Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_019.001 p2b_019.011 p2b_019.032 Poetische Blumenles' und hohes Spekulieren, p2b_019.034 Von einem muß ich mich zum andern hin verlieren. p2b_019.035 Das eine würd' ich denn verlieren überm andern, p2b_019.036 Wenn ich von diesem weit zu jenem müßte wandern. p2b_019.037 p2b_019.039Die Auskunft traf ich drum, hier beides zu vereinen, p2b_019.038 Wo Stern' und Blumen durch einander blühn im Kleinen. (Weisheit des Brahmanen X. 98. S. 379.) p2b_019.040 p2b_019.001 p2b_019.011 p2b_019.032 Poetische Blumenles' und hohes Spekulieren, p2b_019.034 Von einem muß ich mich zum andern hin verlieren. p2b_019.035 Das eine würd' ich denn verlieren überm andern, p2b_019.036 Wenn ich von diesem weit zu jenem müßte wandern. p2b_019.037 p2b_019.039Die Auskunft traf ich drum, hier beides zu vereinen, p2b_019.038 Wo Stern' und Blumen durch einander blühn im Kleinen. (Weisheit des Brahmanen X. 98. S. 379.) p2b_019.040 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0041" n="19"/><lb n="p2b_019.001"/> der alles Schönen, zu erfreuen. Daher gehören Belehrung und Spekulation nicht <lb n="p2b_019.002"/> in den eigentlichen Begriff der Poesie, deren Gesetz allein die <hi rendition="#g">Schönheit</hi> ist. <lb n="p2b_019.003"/> Beides, das Jnstruktive wie das Spekulative, beeinträchtigt das ruhige Empfinden, <lb n="p2b_019.004"/> die unmittelbare Aufnahme und den ungeteilten Eindruck: <hi rendition="#g">das Jnstruktive,</hi> <lb n="p2b_019.005"/> weil es das Gefühl erst in zweiter Linie berücksichtigen kann; <lb n="p2b_019.006"/> <hi rendition="#g">das Spekulative,</hi> weil es seinem Wesen nach nicht als fertig dargereicht <lb n="p2b_019.007"/> wird, und somit ebenfalls nicht auf das Gefühl unmittelbar wirkt. Dante <lb n="p2b_019.008"/> (Göttliche Komödie) und Goethe (Faust) haben allerdings das Problem der <lb n="p2b_019.009"/> Vereinigung von Spekulation und Poesie gelöst, während andere, wie W. Jordan <lb n="p2b_019.010"/> (Demiurgos), Mosen (Ahasver) philosophisch reflektierend blieben.</p> <p><lb n="p2b_019.011"/> Wenn schon eine leichte Reflexion dem Dichter zum Gedichte werden kann, <lb n="p2b_019.012"/> und er zu seinem Gedichte die passende, schöne Form findet, soll dann nicht <lb n="p2b_019.013"/> auch für den höchsten Gedanken, für die höchste Spekulation eine Form gefunden <lb n="p2b_019.014"/> werden können, unter welcher das Gedankliche, Spekulative für die Poesie <lb n="p2b_019.015"/> flüssig gemacht wird, sollte nicht eine vollendete dichterische Darstellung zu erzielen <lb n="p2b_019.016"/> möglich sein, in welcher auch dieser tiefe Jnhalt mit einer dichterischen <lb n="p2b_019.017"/> Form sich deckt? Da hier der Jnhalt an das Erhabene grenzt, so wird allerdings <lb n="p2b_019.018"/> auch die Form erhaben sein müssen. Das Erhabene aber ist nur das <lb n="p2b_019.019"/> Schöne in gewaltiger Form. (Vgl. Bd. <hi rendition="#aq">I</hi>. S. 92 u. 93.) Die wahre <lb n="p2b_019.020"/> ästhetische Freiheit liegt gerade in der Form, durch welche auf das Ganze <lb n="p2b_019.021"/> des Menschen gewirkt werden kann. Wir geben zu, daß ein in Reime gebrachtes <lb n="p2b_019.022"/> philosophisches System noch kein Gedicht sei; aber wir verlangen eben vom <lb n="p2b_019.023"/> didaktischen Gedichte etwas anderes, vielleicht das Höchste, was durch dichterische <lb n="p2b_019.024"/> Darstellung auszudrücken ist. Wir verlangen, daß der <hi rendition="#g">Dichter und der <lb n="p2b_019.025"/> Philosoph nicht zwei Personen</hi> seien, sondern eine <hi rendition="#g">einzige normale, <lb n="p2b_019.026"/> geist- und phantasiereiche Persönlichkeit, welche ihren <lb n="p2b_019.027"/> Platz auf dem Parnaß hat, der aber die Thäler der Weisheit <lb n="p2b_019.028"/> nicht verschlossen seien.</hi> Nur so finden die ernsten Harfentöne drunten <lb n="p2b_019.029"/> im Thale ihren entzückenden Wiederhall, während oben neben der Harfe die <lb n="p2b_019.030"/> Lyra bebt und leise harmonische Accorde mit einmischt, wenn die Schallwellen <lb n="p2b_019.031"/> der Harfe über sie hinstreichen.</p> <p><lb n="p2b_019.032"/> Dies war auch Rückerts Ansicht. Er sprach sie nur mit andern Worten aus: <lb n="p2b_019.033"/> <lg><l>Poetische Blumenles' und hohes Spekulieren,</l><lb n="p2b_019.034"/><l>Von einem muß ich mich zum andern hin verlieren. </l></lg><lg><lb n="p2b_019.035"/><l>Das eine würd' ich denn verlieren überm andern,</l><lb n="p2b_019.036"/><l>Wenn ich von diesem weit zu jenem müßte wandern. </l></lg><lg><lb n="p2b_019.037"/><l>Die Auskunft traf ich drum, <hi rendition="#g">hier beides zu vereinen,</hi></l><lb n="p2b_019.038"/><l>Wo Stern' und Blumen durch einander blühn im Kleinen.