Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_328.001 p2b_328.003 Gesang VII. (Erato.) p2b_328.005 Denkend schaute Hermann zur Erde; dann hob er die Blicke p2b_328.006 Ruhig gegen sie auf, und sah ihr freundlich in's Auge, p2b_328.007 Fühlte sich still und getrost. Jedoch ihr von Liebe zu sprechen p2b_328.008 Wär' ihm unmöglich gewesen; ihr Auge blickte nicht Liebe, p2b_328.009 Aber hellen Verstand, und gebot verständig zu reden. p2b_328.010 Und er faßte sich schnell und sagte traulich zum Mädchen: p2b_328.011 Laß mich reden, mein Kind, und deine Fragen erwidern. p2b_328.012 Deinetwegen kam ich hierher! was soll ich's verbergen? p2b_328.013 Denn ich lebe beglückt mit beiden liebenden Eltern, p2b_328.014 Denen ich treulich das Haus und die Güter helfe verwalten, p2b_328.015 Als der einzige Sohn, und unsre Geschäfte sind vielfach. p2b_328.016 Alle Felder besorg' ich; der Vater waltet im Hause p2b_328.017 Fleißig; die thätige Mutter belebt im Ganzen die Wirtschaft. p2b_328.018 Aber du hast gewiß auch erfahren, wie sehr das Gesinde p2b_328.019 Bald durch Leichtsinn und bald durch Untreu plaget die Hausfrau, p2b_328.020 Jmmer sie nötigt zu wechseln und Fehler um Fehler zu tauschen. p2b_328.021 Lange wünschte die Mutter daher sich ein Mädchen im Hause, p2b_328.022 Das mit der Hand nicht allein, das auch mit dem Herzen ihr hülfe p2b_328.023 An der Tochter Statt, der leider frühe verlornen. p2b_328.024 Nun, als ich heut' am Wagen dich sah in froher Gewandtheit, p2b_328.025 Sah die Stärke des Arms und die volle Gesundheit der Glieder, p2b_328.026 Als ich die Worte vernahm, die verständigen, war ich betroffen, p2b_328.027 Und ich eilte nach Hause, den Eltern und Freunden die Fremde p2b_328.028 Rühmend nach ihrem Verdienst. Nun komm' ich, dir aber zu sagen p2b_328.029 Was sie wünschen, wie ich. - Verzeih' mir die stotternde Rede. p2b_328.030 Scheuet Euch nicht, so sagte sie drauf, das Weitre zu sprechen; p2b_328.031 Jhr beleidigt mich nicht, ich hab' es dankbar empfunden. p2b_328.032 Sagt es nur grad' heraus; mich kann das Wort nicht erschrecken: p2b_328.033 Dingen möchtet ihr mich als Magd für Vater und Mutter, p2b_328.034 Zu versehen das Haus, das wohlerhalten Euch dasteht; p2b_328.035 Und ihr glaubet an mir ein tüchtiges Mädchen zu finden, p2b_328.036 Zu der Arbeit geschickt und nicht von rohem Gemüte. p2b_328.037 Euer Antrag war kurz; so soll die Antwort auch kurz sein. p2b_328.038 Ja, ich gehe mit Euch, und folge dem Rufe des Schicksals. p2b_328.039 Meine Pflicht ist erfüllt, ich habe die Wöchnerin wieder p2b_328.040 Zu den Jhren gebracht, sie freuen sich alle der Rettung; p2b_328.041 Schon sind die meisten beisammen, die übrigen werden sich finden. p2b_328.042 Alle denken gewiß in kurzen Tagen zur Heimat p2b_328.043 Wiederzukehren; so pflegt sich stets der Vertriebne zu schmeicheln. u. s. f. p2b_328.044 p2b_328.001 p2b_328.003 Gesang VII. (Erato.) p2b_328.005 Denkend schaute Hermann zur Erde; dann hob er die Blicke p2b_328.006 Ruhig gegen sie auf, und sah ihr freundlich in's Auge, p2b_328.007 Fühlte sich still und getrost. Jedoch ihr von Liebe zu sprechen p2b_328.008 Wär' ihm unmöglich gewesen; ihr Auge blickte nicht Liebe, p2b_328.009 Aber hellen Verstand, und gebot verständig zu reden. p2b_328.010 Und er faßte sich schnell und sagte traulich zum Mädchen: p2b_328.011 Laß mich reden, mein Kind, und deine Fragen erwidern. p2b_328.012 Deinetwegen