Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch, fünftes Kapitel.
liche kam. Sonst war die Ausdrucksweise trotz der
naturalistischen Tendenz mehr auf höhere Tropen
bedacht.

[Abbildung]

Aber eines Tages, es war ganz zu Anfang des
Oberprima-Jahres, begann Stilpe in einem neuen
Stile und von anderen Dingen zu reden. Er
baute fürchterliche und schnöde Hyperbeln, fand den
"Naturalismus in Worten" lachhaft, fragte, ob es
"in diesem Neste" nicht ein Trictrac gebe und er¬
klärte, die famoseste Mädchenfigur der Weltliteratur
sei Mamsell Müsette. Dazu kamen die Worte:
Nasenwärmer, Boheme, Cenacle und eine große
Menge französischer Flüche. Auch trug er fort¬
während ein kleines Buch aus der Reclambibliothek
mit sich herum, das er sein Brevier nannte. Eine
Woche später sah man aber an dessen Stelle ein
anderes, französisches. Er sagte: Ich lese jetzt meine
Bibel im Urtext.

Durch diese Geheimthuerei voll herablassend
abgegebener Andeutungen fühlten sich die Anderen
beleidigt, und es wäre fast zu einem Bruch ge¬

Zweites Buch, fünftes Kapitel.
liche kam. Sonſt war die Ausdrucksweiſe trotz der
naturaliſtiſchen Tendenz mehr auf höhere Tropen
bedacht.

[Abbildung]

Aber eines Tages, es war ganz zu Anfang des
Oberprima-Jahres, begann Stilpe in einem neuen
Stile und von anderen Dingen zu reden. Er
baute fürchterliche und ſchnöde Hyperbeln, fand den
„Naturalismus in Worten“ lachhaft, fragte, ob es
„in dieſem Neſte“ nicht ein Trictrac gebe und er¬
klärte, die famoſeſte Mädchenfigur der Weltliteratur
ſei Mamſell Müſette. Dazu kamen die Worte:
Naſenwärmer, Bohème, Cénacle und eine große
Menge franzöſiſcher Flüche. Auch trug er fort¬
während ein kleines Buch aus der Reclambibliothek
mit ſich herum, das er ſein Brevier nannte. Eine
Woche ſpäter ſah man aber an deſſen Stelle ein
anderes, franzöſiſches. Er ſagte: Ich leſe jetzt meine
Bibel im Urtext.

Durch dieſe Geheimthuerei voll herablaſſend
abgegebener Andeutungen fühlten ſich die Anderen
beleidigt, und es wäre faſt zu einem Bruch ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0187" n="173"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch, fünftes Kapitel.<lb/></fw> liche kam. Son&#x017F;t war die Ausdruckswei&#x017F;e trotz der<lb/>
naturali&#x017F;ti&#x017F;chen Tendenz mehr auf höhere Tropen<lb/>
bedacht.</p><lb/>
          <figure/>
          <p>Aber eines Tages, es war ganz zu Anfang des<lb/>
Oberprima-Jahres, begann Stilpe in einem neuen<lb/>
Stile und von anderen Dingen zu reden. Er<lb/>
baute fürchterliche und &#x017F;chnöde Hyperbeln, fand den<lb/>
&#x201E;Naturalismus in Worten&#x201C; lachhaft, fragte, ob es<lb/>
&#x201E;in die&#x017F;em Ne&#x017F;te&#x201C; nicht ein Trictrac gebe und er¬<lb/>
klärte, die famo&#x017F;e&#x017F;te Mädchenfigur der Weltliteratur<lb/>
&#x017F;ei Mam&#x017F;ell Mü&#x017F;ette. Dazu kamen die Worte:<lb/>
Na&#x017F;enwärmer, Boh<hi rendition="#aq">è</hi>me, C<hi rendition="#aq">é</hi>nacle und eine große<lb/>
Menge franzö&#x017F;i&#x017F;cher Flüche. Auch trug er fort¬<lb/>
während ein kleines Buch aus der Reclambibliothek<lb/>
mit &#x017F;ich herum, das er &#x017F;ein Brevier nannte. Eine<lb/>
Woche &#x017F;päter &#x017F;ah man aber an de&#x017F;&#x017F;en Stelle ein<lb/>
anderes, franzö&#x017F;i&#x017F;ches. Er &#x017F;agte: Ich le&#x017F;e jetzt meine<lb/>
Bibel im Urtext.</p><lb/>
          <p>Durch die&#x017F;e Geheimthuerei voll herabla&#x017F;&#x017F;end<lb/>
abgegebener Andeutungen fühlten &#x017F;ich die Anderen<lb/>
beleidigt, und es wäre fa&#x017F;t zu einem Bruch ge¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0187] Zweites Buch, fünftes Kapitel. liche kam. Sonſt war die Ausdrucksweiſe trotz der naturaliſtiſchen Tendenz mehr auf höhere Tropen bedacht. [Abbildung] Aber eines Tages, es war ganz zu Anfang des Oberprima-Jahres, begann Stilpe in einem neuen Stile und von anderen Dingen zu reden. Er baute fürchterliche und ſchnöde Hyperbeln, fand den „Naturalismus in Worten“ lachhaft, fragte, ob es „in dieſem Neſte“ nicht ein Trictrac gebe und er¬ klärte, die famoſeſte Mädchenfigur der Weltliteratur ſei Mamſell Müſette. Dazu kamen die Worte: Naſenwärmer, Bohème, Cénacle und eine große Menge franzöſiſcher Flüche. Auch trug er fort¬ während ein kleines Buch aus der Reclambibliothek mit ſich herum, das er ſein Brevier nannte. Eine Woche ſpäter ſah man aber an deſſen Stelle ein anderes, franzöſiſches. Er ſagte: Ich leſe jetzt meine Bibel im Urtext. Durch dieſe Geheimthuerei voll herablaſſend abgegebener Andeutungen fühlten ſich die Anderen beleidigt, und es wäre faſt zu einem Bruch ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/187
Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/187>, abgerufen am 24.11.2024.