verkauft hätten.

Wollen wir es darauf nicht ankommen lassen, so müssen wir
uns auch darauf gefaßt machen, daß Sardinien und die Türkei
in Paris selbständig über die Wahrung der deutschen Interessen
in den beiden vom Bunde angeeigneten Punkten berathen, während
wir durch Oestreich dabei vertreten werden. Und wir werden nicht
einmal die ersten in dem Schweife Oestreichs sein, denn Graf Buol
wird sich bei Erfüllung seines präsumtiven Mandats für Deutsch¬
land noch eher bei Pfordten und Beust Rath holen, als bei Man¬

Brief an L. v. Gerlach.
einſchränken. Ueber die conditions particulières, welche von den
kriegführenden Mächten werden aufgeſtellt werden, bleibt uns
und dem Bunde das freie Urtheil vorbehalten, in Betreff der von
Oeſtreich aufzuſtellenden aber nicht, und was die Interpretation der
4 Punkte anbelangt, ſo iſt die Annahme, daß darüber Preußen
und Deutſchland ſich im Voraus der Auffaſſung ihrer ſie ver¬
tretenden Schutzmacht Oeſtreich anſchließen, dadurch gerechtfertigt,
daß unſer früher deßhalb begehrter Vorbehalt von Baiern und
Oeſtreich abgelehnt iſt, und nur uns dabei beruhigt haben.

Dieſe ganze Berechnung zerreißen wir, wenn wir hier jetzt
ablehnen, uns auszuſprechen, bis unſrer Anſicht nach die Zeit dazu
gekommen ſein wird. So lange wir dieſe Haltung annehmen,
bedarf man unſer noch und wird um uns werben. Man wird
hier auch ſchwerlich den Verſuch machen, uns zu majoriſiren; ſelbſt
Sachſen und Baiern ſtehn nur in der ,Vorausſeßung‘ unſres Ein¬
verſtändniſſes zu dem dermaligen öſtreichiſchen Entwurfe; ſie haben
ſich daran gewöhnt, daß wir ſchließlich nachlaſſen, und deßhalb er¬
lauben ſie ſich ſolche Vorausſetzungen. Wenn wir aber den Muth
unſrer Meinung haben, wird man es auch der Mühe werth finden,
bei Entſcheidungen über deutſche Politik die Erklärung Preußens
abzuwarten. Wenn wir feſt auf Aufſchub des Beſchluſſes ver¬
harren und das den deutſchen Höfen erklären, ſo ſteht uns noch
heut eine gute Majorität zur Seite, ſelbſt wenn, was nicht der
Fall ſein wird, Sachſen und Baiern ſich ſchon mit Kopf und
Kragen an Buol verkauft hätten.

Wollen wir es darauf nicht ankommen laſſen, ſo müſſen wir
uns auch darauf gefaßt machen, daß Sardinien und die Türkei
in Paris ſelbſtändig über die Wahrung der deutſchen Intereſſen
in den beiden vom Bunde angeeigneten Punkten berathen, während
wir durch Oeſtreich dabei vertreten werden. Und wir werden nicht
einmal die erſten in dem Schweife Oeſtreichs ſein, denn Graf Buol
wird ſich bei Erfüllung ſeines präſumtiven Mandats für Deutſch¬
land noch eher bei Pfordten und Beuſt Rath holen, als bei Man¬

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[119/0146] Brief an L. v. Gerlach. einſchränken. Ueber die conditions particulières, welche von den kriegführenden Mächten werden aufgeſtellt werden, bleibt uns und dem Bunde das freie Urtheil vorbehalten, in Betreff der von Oeſtreich aufzuſtellenden aber nicht, und was die Interpretation der 4 Punkte anbelangt, ſo iſt die Annahme, daß darüber Preußen und Deutſchland ſich im Voraus der Auffaſſung ihrer ſie ver¬ tretenden Schutzmacht Oeſtreich anſchließen, dadurch gerechtfertigt, daß unſer früher deßhalb begehrter Vorbehalt von Baiern und Oeſtreich abgelehnt iſt, und nur uns dabei beruhigt haben. Dieſe ganze Berechnung zerreißen wir, wenn wir hier jetzt ablehnen, uns auszuſprechen, bis unſrer Anſicht nach die Zeit dazu gekommen ſein wird. So lange wir dieſe Haltung annehmen, bedarf man unſer noch und wird um uns werben. Man wird hier auch ſchwerlich den Verſuch machen, uns zu majoriſiren; ſelbſt Sachſen und Baiern ſtehn nur in der ,Vorausſeßung‘ unſres Ein¬ verſtändniſſes zu dem dermaligen öſtreichiſchen Entwurfe; ſie haben ſich daran gewöhnt, daß wir ſchließlich nachlaſſen, und deßhalb er¬ lauben ſie ſich ſolche Vorausſetzungen. Wenn wir aber den Muth unſrer Meinung haben, wird man es auch der Mühe werth finden, bei Entſcheidungen über deutſche Politik die Erklärung Preußens abzuwarten. Wenn wir feſt auf Aufſchub des Beſchluſſes ver¬ harren und das den deutſchen Höfen erklären, ſo ſteht uns noch heut eine gute Majorität zur Seite, ſelbſt wenn, was nicht der Fall ſein wird, Sachſen und Baiern ſich ſchon mit Kopf und Kragen an Buol verkauft hätten. Wollen wir es darauf nicht ankommen laſſen, ſo müſſen wir uns auch darauf gefaßt machen, daß Sardinien und die Türkei in Paris ſelbſtändig über die Wahrung der deutſchen Intereſſen in den beiden vom Bunde angeeigneten Punkten berathen, während wir durch Oeſtreich dabei vertreten werden. Und wir werden nicht einmal die erſten in dem Schweife Oeſtreichs ſein, denn Graf Buol wird ſich bei Erfüllung ſeines präſumtiven Mandats für Deutſch¬ land noch eher bei Pfordten und Beuſt Rath holen, als bei Man¬

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/146>, abgerufen am 23.11.2024.