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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Viertes Kapitel: Diplomat.
von Gleichartigkeit des Verbrauchs; schon die Unterschiede der
Interessen innerhalb des deutschen Zollvereins zwischen Nord und
Süd, Ost und West sind schwer und nur mit dem guten Willen
zu überwinden, der der nationalen Zusammengehörigkeit entspringt;
zwischen Ungarn und Galizien einerseits und dem Zollverein andrer¬
seits ist die Verschiedenheit des Verbrauchs zollpflichtiger Waaren
zu stark, um eine Zollgemeinschaft durchführbar erscheinen zu lassen.
Der Vertheilungsmaßstab für die Zollverträge würde stets für
Deutschland nachtheilig bleiben, auch wenn die Ziffern es für
Oestreich zu sein schienen. Letztres lebt in Cis- und mehr noch
in Trans-Leithanien vorwiegend von eignen, nicht von importirten
Erzeugnissen. Außerdem hatte ich damals allgemein und habe ich
auch heut noch sporadisch nicht das nöthige Vertrauen zu undeut¬
schen Unterbeamten im Osten.

Unser einziger Legationssekretär in Wien empfing mich mit
Verstimmung darüber, daß er nicht Geschäftsträger wurde, und
suchte in Berlin Urlaub nach. Derselbe wurde von dem Minister
verweigert, von mir aber demnächst bewilligt. So kam es, daß
ich mich auf den mir von früher her befreundeten hanöverschen
Gesandten Graf Adolf Platen behufs der Vorstellung bei den
Ministern und der Einführung in die diplomatische Gesellschaft an¬
gewiesen fand.

In vertraulichem Gespräch fragte er mich gelegentlich, ob auch
ich glaubte, daß ich zu Manteuffel's Nachfolger bestimmt sei.
Ich erwiderte, das läge einstweilen nicht in meinen Wünschen.
Ich glaubte allerdings, daß der König mich in spätrer Zeit ein¬
mal zu seinem Minister zu machen gedenke und mich dazu er¬
ziehn wolle, in dieser Absicht auch mir die mission extra¬
ordinaire
nach Oestreich übertragen habe. Mein Wunsch aber
wäre, noch etwa zehn Jahre lang in Frankfurt oder an verschiednen
Höfen als Gesandter die Welt zu sehn und dann gern etwa zehn
Jahre lang, womöglich mit Ruhm, Minister zu sein, dann auf
dem Lande über das Erlebte nachzudenken und wie mein alter Onkel

Viertes Kapitel: Diplomat.
von Gleichartigkeit des Verbrauchs; ſchon die Unterſchiede der
Intereſſen innerhalb des deutſchen Zollvereins zwiſchen Nord und
Süd, Oſt und Weſt ſind ſchwer und nur mit dem guten Willen
zu überwinden, der der nationalen Zuſammengehörigkeit entſpringt;
zwiſchen Ungarn und Galizien einerſeits und dem Zollverein andrer¬
ſeits iſt die Verſchiedenheit des Verbrauchs zollpflichtiger Waaren
zu ſtark, um eine Zollgemeinſchaft durchführbar erſcheinen zu laſſen.
Der Vertheilungsmaßſtab für die Zollverträge würde ſtets für
Deutſchland nachtheilig bleiben, auch wenn die Ziffern es für
Oeſtreich zu ſein ſchienen. Letztres lebt in Cis- und mehr noch
in Trans-Leithanien vorwiegend von eignen, nicht von importirten
Erzeugniſſen. Außerdem hatte ich damals allgemein und habe ich
auch heut noch ſporadiſch nicht das nöthige Vertrauen zu undeut¬
ſchen Unterbeamten im Oſten.

