p2b_505.001 die Dichtkunst unterstützenden Seite aufzufassen und in den Geist der dichterischen p2b_505.002 Kunstwerke selbst einzudringen. (Über das Melodrama vgl. Herder in seiner p2b_505.003 Adrastea, 4. Stück.)
p2b_505.004
§ 181. Das Vaudeville und das Sing- oder Liederspiel.
p2b_505.005 Unter Vaudeville, wie unter Sing- oder Liederspiel versteht man p2b_505.006 eine Art Schauspiel mit Gesang- und Jnstrumentalbegleitung, wobei p2b_505.007 Gesang wie Jnstrumentalmusik keinen Anteil an dem dramatischen Fortschritt p2b_505.008 der Handlung nehmen; es ist also eine Art lyrisches Drama, p2b_505.009 welches sich durch geschmackvolle Einreihung von liedartigen, meist nach p2b_505.010 bekannten Volksmelodien gesungenen und mit Refrain versehenen Strophen p2b_505.011 auszeichnet. Oder: Vaudeville ist ein mit beliebten Gesangsstrophen p2b_505.012 (Couplets) unterbrochenes Lustspiel, oder auch eine mit Musik verbundene p2b_505.013 Posse, welch' letztere Art meist den Namen Vaudeville-Posse p2b_505.014 oder Vaudeville-Burleske trägt.
p2b_505.015 Der Unterschied zwischen Vaudeville und Sing- oder Liederspiel liegt infolge p2b_505.016 ihres Ursprungs weniger in der äußeren Form als im inneren Wesen p2b_505.017 dieser Gattungen; er ist ein innerlicher, den nationalen Genius und Charakter p2b_505.018 Frankreichs und Deutschlands zum Ausdruck bringender. Man kann den Unterschied p2b_505.019 andeuten, indem man sagt: Das Vaudeville ist ein französisches p2b_505.020 Liederspiel und das Liederspiel ist ein deutsches Vaudeville. Die p2b_505.021 Couplets des Vaudeville atmen dem französischen Volkscharakter entsprechend p2b_505.022 Witz, Ungebundenheit, Laune bis zur Satire und Frivolität, während die Liedstrophen p2b_505.023 des deutschen Lieder- oder Singspiels, das ja auch das Humoristische p2b_505.024 liebt, mehr den gemütsinnigen Charakter des deutschen Volksliedes zum Ausdruck p2b_505.025 bringen. Der Zweck des Vaudeville ist Erheiterung, Ergetzung; und es p2b_505.026 hört diese Gattung sofort auf Vaudeville zu sein, wenn Witz, Laune, Satire p2b_505.027 fehlen, während das deutsche Liederspiel auch Rührung, Läuterung des Geschmacks p2b_505.028 &c. erzielen und sich mit einfachem Stimmungshumor begnügen kann.
p2b_505.029 Von der Operette (§ 186) unterscheiden sich beide Formen dadurch, daß p2b_505.030 alle Gesangsstücke der letzteren lediglich aus Liedern bestehen, die entweder mit p2b_505.031 längst bekannten Melodien versehen sind oder deren Melodien doch wenigstens p2b_505.032 volkstümlich und einfach sind.
p2b_505.033
Geschichtliches und Litteratur beider Formen.
p2b_505.034 (Französisches Vaudeville.) Der Name Vaudeville soll - so nehmen p2b_505.035 alle Litterarhistoriker bis jetzt ausnahmslos an - von dem Städtchen Vaux p2b_505.036 de Vires (in der französischen Normandie) herstammen, wo gegen Ende des p2b_505.037 14. Jahrh. ein Walkmüller Namens Olivier Basselin mit seinen übrigens erst p2b_505.038 1576 erschienenen - Vau de Vire genannten - Couplets von sich als p2b_505.039 Dichter zu sprechen machte. Man meint etwas gesucht, daß aus seinem Vau p2b_505.040 de Vire nach und nach Vaux de toutes les villes und daraus Vaux p2b_505.041 de villes entstanden sei. Andere sind der Ansicht, Vau de ville bedeute
p2b_505.001 die Dichtkunst unterstützenden Seite aufzufassen und in den Geist der dichterischen p2b_505.002 Kunstwerke selbst einzudringen. (Über das Melodrama vgl. Herder in seiner p2b_505.003 Adrastea, 4. Stück.)
p2b_505.004
§ 181. Das Vaudeville und das Sing- oder Liederspiel.
