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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Erstes Buch, viertes Kapitel.
Er fühlte sich jetzt elender als früher. Denn,
während er sich die jetzt offenstehende Gelegenheit
der Ableitung nach unten entgehen ließ, verringerte
sich doch nicht seine Empfindlichkeit für die Stöße
von oben. Im Gegenteil: Er empfand sie viel
peinlicher. Denn er hatte an Kritik zugenommen.
Die Großen standen ihm jetzt näher, und so er¬
kannte er, daß allerlei Dinge an ihnen waren, die
sie eigentlich nicht berechtigten, die Kleinen stolz
und schlecht zu behandeln. Er sah, daß es keines¬
wegs alle Helden waren wie der gepriesene Mio,
es entging ihm vielmehr nicht, daß es unter ihnen
Burschen von unzweifelhaft gemeinen Qualitäten
gab. Von diesen sich schinden zu lassen, das hielt
schwer und that ungemein weh.

Es kam für Jung-Stilpe die Zeit der ersten
Zweifel an der zweckmäßigen und gerechten Ein¬
richtung dieser Welt. Zehn Jahre erst alt, und
schon mußte er an allerlei Warums nagen.

Warum darf mich Börner knuffen, da
er doch unter den Großen als Feigling ver¬
achtet ist?

Warum darf mich Roscher Dummer Quark nen¬
nen, da es doch allgemein bekannt ist, daß er der
Dümmste in seiner Klasse ist?

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Erſtes Buch, viertes Kapitel.
Er fühlte ſich jetzt elender als früher. Denn,
während er ſich die jetzt offenſtehende Gelegenheit
der Ableitung nach unten entgehen ließ, verringerte
ſich doch nicht ſeine Empfindlichkeit für die Stöße
von oben. Im Gegenteil: Er empfand ſie viel
peinlicher. Denn er hatte an Kritik zugenommen.
Die Großen ſtanden ihm jetzt näher, und ſo er¬
kannte er, daß allerlei Dinge an ihnen waren, die
ſie eigentlich nicht berechtigten, die Kleinen ſtolz
und ſchlecht zu behandeln. Er ſah, daß es keines¬
wegs alle Helden waren wie der geprieſene Mio,
es entging ihm vielmehr nicht, daß es unter ihnen
Burſchen von unzweifelhaft gemeinen Qualitäten
gab. Von dieſen ſich ſchinden zu laſſen, das hielt
ſchwer und that ungemein weh.

Es kam für Jung-Stilpe die Zeit der erſten
Zweifel an der zweckmäßigen und gerechten Ein¬
richtung dieſer Welt. Zehn Jahre erſt alt, und
ſchon mußte er an allerlei Warums nagen.

Warum darf mich Börner knuffen, da
er doch unter den Großen als Feigling ver¬
achtet iſt?

Warum darf mich Roſcher Dummer Quark nen¬
nen, da es doch allgemein bekannt iſt, daß er der
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[33/0047] Erſtes Buch, viertes Kapitel. Er fühlte ſich jetzt elender als früher. Denn, während er ſich die jetzt offenſtehende Gelegenheit der Ableitung nach unten entgehen ließ, verringerte ſich doch nicht ſeine Empfindlichkeit für die Stöße von oben. Im Gegenteil: Er empfand ſie viel peinlicher. Denn er hatte an Kritik zugenommen. Die Großen ſtanden ihm jetzt näher, und ſo er¬ kannte er, daß allerlei Dinge an ihnen waren, die ſie eigentlich nicht berechtigten, die Kleinen ſtolz und ſchlecht zu behandeln. Er ſah, daß es keines¬ wegs alle Helden waren wie der geprieſene Mio, es entging ihm vielmehr nicht, daß es unter ihnen Burſchen von unzweifelhaft gemeinen Qualitäten gab. Von dieſen ſich ſchinden zu laſſen, das hielt ſchwer und that ungemein weh. Es kam für Jung-Stilpe die Zeit der erſten Zweifel an der zweckmäßigen und gerechten Ein¬ richtung dieſer Welt. Zehn Jahre erſt alt, und ſchon mußte er an allerlei Warums nagen. Warum darf mich Börner knuffen, da er doch unter den Großen als Feigling ver¬ achtet iſt? Warum darf mich Roſcher Dummer Quark nen¬ nen, da es doch allgemein bekannt iſt, daß er der Dümmſte in ſeiner Klaſſe iſt? 3

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/47>, abgerufen am 26.04.2024.