kam ich hierher! was soll ich's verbergen? p2b_328.013 Denn ich lebe beglückt mit beiden liebenden Eltern, p2b_328.014 Denen ich treulich das Haus und die Güter helfe verwalten, p2b_328.015 Als der einzige Sohn, und unsre Geschäfte sind vielfach. p2b_328.016 Alle Felder besorg' ich; der Vater waltet im Hause p2b_328.017 Fleißig; die thätige Mutter belebt im Ganzen die Wirtschaft. p2b_328.018 Aber du hast gewiß auch erfahren, wie sehr das Gesinde p2b_328.019 Bald durch Leichtsinn und bald durch Untreu plaget die Hausfrau, p2b_328.020 Jmmer sie nötigt zu wechseln und Fehler um Fehler zu tauschen. p2b_328.021 Lange wünschte die Mutter daher sich ein Mädchen im Hause, p2b_328.022 Das mit der Hand nicht allein, das auch mit dem Herzen ihr hülfe p2b_328.023 An der Tochter Statt, der leider frühe verlornen. p2b_328.024 Nun, als ich heut' am Wagen dich sah in froher Gewandtheit, p2b_328.025 Sah die Stärke des Arms und die volle Gesundheit der Glieder, p2b_328.026 Als ich die Worte vernahm, die verständigen, war ich betroffen, p2b_328.027 Und ich eilte nach Hause, den Eltern und Freunden die Fremde p2b_328.028 Rühmend nach ihrem Verdienst. Nun komm' ich, dir aber zu sagen p2b_328.029 Was sie wünschen, wie ich. ─ Verzeih' mir die stotternde Rede. p2b_328.030 Scheuet Euch nicht, so sagte sie drauf, das Weitre zu sprechen; p2b_328.031 Jhr beleidigt mich nicht, ich hab' es dankbar empfunden. p2b_328.032 Sagt es nur grad' heraus; mich kann das Wort nicht erschrecken: p2b_328.033 Dingen möchtet ihr mich als Magd für Vater und Mutter, p2b_328.034 Zu versehen das Haus, das wohlerhalten Euch dasteht; p2b_328.035 Und ihr glaubet an mir ein tüchtiges Mädchen zu finden, p2b_328.036 Zu der Arbeit geschickt und nicht von rohem Gemüte. p2b_328.037 Euer Antrag war kurz; so soll die Antwort auch kurz sein. p2b_328.038 Ja, ich gehe mit Euch, und folge dem Rufe des Schicksals. p2b_328.039 Meine Pflicht ist erfüllt, ich habe die Wöchnerin wieder p2b_328.040 Zu den Jhren gebracht, sie freuen sich alle der Rettung; p2b_328.041 Schon sind die meisten beisammen, die übrigen werden sich finden. p2b_328.042 Alle denken gewiß in kurzen Tagen zur Heimat p2b_328.043 Wiederzukehren; so pflegt sich stets der Vertriebne zu schmeicheln. u. s. f. p2b_328.044 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0350" n="328"/><lb n="p2b_328.001"/> zugleich Flug des Geistes und Ruhe der Empfindung, und fügt alle Elemente <lb n="p2b_328.002"/> des menschlichen Daseins zu einem großen Ganzen zusammen.“</p> <p> <lb n="p2b_328.003"/> <hi rendition="#g">Probe aus Hermann und Dorothea.</hi> </p> <lb n="p2b_328.004"/> <p> <hi rendition="#c">Gesang <hi rendition="#aq">VII</hi>. 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Tellkampf <lb n="p2b_328.045"/> (Jrmgard); Kosegarten (Die Jnselfahrt); Dill (Paul und Therese); Bäßler <lb n="p2b_328.046"/> (Wilfried); M. Hartmann (Adam und Eva); Gregorovius (Euphorion); Ebert <lb n="p2b_328.047"/> (Das Kloster); Häring (Die Treibjagd); F. Rhode (Heinrich und Leonore); <lb n="p2b_328.048"/> F. Boas u. a.</p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [328/0350]
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zugleich Flug des Geistes und Ruhe der Empfindung, und fügt alle Elemente p2b_328.002
des menschlichen Daseins zu einem großen Ganzen zusammen.“
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Probe aus Hermann und Dorothea.
