Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_035.001 p3b_035.003 p3b_035.013 p3b_035.020 Die Elster und ihre Kinder. p3b_035.023 p3b_035.025 p3b_035.001 p3b_035.003 p3b_035.013 p3b_035.020 Die Elster und ihre Kinder. p3b_035.023 p3b_035.025 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0061" n="35"/><lb n="p3b_035.001"/> im heroischen Versmaß, da die doppelte Mundöffnung der raschen Bewegung <lb n="p3b_035.002"/> des Versmaßes hinderlich sein muß.</p> <p><lb n="p3b_035.003"/> Am allerwenigsten dürfte ein Hiatus zwischen die beiden Thesen <lb n="p3b_035.004"/> des Daktylus fallen. Der Hiatus „freundliche<figure/>Augen“ dürfte dieselbe <lb n="p3b_035.005"/> Nachsicht beanspruchen können, als der Hiatus zwischen 2 Jamben oder <lb n="p3b_035.006"/> 2 Trochäen, da das erneute Atemholen und Einsetzen nach dem Daktylus <lb n="p3b_035.007"/> „freūndlĭchĕ“ möglich wäre. Niemals wäre jedoch der Hiatus <lb n="p3b_035.008"/> „Frēundĕ<figure/>ĭn“ oder „Höre<figure/>auf“ zu entschuldigen, da der rasche Versrhythmus <lb n="p3b_035.009"/> eine Unterbrechung zwischen den beiden Thesen des Daktylus <lb n="p3b_035.010"/> unmöglich macht. E nach e ist zu vermeiden. Freilich geht dies nicht <lb n="p3b_035.011"/> immer in der Prosa (z. B.: Meine Ehre. Deine Eltern). Die Poesie <lb n="p3b_035.012"/> hat eben andere Worte zu suchen.</p> <p><lb n="p3b_035.013"/> 16. Für die ersten hexametrischen Bildungen genügt die Beachtung <lb n="p3b_035.014"/> dieser Hauptsachen. Zu den Feinheiten im Hexameter gelangt man, <lb n="p3b_035.015"/> wenn man im Hinblick auf unsere Anforderungen wägt, prüft, vergleicht, <lb n="p3b_035.016"/> ergänzt, feilt. Tröstend muß der Umstand sein, daß selbst <lb n="p3b_035.017"/> Goethe's erste Hexameter (in Hermann und Dorothea) recht mangelhaft <lb n="p3b_035.018"/> waren, während seine späteren Bildungen strengeren Anforderungen bedeutend <lb n="p3b_035.019"/> näher kamen.</p> <p> <lb n="p3b_035.020"/> <hi rendition="#g">Aufgabe. Die nachfolgende Erzählung soll in Hexametern (in <lb n="p3b_035.021"/> gewöhnlicher Sprache) wiedergegeben werden.</hi> </p> <lb n="p3b_035.022"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Die Elster und ihre Kinder.</hi><lb n="p3b_035.023"/> (Von Wilh. Grimm. Tierfabeln bei den Minnesingern. Aus den Abhandlungen <lb n="p3b_035.024"/> der Akademie der Wiss. Berlin, 1855.)</hi> </p> <p><lb n="p3b_035.025"/><hi rendition="#g">Stoff.</hi> Eine Elster führte ihre Kinder aufs Feld, │ damit sie lernen <lb n="p3b_035.026"/> möchten, selbst ihre Nahrung zu suchen. │ Das gefiel ihnen aber nicht. „Wir <lb n="p3b_035.027"/> wollen lieber ins Nest zurück,“ riefen sie, „da haben wir's bequemer; denn <lb n="p3b_035.028"/> du, liebe Mutter, trägst uns die Speise im Schnabel herbei.“ Doch die Alte <lb n="p3b_035.029"/> erwiderte: „Meine Kinder, ihr seid groß genug, euch selbst zu ernähren; meine <lb n="p3b_035.030"/> Mutter hatte mich viel früher ausgewiesen.“ „Aber die Bogenschützen werden <lb n="p3b_035.031"/> uns töten,“ antworteten die Kinder. „Nein, nein,“ sprach sie, „es gehört <lb n="p3b_035.032"/> Zeit zum Zielen; wenn ihr seht, daß sie die Armbrust in die Höhe heben und <lb n="p3b_035.033"/> an das Gesicht legen, um abzudrücken, so fliegt davon.“ „Das wollen wir <lb n="p3b_035.034"/> wohl thun,“ wandten die Kinder wieder ein, „aber wenn einer einen Stein <lb n="p3b_035.035"/> nimmt und nach uns werfen will, so ist dazu kein Zielen nötig, wie dann?“ <lb n="p3b_035.036"/> „Jhr könnt ja sehen, wie er sich bückt,“ sagte die Alte, „wenn er den Stein <lb n="p3b_035.037"/> aufheben will.“ „Aber wie, wenn er einen Stein beständig in der Hand trägt <lb n="p3b_035.038"/> und jeden Augenblick zum Schleudern bereit ist?“ „Ei was ihr nicht alles <lb n="p3b_035.039"/> wißt!“ sprach die Mutter; „ihr könnt schon selbst für euch sorgen.“ Damit flog <lb n="p3b_035.040"/> sie weg und ließ sie allein.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [35/0061]
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im heroischen Versmaß, da die doppelte Mundöffnung der raschen Bewegung p3b_035.002
des Versmaßes hinderlich sein muß.
