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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Erstes Buch, sechstes Kapitel.

-- Ich behaupte nischt, Herr Derekter, ich be¬
haupte Se gar nischt, ich sage blos: Gemaust ham
se se, alle ham se se gemaust!

-- Mäßigen Sie sich! Gehen Sie in Ihre
Küche! Hier wird Schule gehalten!

-- Aber, wenn se doch meine Äppel alle ge¬
maust ham, Herr Derekter!

In diesem Augenblicke hörte man was fallen,
und ein großer rotbackiger Apfel rollte langsam
aus der ersten Bankreihe vor das Katheder.

Es war, als ob sich der Apfel seiner Wichtig¬
keit für diesen Augenblick bewußt wäre, mit so viel
Ausdruck, ja Würde rollte er. Als er zuletzt noch
ein paar Mal hin und her schwankte, war es wie
der Schlußappell in der Rede eines Staatsanwalts.

Aber es ist Staatsanwälten nur selten be¬
schieden, so überzeugend zu wirken, wie es dieser
schweigend beredte Apfel that.

Sämmtliche Selektaner machten eine unbewußte
Bewegung, als wollten sie unter die Bänke kriegen,
die Augen des Direktors traten aus ihren Höhlen
und hatten ganz offenbar die Tendenz, in aller
Körperlichkeit unter die schuldbeladene Schülerschaft
zu fahren, die Küchenmeisterin aber warf sich mit
dem Applomb eines trächtigen Elephantenweibchens

Erſtes Buch, ſechſtes Kapitel.

— Ich behaupte niſcht, Herr Derekter, ich be¬
haupte Se gar niſcht, ich ſage blos: Gemauſt ham
ſe ſe, alle ham ſe ſe gemauſt!

— Mäßigen Sie ſich! Gehen Sie in Ihre
Küche! Hier wird Schule gehalten!

— Aber, wenn ſe doch meine Äppel alle ge¬
mauſt ham, Herr Derekter!

In dieſem Augenblicke hörte man was fallen,
und ein großer rotbackiger Apfel rollte langſam
aus der erſten Bankreihe vor das Katheder.

Es war, als ob ſich der Apfel ſeiner Wichtig¬
keit für dieſen Augenblick bewußt wäre, mit ſo viel
Ausdruck, ja Würde rollte er. Als er zuletzt noch
ein paar Mal hin und her ſchwankte, war es wie
der Schlußappell in der Rede eines Staatsanwalts.

Aber es iſt Staatsanwälten nur ſelten be¬
ſchieden, ſo überzeugend zu wirken, wie es dieſer
ſchweigend beredte Apfel that.

Sämmtliche Selektaner machten eine unbewußte
Bewegung, als wollten ſie unter die Bänke kriegen,
die Augen des Direktors traten aus ihren Höhlen
und hatten ganz offenbar die Tendenz, in aller
Körperlichkeit unter die ſchuldbeladene Schülerſchaft
zu fahren, die Küchenmeiſterin aber warf ſich mit
dem Applomb eines trächtigen Elephantenweibchens

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[63/0077] Erſtes Buch, ſechſtes Kapitel. — Ich behaupte niſcht, Herr Derekter, ich be¬ haupte Se gar niſcht, ich ſage blos: Gemauſt ham ſe ſe, alle ham ſe ſe gemauſt! — Mäßigen Sie ſich! Gehen Sie in Ihre Küche! Hier wird Schule gehalten! — Aber, wenn ſe doch meine Äppel alle ge¬ mauſt ham, Herr Derekter! In dieſem Augenblicke hörte man was fallen, und ein großer rotbackiger Apfel rollte langſam aus der erſten Bankreihe vor das Katheder. Es war, als ob ſich der Apfel ſeiner Wichtig¬ keit für dieſen Augenblick bewußt wäre, mit ſo viel Ausdruck, ja Würde rollte er. Als er zuletzt noch ein paar Mal hin und her ſchwankte, war es wie der Schlußappell in der Rede eines Staatsanwalts. Aber es iſt Staatsanwälten nur ſelten be¬ ſchieden, ſo überzeugend zu wirken, wie es dieſer ſchweigend beredte Apfel that. Sämmtliche Selektaner machten eine unbewußte Bewegung, als wollten ſie unter die Bänke kriegen, die Augen des Direktors traten aus ihren Höhlen und hatten ganz offenbar die Tendenz, in aller Körperlichkeit unter die ſchuldbeladene Schülerſchaft zu fahren, die Küchenmeiſterin aber warf ſich mit dem Applomb eines trächtigen Elephantenweibchens

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/77>, abgerufen am 26.11.2024.