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Gesang VII. (Erato.)
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Denkend schaute Hermann zur Erde; dann hob er die Blicke p2b_328.006
Ruhig gegen sie auf, und sah ihr freundlich in's Auge, p2b_328.007
Fühlte sich still und getrost. Jedoch ihr von Liebe zu sprechen p2b_328.008
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Und er faßte sich schnell und sagte traulich zum Mädchen: p2b_328.011
Laß mich reden, mein Kind, und deine Fragen erwidern. p2b_328.012
Deinetwegen kam ich hierher! was soll ich's verbergen? p2b_328.013
Denn ich lebe beglückt mit beiden liebenden Eltern, p2b_328.014
Denen ich treulich das Haus und die Güter helfe verwalten, p2b_328.015
Als der einzige Sohn, und unsre Geschäfte sind vielfach. p2b_328.016
Alle Felder besorg' ich; der Vater waltet im Hause p2b_328.017
Fleißig; die thätige Mutter belebt im Ganzen die Wirtschaft. p2b_328.018
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Bald durch Leichtsinn und bald durch Untreu plaget die Hausfrau, p2b_328.020
Jmmer sie nötigt zu wechseln und Fehler um Fehler zu tauschen. p2b_328.021
Lange wünschte die Mutter daher sich ein Mädchen im Hause, p2b_328.022
Das mit der Hand nicht allein, das auch mit dem Herzen ihr hülfe p2b_328.023
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Nun, als ich heut' am Wagen dich sah in froher Gewandtheit, p2b_328.025
Sah die Stärke des Arms und die volle Gesundheit der Glieder, p2b_328.026
Als ich die Worte vernahm, die verständigen, war ich betroffen, p2b_328.027
Und ich eilte nach Hause, den Eltern und Freunden die Fremde p2b_328.028
Rühmend nach ihrem Verdienst. Nun komm' ich, dir aber zu sagen p2b_328.029
Was sie wünschen, wie ich. ─ Verzeih' mir die stotternde Rede.
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Scheuet Euch nicht, so sagte sie drauf, das Weitre zu sprechen; p2b_328.031
Jhr beleidigt mich nicht, ich hab' es dankbar empfunden. p2b_328.032
Sagt es nur grad' heraus; mich kann das Wort nicht erschrecken: p2b_328.033
Dingen möchtet ihr mich als Magd für Vater und Mutter, p2b_328.034
Zu versehen das Haus, das wohlerhalten Euch dasteht; p2b_328.035
Und ihr glaubet an mir ein tüchtiges Mädchen zu finden, p2b_328.036
Zu der Arbeit geschickt und nicht von rohem Gemüte. p2b_328.037
Euer Antrag war kurz; so soll die Antwort auch kurz sein. p2b_328.038
Ja, ich gehe mit Euch, und folge dem Rufe des Schicksals. p2b_328.039
Meine Pflicht ist erfüllt, ich habe die Wöchnerin wieder p2b_328.040
Zu den Jhren gebracht, sie freuen sich alle der Rettung; p2b_328.041
Schon sind die meisten beisammen, die übrigen werden sich finden. p2b_328.042
Alle denken gewiß in kurzen Tagen zur Heimat p2b_328.043
Wiederzukehren; so pflegt sich stets der Vertriebne zu schmeicheln. u. s. f.
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Zur Litteratur des idyllischen Epos sind noch zu nennen: Ad. Tellkampf p2b_328.045
(Jrmgard); Kosegarten (Die Jnselfahrt); Dill (Paul und Therese); Bäßler p2b_328.046
(Wilfried); M. Hartmann (Adam und Eva); Gregorovius (Euphorion); Ebert p2b_328.047
(Das Kloster); Häring (Die Treibjagd); F. Rhode (Heinrich und Leonore); p2b_328.048
F. Boas u. a.
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/350>, abgerufen am 16.07.2024. |