Unſer einziger Legationsſekretär in Wien empfing mich mit
Verſtimmung darüber, daß er nicht Geſchäftsträger wurde, und
ſuchte in Berlin Urlaub nach. Derſelbe wurde von dem Miniſter
verweigert, von mir aber demnächſt bewilligt. So kam es, daß
ich mich auf den mir von früher her befreundeten hanöverſchen
Geſandten Graf Adolf Platen behufs der Vorſtellung bei den
Miniſtern und der Einführung in die diplomatiſche Geſellſchaft an¬
gewieſen fand.

In vertraulichem Geſpräch fragte er mich gelegentlich, ob auch
ich glaubte, daß ich zu Manteuffel's Nachfolger beſtimmt ſei.
Ich erwiderte, das läge einſtweilen nicht in meinen Wünſchen.
Ich glaubte allerdings, daß der König mich in ſpätrer Zeit ein¬
mal zu ſeinem Miniſter zu machen gedenke und mich dazu er¬
ziehn wolle, in dieſer Abſicht auch mir die mission extra¬
ordinaire
nach Oeſtreich übertragen habe. Mein Wunſch aber
wäre, noch etwa zehn Jahre lang in Frankfurt oder an verſchiednen
Höfen als Geſandter die Welt zu ſehn und dann gern etwa zehn
Jahre lang, womöglich mit Ruhm, Miniſter zu ſein, dann auf
dem Lande über das Erlebte nachzudenken und wie mein alter Onkel

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[86/0113] Viertes Kapitel: Diplomat. von Gleichartigkeit des Verbrauchs; ſchon die Unterſchiede der Intereſſen innerhalb des deutſchen Zollvereins zwiſchen Nord und Süd, Oſt und Weſt ſind ſchwer und nur mit dem guten Willen zu überwinden, der der nationalen Zuſammengehörigkeit entſpringt; zwiſchen Ungarn und Galizien einerſeits und dem Zollverein andrer¬ ſeits iſt die Verſchiedenheit des Verbrauchs zollpflichtiger Waaren zu ſtark, um eine Zollgemeinſchaft durchführbar erſcheinen zu laſſen. Der Vertheilungsmaßſtab für die Zollverträge würde ſtets für Deutſchland nachtheilig bleiben, auch wenn die Ziffern es für Oeſtreich zu ſein ſchienen. Letztres lebt in Cis- und mehr noch in Trans-Leithanien vorwiegend von eignen, nicht von importirten Erzeugniſſen. Außerdem hatte ich damals allgemein und habe ich auch heut noch ſporadiſch nicht das nöthige Vertrauen zu undeut¬ ſchen Unterbeamten im Oſten. Unſer einziger Legationsſekretär in Wien empfing mich mit Verſtimmung darüber, daß er nicht Geſchäftsträger wurde, und ſuchte in Berlin Urlaub nach. Derſelbe wurde von dem Miniſter verweigert, von mir aber demnächſt bewilligt. So kam es, daß ich mich auf den mir von früher her befreundeten hanöverſchen Geſandten Graf Adolf Platen behufs der Vorſtellung bei den Miniſtern und der Einführung in die diplomatiſche Geſellſchaft an¬ gewieſen fand. In vertraulichem Geſpräch fragte er mich gelegentlich, ob auch ich glaubte, daß ich zu Manteuffel's Nachfolger beſtimmt ſei. Ich erwiderte, das läge einſtweilen nicht in meinen Wünſchen. Ich glaubte allerdings, daß der König mich in ſpätrer Zeit ein¬ mal zu ſeinem Miniſter zu machen gedenke und mich dazu er¬ ziehn wolle, in dieſer Abſicht auch mir die mission extra¬ ordinaire nach Oeſtreich übertragen habe. Mein Wunſch aber wäre, noch etwa zehn Jahre lang in Frankfurt oder an verſchiednen Höfen als Geſandter die Welt zu ſehn und dann gern etwa zehn Jahre lang, womöglich mit Ruhm, Miniſter zu ſein, dann auf dem Lande über das Erlebte nachzudenken und wie mein alter Onkel

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/113>, abgerufen am 14.05.2024.