Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg. werden' und ,die Stellung als Großmacht zu verlieren'. Diegrößten Albernheiten, die zu denken sind: denn von einem Concert europeen zu sprechen, wenn zwei Mächte mit einer dritten im Kriege sind, ist doch geradezu ein hölzernes Eisen, und unsre Stellung als Großmacht verdanken wir doch wahrhaftig nicht der Gefälligkeit von London, Paris und Wien, sondern unsrem guten Schwerte. Ueberdem aber spielt überall eine Empfindlichkeit gegen Rußland mit, die ich vollkommen begreife, und auch theile, der man aber jetzt nicht nachgeben kann, ohne zugleich uns selbst zu züchtigen. Wo man nicht wahr gegen sich selbst ist, ist man allemal auch Die folgenden Brieffragmente sind wieder von Gerlach. "Sanssouci, 13. October 1854. ... Seitdem ich alles gelesen und nach Kräften gegen einander Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg. werden‘ und ,die Stellung als Großmacht zu verlieren‘. Diegrößten Albernheiten, die zu denken ſind: denn von einem Concert européen zu ſprechen, wenn zwei Mächte mit einer dritten im Kriege ſind, iſt doch geradezu ein hölzernes Eiſen, und unſre Stellung als Großmacht verdanken wir doch wahrhaftig nicht der Gefälligkeit von London, Paris und Wien, ſondern unſrem guten Schwerte. Ueberdem aber ſpielt überall eine Empfindlichkeit gegen Rußland mit, die ich vollkommen begreife, und auch theile, der man aber jetzt nicht nachgeben kann, ohne zugleich uns ſelbſt zu züchtigen. Wo man nicht wahr gegen ſich ſelbſt iſt, iſt man allemal auch Die folgenden Brieffragmente ſind wieder von Gerlach. „Sansſouci, 13. October 1854. ... Seitdem ich alles geleſen und nach Kräften gegen einander <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0131" n="104"/><fw place="top" type="header">Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg.<lb/></fw> werden‘ und ,die Stellung als Großmacht zu verlieren‘. Die<lb/> größten Albernheiten, die zu denken ſind: denn von einem <hi rendition="#aq">Concert<lb/> européen</hi> zu ſprechen, wenn zwei Mächte mit einer dritten im<lb/> Kriege ſind, iſt doch geradezu ein hölzernes Eiſen, und unſre<lb/> Stellung als Großmacht verdanken wir doch wahrhaftig nicht der<lb/> Gefälligkeit von London, Paris und Wien, ſondern unſrem guten<lb/> Schwerte. Ueberdem aber ſpielt überall eine Empfindlichkeit gegen<lb/> Rußland mit, die ich vollkommen begreife, und auch theile, der man<lb/> aber jetzt nicht nachgeben kann, ohne zugleich uns ſelbſt zu züchtigen.<lb/></p> <p>Wo man nicht wahr gegen ſich ſelbſt iſt, iſt man allemal auch<lb/> nicht klar. Und ſo leben und handeln wir zwar nicht in ſolcher<lb/> Unklarheit, wie in Wien, wo man wie ein Schlaftrunkener alle<lb/> Augenblicke handelt, als ob man ſchon im Kriege mit Rußland<lb/> wäre: aber wie man neutral und Friedensvermittler ſein, und zu¬<lb/> gleich Propoſitionen, wie die letzten der Seemächte empfehlen kann,<lb/> verſtehe ich mit meinen ſchwachen Verſtandeskräften nicht.“</p><lb/> <p>Die folgenden Brieffragmente ſind wieder von Gerlach.</p><lb/> <p> <hi rendition="#right">„Sansſouci, 13. October 1854.</hi> </p><lb/> <p>... Seitdem ich alles geleſen und nach Kräften gegen einander<lb/> abgewogen habe, halte ich es für ſehr wahrſcheinlich, daß die<lb/> zwei Drittel Stimmen Oeſterreich nicht entgehen werden. Hannover<lb/> ſpielt ein falſches Spiel, Braunſchweig iſt weſtmächtlich, die Thü¬<lb/> ringer ebenſo, Bayern iſt in allen Zuſtänden und des Königs<lb/> Majeſtät iſt ein ſchwankendes Rohr. Selbſt über Beuſt gehen zweifel¬<lb/> hafte Nachrichten ein. Hierzu kommt, daß man in Wien zum Kriege<lb/> entſchloſſen ſcheint. Man ſieht ein, daß die expectative bewaffnete<lb/> Stellung nicht länger durchzuführen iſt, ſchon finanziell nicht, und<lb/> hält das Umkehren für gefährlicher als das Vorwärtsgehen. Leicht<lb/> iſt das Umkehren auch wirklich nicht, und ich ſehe auch nicht ein,<lb/> woher dem Kaiſer dazu die Entſchloſſenheit kommen ſoll. Oeſter¬<lb/> reich kann ſich für das Erſte und oberflächlich leichter mit den<lb/> revolutionären Plänen der Weſtmächte verſtändigen als Preußen,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [104/0131]
Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg.
werden‘ und ,die Stellung als Großmacht zu verlieren‘. Die
größten Albernheiten, die zu denken ſind: denn von einem Concert
européen zu ſprechen, wenn zwei Mächte mit einer dritten im
Kriege ſind, iſt doch geradezu ein hölzernes Eiſen, und unſre
Stellung als Großmacht verdanken wir doch wahrhaftig nicht der
Gefälligkeit von London, Paris und Wien, ſondern unſrem guten
Schwerte. Ueberdem aber ſpielt überall eine Empfindlichkeit gegen
Rußland mit, die ich vollkommen begreife, und auch theile, der man
aber jetzt nicht nachgeben kann, ohne zugleich uns ſelbſt zu züchtigen.
Wo man nicht wahr gegen ſich ſelbſt iſt, iſt man allemal auch
nicht klar. Und ſo leben und handeln wir zwar nicht in ſolcher
Unklarheit, wie in Wien, wo man wie ein Schlaftrunkener alle
Augenblicke handelt, als ob man ſchon im Kriege mit Rußland
wäre: aber wie man neutral und Friedensvermittler ſein, und zu¬
gleich Propoſitionen, wie die letzten der Seemächte empfehlen kann,
verſtehe ich mit meinen ſchwachen Verſtandeskräften nicht.“
Die folgenden Brieffragmente ſind wieder von Gerlach.
„Sansſouci, 13. October 1854.
... Seitdem ich alles geleſen und nach Kräften gegen einander
abgewogen habe, halte ich es für ſehr wahrſcheinlich, daß die
zwei Drittel Stimmen Oeſterreich nicht entgehen werden. Hannover
ſpielt ein falſches Spiel, Braunſchweig iſt weſtmächtlich, die Thü¬
ringer ebenſo, Bayern iſt in allen Zuſtänden und des Königs
Majeſtät iſt ein ſchwankendes Rohr. Selbſt über Beuſt gehen zweifel¬
hafte Nachrichten ein. Hierzu kommt, daß man in Wien zum Kriege
entſchloſſen ſcheint. Man ſieht ein, daß die expectative bewaffnete
Stellung nicht länger durchzuführen iſt, ſchon finanziell nicht, und
hält das Umkehren für gefährlicher als das Vorwärtsgehen. Leicht
iſt das Umkehren auch wirklich nicht, und ich ſehe auch nicht ein,
woher dem Kaiſer dazu die Entſchloſſenheit kommen ſoll. Oeſter¬
reich kann ſich für das Erſte und oberflächlich leichter mit den
revolutionären Plänen der Weſtmächte verſtändigen als Preußen,
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