</l></lg> <lb n="p2b_019.039"/> <hi rendition="#right">(Weisheit des Brahmanen <hi rendition="#aq">X</hi>. 98. S. 379.)</hi></p> <p><lb n="p2b_019.040"/> Jene sogenannte Didaktik, bei welcher sich das Lehrhafte als solches ausschließlich <lb n="p2b_019.041"/> in den Vordergrund drängt, oder die das Ergebnis von Spekulationen <lb n="p2b_019.042"/> ohne alle subjektive Durchdringung und Belebung nur in bloße Reime bringt, <lb n="p2b_019.043"/> fällt aus aller Poesie heraus, eben weil eine, wenn auch noch so schön <lb n="p2b_019.044"/> aufgeputzte nüchterne Lehre nur Reimerei sein kann; eine Reimerei, bei welcher </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [19/0041]
p2b_019.001
der alles Schönen, zu erfreuen. Daher gehören Belehrung und Spekulation nicht p2b_019.002
in den eigentlichen Begriff der Poesie, deren Gesetz allein die Schönheit ist. p2b_019.003
Beides, das Jnstruktive wie das Spekulative, beeinträchtigt das ruhige Empfinden, p2b_019.004
die unmittelbare Aufnahme und den ungeteilten Eindruck: das Jnstruktive, p2b_019.005
weil es das Gefühl erst in zweiter Linie berücksichtigen kann; p2b_019.006
das Spekulative, weil es seinem Wesen nach nicht als fertig dargereicht p2b_019.007
wird, und somit ebenfalls nicht auf das Gefühl unmittelbar wirkt. Dante p2b_019.008
(Göttliche Komödie) und Goethe (Faust) haben allerdings das Problem der p2b_019.009
Vereinigung von Spekulation und Poesie gelöst, während andere, wie W. Jordan p2b_019.010
(Demiurgos), Mosen (Ahasver) philosophisch reflektierend blieben.
p2b_019.011
Wenn schon eine leichte Reflexion dem Dichter zum Gedichte werden kann, p2b_019.012
und er zu seinem Gedichte die passende, schöne Form findet, soll dann nicht p2b_019.013
auch für den höchsten Gedanken, für die höchste Spekulation eine Form gefunden p2b_019.014
werden können, unter welcher das Gedankliche, Spekulative für die Poesie p2b_019.015
flüssig gemacht wird, sollte nicht eine vollendete dichterische Darstellung zu erzielen p2b_019.016
möglich sein, in welcher auch dieser tiefe Jnhalt mit einer dichterischen p2b_019.017
Form sich deckt? Da hier der Jnhalt an das Erhabene grenzt, so wird allerdings p2b_019.018
auch die Form erhaben sein müssen. Das Erhabene aber ist nur das p2b_019.019
Schöne in gewaltiger Form. (Vgl. Bd. I. S. 92 u. 93.) Die wahre p2b_019.020
ästhetische Freiheit liegt gerade in der Form, durch welche auf das Ganze p2b_019.021
des Menschen gewirkt werden kann. Wir geben zu, daß ein in Reime gebrachtes p2b_019.022
philosophisches System noch kein Gedicht sei; aber wir verlangen eben vom p2b_019.023
didaktischen Gedichte etwas anderes, vielleicht das Höchste, was durch dichterische p2b_019.024
Darstellung auszudrücken ist. Wir verlangen, daß der Dichter und der p2b_019.025
Philosoph nicht zwei Personen seien, sondern eine einzige normale, p2b_019.026
geist- und phantasiereiche Persönlichkeit, welche ihren p2b_019.027
Platz auf dem Parnaß hat, der aber die Thäler der Weisheit p2b_019.028
nicht verschlossen seien. Nur so finden die ernsten Harfentöne drunten p2b_019.029
im Thale ihren entzückenden Wiederhall, während oben neben der Harfe die p2b_019.030
Lyra bebt und leise harmonische Accorde mit einmischt, wenn die Schallwellen p2b_019.031
der Harfe über sie hinstreichen.
p2b_019.032
Dies war auch Rückerts Ansicht. Er sprach sie nur mit andern Worten aus: p2b_019.033
Poetische Blumenles' und hohes Spekulieren, p2b_019.034
Von einem muß ich mich zum andern hin verlieren.
p2b_019.035
Das eine würd' ich denn verlieren überm andern, p2b_019.036
Wenn ich von diesem weit zu jenem müßte wandern.
p2b_019.037
Die Auskunft traf ich drum, hier beides zu vereinen, p2b_019.038
Wo Stern' und Blumen durch einander blühn im Kleinen.
p2b_019.039
(Weisheit des Brahmanen X. 98. S. 379.)
p2b_019.040
Jene sogenannte Didaktik, bei welcher sich das Lehrhafte als solches ausschließlich p2b_019.041
in den Vordergrund drängt, oder die das Ergebnis von Spekulationen p2b_019.042
ohne alle subjektive Durchdringung und Belebung nur in bloße Reime bringt, p2b_019.043
fällt aus aller Poesie heraus, eben weil eine, wenn auch noch so schön p2b_019.044
aufgeputzte nüchterne Lehre nur Reimerei sein kann; eine Reimerei, bei welcher
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |