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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.
zu sehr mit sich beschäftigt, als daß er Lust hätte
haben können, sich an sie anzuschließen.

Er fing an, mit sich zu phantasieren. In den
Schul- und Arbeitsstunden sowohl wie in der
freien Zeit ließ er seine Gedanken nach unbekannten
Dingen fliegen und machte groteske Ungetüme von
Versen daraus. Nebstbei fing er auch an, auf alles
Gedruckte zu fahnden, was kein Schulbuch war. Der
Hauptinhalt all seiner Phantasien war aber Busch¬
kleppers Josephine.

Er trug die Wärme von ihr, die er unterm
Katheder gefühlt hatte, mit sich herum, und zu¬
weilen war es ihm, wie wenn er in einer lauen
Wolke ginge. Manchmal mußte er die Augen
zumachen, so stark überkam es ihn.

Wenn er sie nur einmal sehen könnte, ihr ein
Zeichen geben, dachte er sich. Aber es schien, als
ob sie gar nicht mehr da wäre. Jede Minute, die
er allein sein konnte, verwandte er darauf, ihr
aufzulauern.

Es war im Herbst, und so durfte er hoffen,
sie einmal im Lehrergarten zu sehen, der, in ver¬
schiedene Parzellen geteilt, für jeden Lehrer ein
Sondergärtchen enthielt. Aber immer war es nur
der alte Buschklepper in seinem grauen Ziegenbarte,

Stilpe.
zu ſehr mit ſich beſchäftigt, als daß er Luſt hätte
haben können, ſich an ſie anzuſchließen.

Er fing an, mit ſich zu phantaſieren. In den
Schul- und Arbeitsſtunden ſowohl wie in der
freien Zeit ließ er ſeine Gedanken nach unbekannten
Dingen fliegen und machte groteſke Ungetüme von
Verſen daraus. Nebſtbei fing er auch an, auf alles
Gedruckte zu fahnden, was kein Schulbuch war. Der
Hauptinhalt all ſeiner Phantaſien war aber Buſch¬
kleppers Joſephine.

Er trug die Wärme von ihr, die er unterm
Katheder gefühlt hatte, mit ſich herum, und zu¬
weilen war es ihm, wie wenn er in einer lauen
Wolke ginge. Manchmal mußte er die Augen
zumachen, ſo ſtark überkam es ihn.

Wenn er ſie nur einmal ſehen könnte, ihr ein
Zeichen geben, dachte er ſich. Aber es ſchien, als
ob ſie gar nicht mehr da wäre. Jede Minute, die
er allein ſein konnte, verwandte er darauf, ihr
aufzulauern.

Es war im Herbſt, und ſo durfte er hoffen,
ſie einmal im Lehrergarten zu ſehen, der, in ver¬
ſchiedene Parzellen geteilt, für jeden Lehrer ein
Sondergärtchen enthielt. Aber immer war es nur
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[50/0064] Stilpe. zu ſehr mit ſich beſchäftigt, als daß er Luſt hätte haben können, ſich an ſie anzuſchließen. Er fing an, mit ſich zu phantaſieren. In den Schul- und Arbeitsſtunden ſowohl wie in der freien Zeit ließ er ſeine Gedanken nach unbekannten Dingen fliegen und machte groteſke Ungetüme von Verſen daraus. Nebſtbei fing er auch an, auf alles Gedruckte zu fahnden, was kein Schulbuch war. Der Hauptinhalt all ſeiner Phantaſien war aber Buſch¬ kleppers Joſephine. Er trug die Wärme von ihr, die er unterm Katheder gefühlt hatte, mit ſich herum, und zu¬ weilen war es ihm, wie wenn er in einer lauen Wolke ginge. Manchmal mußte er die Augen zumachen, ſo ſtark überkam es ihn. Wenn er ſie nur einmal ſehen könnte, ihr ein Zeichen geben, dachte er ſich. Aber es ſchien, als ob ſie gar nicht mehr da wäre. Jede Minute, die er allein ſein konnte, verwandte er darauf, ihr aufzulauern. Es war im Herbſt, und ſo durfte er hoffen, ſie einmal im Lehrergarten zu ſehen, der, in ver¬ ſchiedene Parzellen geteilt, für jeden Lehrer ein Sondergärtchen enthielt. Aber immer war es nur der alte Buſchklepper in ſeinem grauen Ziegenbarte,

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/64>, abgerufen am 25.11.2024.