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Am allerwenigsten dürfte ein Hiatus zwischen die beiden Thesen p3b_035.004
des Daktylus fallen. Der Hiatus „freundliche
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Augen“ dürfte dieselbe p3b_035.005
Nachsicht beanspruchen können, als der Hiatus zwischen 2 Jamben oder p3b_035.006
2 Trochäen, da das erneute Atemholen und Einsetzen nach dem Daktylus p3b_035.007
„freūndlĭchĕ“ möglich wäre. Niemals wäre jedoch der Hiatus p3b_035.008
„Frēundĕ
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ĭn“ oder „Höre
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auf“ zu entschuldigen, da der rasche Versrhythmus p3b_035.009
eine Unterbrechung zwischen den beiden Thesen des Daktylus p3b_035.010
unmöglich macht. E nach e ist zu vermeiden. Freilich geht dies nicht p3b_035.011
immer in der Prosa (z. B.: Meine Ehre. Deine Eltern). Die Poesie p3b_035.012
hat eben andere Worte zu suchen.
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16. Für die ersten hexametrischen Bildungen genügt die Beachtung p3b_035.014
dieser Hauptsachen. Zu den Feinheiten im Hexameter gelangt man, p3b_035.015
wenn man im Hinblick auf unsere Anforderungen wägt, prüft, vergleicht, p3b_035.016
ergänzt, feilt. Tröstend muß der Umstand sein, daß selbst p3b_035.017
Goethe's erste Hexameter (in Hermann und Dorothea) recht mangelhaft p3b_035.018
waren, während seine späteren Bildungen strengeren Anforderungen bedeutend p3b_035.019
näher kamen.
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Aufgabe. Die nachfolgende Erzählung soll in Hexametern (in p3b_035.021
gewöhnlicher Sprache) wiedergegeben werden.
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Die Elster und ihre Kinder. p3b_035.023
(Von Wilh. Grimm. Tierfabeln bei den Minnesingern. Aus den Abhandlungen p3b_035.024
der Akademie der Wiss. Berlin, 1855.)
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Stoff. Eine Elster führte ihre Kinder aufs Feld, │ damit sie lernen p3b_035.026
möchten, selbst ihre Nahrung zu suchen. │ Das gefiel ihnen aber nicht. „Wir p3b_035.027
wollen lieber ins Nest zurück,“ riefen sie, „da haben wir's bequemer; denn p3b_035.028
du, liebe Mutter, trägst uns die Speise im Schnabel herbei.“ Doch die Alte p3b_035.029
erwiderte: „Meine Kinder, ihr seid groß genug, euch selbst zu ernähren; meine p3b_035.030
Mutter hatte mich viel früher ausgewiesen.“ „Aber die Bogenschützen werden p3b_035.031
uns töten,“ antworteten die Kinder. „Nein, nein,“ sprach sie, „es gehört p3b_035.032
Zeit zum Zielen; wenn ihr seht, daß sie die Armbrust in die Höhe heben und p3b_035.033
an das Gesicht legen, um abzudrücken, so fliegt davon.“ „Das wollen wir p3b_035.034
wohl thun,“ wandten die Kinder wieder ein, „aber wenn einer einen Stein p3b_035.035
nimmt und nach uns werfen will, so ist dazu kein Zielen nötig, wie dann?“ p3b_035.036
„Jhr könnt ja sehen, wie er sich bückt,“ sagte die Alte, „wenn er den Stein p3b_035.037
aufheben will.“ „Aber wie, wenn er einen Stein beständig in der Hand trägt p3b_035.038
und jeden Augenblick zum Schleudern bereit ist?“ „Ei was ihr nicht alles p3b_035.039
wißt!“ sprach die Mutter; „ihr könnt schon selbst für euch sorgen.“ Damit flog p3b_035.040
sie weg und ließ sie allein.
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