p2b_505.005 Unter Vaudeville, wie unter Sing- oder Liederspiel versteht man p2b_505.006 eine Art Schauspiel mit Gesang- und Jnstrumentalbegleitung, wobei p2b_505.007 Gesang wie Jnstrumentalmusik keinen Anteil an dem dramatischen Fortschritt p2b_505.008 der Handlung nehmen; es ist also eine Art lyrisches Drama, p2b_505.009 welches sich durch geschmackvolle Einreihung von liedartigen, meist nach p2b_505.010 bekannten Volksmelodien gesungenen und mit Refrain versehenen Strophen p2b_505.011 auszeichnet. Oder: Vaudeville ist ein mit beliebten Gesangsstrophen p2b_505.012 (Couplets) unterbrochenes Lustspiel, oder auch eine mit Musik verbundene p2b_505.013 Posse, welch' letztere Art meist den Namen Vaudeville-Posse p2b_505.014 oder Vaudeville-Burleske trägt.
p2b_505.015 Der Unterschied zwischen Vaudeville und Sing- oder Liederspiel liegt infolge p2b_505.016 ihres Ursprungs weniger in der äußeren Form als im inneren Wesen p2b_505.017 dieser Gattungen; er ist ein innerlicher, den nationalen Genius und Charakter p2b_505.018 Frankreichs und Deutschlands zum Ausdruck bringender. Man kann den Unterschied p2b_505.019 andeuten, indem man sagt: Das Vaudeville ist ein französisches p2b_505.020 Liederspiel und das Liederspiel ist ein deutsches Vaudeville. Die p2b_505.021 Couplets des Vaudeville atmen dem französischen Volkscharakter entsprechend p2b_505.022 Witz, Ungebundenheit, Laune bis zur Satire und Frivolität, während die Liedstrophen p2b_505.023 des deutschen Lieder- oder Singspiels, das ja auch das Humoristische p2b_505.024 liebt, mehr den gemütsinnigen Charakter des deutschen Volksliedes zum Ausdruck p2b_505.025 bringen. Der Zweck des Vaudeville ist Erheiterung, Ergetzung; und es p2b_505.026 hört diese Gattung sofort auf Vaudeville zu sein, wenn Witz, Laune, Satire p2b_505.027 fehlen, während das deutsche Liederspiel auch Rührung, Läuterung des Geschmacks p2b_505.028 &c. erzielen und sich mit einfachem Stimmungshumor begnügen kann.
p2b_505.029 Von der Operette (§ 186) unterscheiden sich beide Formen dadurch, daß p2b_505.030 alle Gesangsstücke der letzteren lediglich aus Liedern bestehen, die entweder mit p2b_505.031 längst bekannten Melodien versehen sind oder deren Melodien doch wenigstens p2b_505.032 volkstümlich und einfach sind.
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Geschichtliches und Litteratur beider Formen.
p2b_505.034 (Französisches Vaudeville.) Der Name Vaudeville soll ─ so nehmen p2b_505.035 alle Litterarhistoriker bis jetzt ausnahmslos an ─ von dem Städtchen Vaux p2b_505.036 de Vires (in der französischen Normandie) herstammen, wo gegen Ende des p2b_505.037 14. Jahrh. ein Walkmüller Namens Olivier Basselin mit seinen übrigens erst p2b_505.038 1576 erschienenen ─ Vau de Vire genannten ─ Couplets von sich als p2b_505.039 Dichter zu sprechen machte. Man meint etwas gesucht, daß aus seinem Vau p2b_505.040 de Vire nach und nach Vaux de toutes les villes und daraus Vaux p2b_505.041 de villes entstanden sei. Andere sind der Ansicht, Vau de ville bedeute
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Adrastea, 4. Stück.)
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§ 181. Das Vaudeville und das Sing- oder Liederspiel. p2b_505.005
Unter Vaudeville, wie unter Sing- oder Liederspiel versteht man p2b_505.006
eine Art Schauspiel mit Gesang- und Jnstrumentalbegleitung, wobei p2b_505.007
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Der Unterschied zwischen Vaudeville und Sing- oder Liederspiel liegt infolge p2b_505.016
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Von der Operette (§ 186) unterscheiden sich beide Formen dadurch, daß p2b_505.030
alle Gesangsstücke der letzteren lediglich aus Liedern bestehen, die entweder mit p2b_505.031
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volkstümlich und einfach sind.
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Geschichtliches und Litteratur beider Formen.
p2b_505.034
(Französisches Vaudeville.) Der Name Vaudeville soll ─ so nehmen p2b_505.035
alle Litterarhistoriker bis jetzt ausnahmslos an ─ von dem Städtchen Vaux p2b_505.036
de Vires (in der französischen Normandie) herstammen, wo gegen Ende des p2b_505.037
14. Jahrh. ein Walkmüller Namens Olivier Basselin mit seinen übrigens erst p2b_505.038
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/527>, abgerufen am 23.11.2024.
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