Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_330.001 Und Jrans Große nahten, sich verbeugend, p2b_330.002 p2b_330.005Dem Jredsch ihre Huldigung bezeugend. p2b_330.003 So setzten sich in freud'gem Hochgefühle p2b_330.004 Die Drei auf ihre goldnen Herrscherstühle. 2. p2b_330.006 Es floh die Zeit; doch in des Schicksals Schoß p2b_330.008 Verbarg sich ein geheimnisvolles Los. p2b_330.009 Dem hehren Feridun ward greis das Haupt, p2b_330.010 Der Frühlingsgarten wurde weiß bestaubt, p2b_330.011 Denn also nehmen alle Dinge ab, p2b_330.012 Der Starke neigt sich alternd in das Grab. p2b_330.013 Den Söhnen ward, je mehr des Vaters Kraft p2b_330.014 Zu Ende ging, das Herz voll Leidenschaft. p2b_330.015 Die Seele Selms begann sich zu umnachten p2b_330.016 Und anders ward sein Sinnen und sein Trachten. p2b_330.017 Arglistig saß er zwischen seinen Räten, p2b_330.018 Bereit, den Weg des Bösen zu betreten; p2b_330.019 Daß Feridun so Thron als Diadem p2b_330.020 Dem Jüngern gab, das war ihm nicht genehm. p2b_330.021 Die Stirne runzelnd, sinnt er Böses nur, p2b_330.022 Schickt einen Boten an den Bruder Tur p2b_330.023 Und heißt ihn solche Worte zu ihm reden: p2b_330.024 "Sei froh! Erreiche deiner Wünsche jeden! p2b_330.025 Doch sag', o Schah von Turkestan und Tschin, p2b_330.026 Du Mann von Weisheit, Kraft und Heldensinn, p2b_330.027 Wird er mißhandelt, zürnt nicht dann ein jeder? p2b_330.028 Kleingeistig wär'st du, Hoher gleich der Ceder? p2b_330.029 Vernimm jetzt was ich dir erzählen will, p2b_330.030 Die Vorzeit sei vor solcher Kunde still! p2b_330.031 Drei Brüder waren wir, des Thrones Zier; p2b_330.032 Nun steht der Jüng're über dir und mir. p2b_330.033 Mir, der dem Alter nach den Vorrang führt, p2b_330.034 Mir hätte wohl der erste Platz gebührt, p2b_330.035 Und, wären Thron und Krone mir entgangen, p2b_330.036 So hätt' es dir geziemt, sie zu erlangen; p2b_330.037 Wie schwiegen wir nun zu der argen That, p2b_330.038 Die Feridun an uns begangen hat, p2b_330.039 Da er an Jredsch Jran gab, das Land p2b_330.040 Der Lanzenschwingenden und Jemens Strand, p2b_330.041 Und so zum Mächtigsten den Jüngsten machte, p2b_330.042 Die Ältern aber ärmlicher bedachte? p2b_330.043 Nein, nicht in solche Teilung füg' ich mich! p2b_330.044 Nicht mit des Vaters Spruch begnüg' ich mich!" p2b_330.045
Es eilt auf windgeschwindem Dromedar p2b_330.046 Der Bote hin zu Turan's Schehriar p2b_330.047 Und trägt ihm die befohl'nen Worte vor; p2b_330.048 Tur braust mit schwindelndem Gehirn empor, p2b_330.049 Und wird, jemehr der Reden er vernimmt, p2b_330.050 So wie der wilde Löwe zornergrimmt. p2b_330.051 "Geh hin zu Selm! - ruft er mit Ungestüm - p2b_330.052 Jn meinem Namen rede so zu ihm: p2b_330.001 Und Jrans Große nahten, sich verbeugend, p2b_330.002 p2b_330.005Dem Jredsch ihre Huldigung bezeugend. p2b_330.003 So setzten sich in freud'gem Hochgefühle p2b_330.004 Die Drei auf ihre goldnen Herrscherstühle. 2. p2b_330.006 Es floh die Zeit; doch in des Schicksals Schoß p2b_330.008 Verbarg sich ein geheimnisvolles Los. p2b_330.009 Dem hehren Feridun ward greis das Haupt, p2b_330.010 Der Frühlingsgarten wurde weiß bestaubt, p2b_330.011 Denn also nehmen alle Dinge ab, p2b_330.012 Der Starke neigt sich alternd in das Grab. p2b_330.013 Den Söhnen ward, je mehr des Vaters Kraft p2b_330.014 Zu Ende ging, das Herz voll Leidenschaft. p2b_330.015 Die Seele Selms begann sich zu umnachten p2b_330.016 Und anders ward sein Sinnen und sein Trachten. p2b_330.017 Arglistig saß er zwischen seinen Räten, p2b_330.018 Bereit, den Weg des Bösen zu betreten; p2b_330.019 Daß Feridun so Thron als Diadem p2b_330.020 Dem Jüngern gab, das war ihm nicht genehm. p2b_330.021 Die Stirne runzelnd, sinnt er Böses nur, p2b_330.022 Schickt einen Boten an den Bruder Tur p2b_330.023 Und heißt ihn solche Worte zu ihm reden: p2b_330.024 „Sei froh! Erreiche deiner Wünsche jeden! p2b_330.025 Doch sag', o Schah von Turkestan und Tschin, p2b_330.026 Du Mann von Weisheit, Kraft und Heldensinn, p2b_330.027 Wird er mißhandelt, zürnt nicht dann ein jeder? p2b_330.028 Kleingeistig wär'st du, Hoher gleich der Ceder? p2b_330.029 Vernimm jetzt was ich dir erzählen will, p2b_330.030 Die Vorzeit sei vor solcher Kunde still! p2b_330.031 Drei Brüder waren wir, des Thrones Zier; p2b_330.032 Nun steht der Jüng're über dir und mir. p2b_330.033 Mir, der dem Alter nach den Vorrang führt, p2b_330.034 Mir hätte wohl der erste Platz gebührt, p2b_330.035 Und, wären Thron und Krone mir entgangen, p2b_330.036 So hätt' es dir geziemt, sie zu erlangen; p2b_330.037 Wie schwiegen wir nun zu der argen That, p2b_330.038 Die Feridun an uns begangen hat, p2b_330.039 Da er an Jredsch Jran gab, das Land p2b_330.040 Der Lanzenschwingenden und Jemens Strand, p2b_330.041 Und so zum Mächtigsten den Jüngsten machte, p2b_330.042 Die Ältern aber ärmlicher bedachte? p2b_330.043 Nein, nicht in solche Teilung füg' ich mich! p2b_330.044 Nicht mit des Vaters Spruch begnüg' ich mich!“ p2b_330.045
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Nicht mit des Vaters Spruch begnüg' ich mich!“
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So wie der wilde Löwe zornergrimmt. p2b_330.051
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/352>, abgerufen am 16.07.2024. |