schaft am 21. März war am wenigsten geeignet, das wieder ein¬ zubringen, was im Innern und nach Außen verloren war. Die Situation wurde dadurch dergestalt umgedreht, daß der König nun an der Spitze nicht mehr seiner Truppen, sondern der Barrikaden¬ kämpfer, derselben unlenkbaren Massen, stand, vor deren Bedrohung die Fürsten einige Tage zuvor bei ihm Schutz gesucht hatten. Der Gedanke, eine Verlegung des geplanten Fürstencongresses von Dresden nach Potsdam als einziges Ergebniß der Märztage zu behandeln, verlor durch den würdelosen Umzug jede Haltbarkeit.
Die Weichlichkeit, mit der Friedrich Wilhelm IV. unter dem Drucke unberufener, vielleicht verrätherischer Rathgeber, gedrängt durch weibliche Thränen, das blutige Ergebniß in Berlin, nachdem es siegreich durchgeführt war, dadurch abschließen wollte, daß er seinen Truppen befahl, auf den gewonnenen Sieg zu verzichten, hat für die weitere Entwicklung unsrer Politik zunächst den Schaden einer versäumten Gelegenheit gebracht. Ob der Fortschritt ein dauernder gewesen sein würde, wenn der König den Sieg seiner Truppen festgehalten und ausgenutzt hätte, ist eine andre Frage. Der König würde dann allerdings nicht in der gebrochenen Stimmung gewesen sein, in der ich ihn während des Zweiten Ver¬ einigten Landtags gefunden habe, sondern in dem durch den Sieg gestärkten Schwunge der Beredsamkeit, die er bei Gelegenheit der Huldigung 1840, in Köln 1842 und sonst entwickelt hatte. Ich wage keine Vermuthung darüber, welche Einwirkung auf die Hal¬ tung des Königs, die Romantik mittelalterlicher Reichserinnerungen Oestreich und den Fürsten gegenüber und das vorher und später so starke fürstliche Selbstgefühl im Inlande das Bewußtsein geübt haben würde, den Aufruhr definitiv niedergeschlagen zu haben, der ihm gegenüber allein siegreich blieb im außerrussischen Continent. Eine auf dem Straßenpflaster erkämpfte Errungenschaft wäre von andrer Art und von minderer Tragweite gewesen als die später auf dem Schlachtfeld gewonnene. Es ist vielleicht für unsre Zukunft besser gewesen, daß wir die Irrwege in der Wüste innerer Kämpfe von
Zweites Kapitel: Das Jahr 1848.
ſchaft am 21. März war am wenigſten geeignet, das wieder ein¬ zubringen, was im Innern und nach Außen verloren war. Die Situation wurde dadurch dergeſtalt umgedreht, daß der König nun an der Spitze nicht mehr ſeiner Truppen, ſondern der Barrikaden¬ kämpfer, derſelben unlenkbaren Maſſen, ſtand, vor deren Bedrohung die Fürſten einige Tage zuvor bei ihm Schutz geſucht hatten. Der Gedanke, eine Verlegung des geplanten Fürſtencongreſſes von Dresden nach Potsdam als einziges Ergebniß der Märztage zu behandeln, verlor durch den würdeloſen Umzug jede Haltbarkeit.
Die Weichlichkeit, mit der Friedrich Wilhelm IV. unter dem Drucke unberufener, vielleicht verrätheriſcher Rathgeber, gedrängt durch weibliche Thränen, das blutige Ergebniß in Berlin, nachdem es ſiegreich durchgeführt war, dadurch abſchließen wollte, daß er ſeinen Truppen befahl, auf den gewonnenen Sieg zu verzichten, hat für die weitere Entwicklung unſrer Politik zunächſt den Schaden einer verſäumten Gelegenheit gebracht. Ob der Fortſchritt ein dauernder geweſen ſein würde, wenn der König den Sieg ſeiner Truppen feſtgehalten und ausgenutzt hätte, iſt eine andre Frage. Der König würde dann allerdings nicht in der gebrochenen Stimmung geweſen ſein, in der ich ihn während des Zweiten Ver¬ einigten Landtags gefunden habe, ſondern in dem durch den Sieg geſtärkten Schwunge der Beredſamkeit, die er bei Gelegenheit der Huldigung 1840, in Köln 1842 und ſonſt entwickelt hatte. Ich wage keine Vermuthung darüber, welche Einwirkung auf die Hal¬ tung des Königs, die Romantik mittelalterlicher Reichserinnerungen Oeſtreich und den Fürſten gegenüber und das vorher und ſpäter ſo ſtarke fürſtliche Selbſtgefühl im Inlande das Bewußtſein geübt haben würde, den Aufruhr definitiv niedergeſchlagen zu haben, der ihm gegenüber allein ſiegreich blieb im außerruſſiſchen Continent. Eine auf dem Straßenpflaſter erkämpfte Errungenſchaft wäre von andrer Art und von minderer Tragweite geweſen als die ſpäter auf dem Schlachtfeld gewonnene. Es iſt vielleicht für unſre Zukunft beſſer geweſen, daß wir die Irrwege in der Wüſte innerer Kämpfe von
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[42/0069]
Zweites Kapitel: Das Jahr 1848.
ſchaft am 21. März war am wenigſten geeignet, das wieder ein¬
zubringen, was im Innern und nach Außen verloren war. Die
Situation wurde dadurch dergeſtalt umgedreht, daß der König nun
an der Spitze nicht mehr ſeiner Truppen, ſondern der Barrikaden¬
kämpfer, derſelben unlenkbaren Maſſen, ſtand, vor deren Bedrohung
die Fürſten einige Tage zuvor bei ihm Schutz geſucht hatten. Der
Gedanke, eine Verlegung des geplanten Fürſtencongreſſes von
Dresden nach Potsdam als einziges Ergebniß der Märztage zu
behandeln, verlor durch den würdeloſen Umzug jede Haltbarkeit.
Die Weichlichkeit, mit der Friedrich Wilhelm IV. unter dem
Drucke unberufener, vielleicht verrätheriſcher Rathgeber, gedrängt
durch weibliche Thränen, das blutige Ergebniß in Berlin, nachdem
es ſiegreich durchgeführt war, dadurch abſchließen wollte, daß er
ſeinen Truppen befahl, auf den gewonnenen Sieg zu verzichten,
hat für die weitere Entwicklung unſrer Politik zunächſt den
Schaden einer verſäumten Gelegenheit gebracht. Ob der Fortſchritt
ein dauernder geweſen ſein würde, wenn der König den Sieg
ſeiner Truppen feſtgehalten und ausgenutzt hätte, iſt eine andre
Frage. Der König würde dann allerdings nicht in der gebrochenen
Stimmung geweſen ſein, in der ich ihn während des Zweiten Ver¬
einigten Landtags gefunden habe, ſondern in dem durch den Sieg
geſtärkten Schwunge der Beredſamkeit, die er bei Gelegenheit der
Huldigung 1840, in Köln 1842 und ſonſt entwickelt hatte. Ich
wage keine Vermuthung darüber, welche Einwirkung auf die Hal¬
tung des Königs, die Romantik mittelalterlicher Reichserinnerungen
Oeſtreich und den Fürſten gegenüber und das vorher und ſpäter
ſo ſtarke fürſtliche Selbſtgefühl im Inlande das Bewußtſein geübt
haben würde, den Aufruhr definitiv niedergeſchlagen zu haben,
der ihm gegenüber allein ſiegreich blieb im außerruſſiſchen Continent.
Eine auf dem Straßenpflaſter erkämpfte Errungenſchaft wäre von
andrer Art und von minderer Tragweite geweſen als die ſpäter auf
dem Schlachtfeld gewonnene. Es iſt vielleicht für unſre Zukunft beſſer
geweſen, daß wir die Irrwege in der Wüſte innerer Kämpfe von
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/69>, abgerufen am 29.07.2024.
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