Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_082.001 p2b_082.005 p2b_082.012 p2b_082.016 § 54. Geheimnisse in der Bildung des Volkslieds. p2b_082.025 p2b_082.027 p2b_082.030 A. Die Wiederholung ganzer Satzteile und Satzformen im gleichen p2b_082.032 B. Wiederholung ganzer Satzteile und Satzformen in verschiedenen p2b_082.034 C. Umbildungen und Nachbildungen beliebt gewordener Volkslieder. p2b_082.036D. Anklang des gleichen Gedankens in veränderter Form. p2b_082.037E. Anwendung von Vorschlägen, Elisionen &c. p2b_082.038 p2b_082.001 p2b_082.005 p2b_082.012 p2b_082.016 § 54. Geheimnisse in der Bildung des Volkslieds. p2b_082.025 p2b_082.027 p2b_082.030 A. Die Wiederholung ganzer Satzteile und Satzformen im gleichen p2b_082.032 B. Wiederholung ganzer Satzteile und Satzformen in verschiedenen p2b_082.034 C. Umbildungen und Nachbildungen beliebt gewordener Volkslieder. p2b_082.036D. Anklang des gleichen Gedankens in veränderter Form. p2b_082.037E. Anwendung von Vorschlägen, Elisionen &c. p2b_082.038 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0104" n="82"/><lb n="p2b_082.001"/> entzückend, wie die freien Berge mit ihren Felsen, Rissen, Schluchten, Wäldern <lb n="p2b_082.002"/> und Seen. Diese urwüchsige Schönheit ─, sowie auch ihr Ursprung ─ ist <lb n="p2b_082.003"/> ein wesentliches Unterscheidungs-Moment des Volksliedes von dem regelvollen <lb n="p2b_082.004"/> Kunstliede.</p> <p><lb n="p2b_082.005"/> Das Volkslied wächst aus dem gesamten Volksgewissen und Volksgemüt <lb n="p2b_082.006"/> heraus. Der Dichter, welcher es gesungen hat, war nur das Organ dieses <lb n="p2b_082.007"/> Volksgeistes, der Ausdruck der die Nation bewegenden Volksstimmung; er wollte <lb n="p2b_082.008"/> sich nie in seiner Vorzugsstellung präsentieren; er wollte nur <hi rendition="#g">das</hi> ausdrücken, <lb n="p2b_082.009"/> was sein Volk bewegte. <anchor xml:id="p2b017"/>Daher ist das Volkslied arm geblieben in sprachlichen <lb n="p2b_082.010"/> Formen und Wendungen und Metaphern, daher kam es ihm auch nicht auf <lb n="p2b_082.011"/> Originalität an. <anchor xml:id="p2b018"/> <note targetEnd="#p2b018" type="metapher" ana="#m1-0-1-2 #m1-2-5 #m1-4-2" target="#p2b017"> Werkgr. Volkslied</note> </p> <p><lb n="p2b_082.012"/> 2. Der Volksdichter setzt keine besondere Bildung bei seinem Publikum <lb n="p2b_082.013"/> voraus. Er ist daher auch dem Ungebildeten verständlich. Der Kunstdichter <lb n="p2b_082.014"/> muß sich herabstimmen, er muß sich der Bildung des Volks accommodieren. <lb n="p2b_082.015"/> Dies vermag nicht jeder.</p> <p><lb n="p2b_082.016"/> Daher haben es nur wenige Kunstdichter verstanden, den Volkston zu <lb n="p2b_082.017"/> treffen; doch haben mehrere derselben Kunstlieder geschaffen, die mit einfachedlem <lb n="p2b_082.018"/> kräftigem Ausdruck und poetischem Gedanken nicht einer besonderen Kulturstufe, <lb n="p2b_082.019"/> wohl aber dem ganzen Volksleben entsprechen, die nicht Standespoesie, <lb n="p2b_082.020"/> sondern volkstümliche Poesie sind, die den Geist des Volks und seine Bedürfnisse <lb n="p2b_082.021"/> ausdrücken und die unsere Nation durchwogende Stimmung wiederspiegeln, <lb n="p2b_082.022"/> die also, wenn sie auch keine Volkslieder waren, doch (wie es zuerst Hoffmann <lb n="p2b_082.023"/> von Fallersleben that) <hi rendition="#g">volkstümlich</hi> genannt zu werden verdienen.</p> </div> <lb n="p2b_082.024"/> <div n="5"> <head> <hi rendition="#c">§ 54. Geheimnisse in der Bildung des Volkslieds.</hi> </head> <p><lb n="p2b_082.025"/> 1. Das Volkslied meidet die Abstraktion. Es verlangt anschauliche <lb n="p2b_082.026"/> naive Ausdrucksweise.</p> <p><lb n="p2b_082.027"/> 2. Alle Volkslieder sehen sich ähnlich. Die geheimnisvolle Eigenart <lb n="p2b_082.028"/> ihres Baues besteht im Gebrauch gleicher Phrasen, Anklänge, Wendungen, <lb n="p2b_082.029"/> Vorschläge, Elisionen.</p> <p><lb n="p2b_082.030"/> Eigenartig ist:</p> <lb n="p2b_082.031"/> <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">A</hi>. Die Wiederholung ganzer Satzteile und Satzformen im gleichen <lb n="p2b_082.032"/> Volksliede.</hi> </p> <lb n="p2b_082.033"/> <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">B</hi>. Wiederholung ganzer Satzteile und Satzformen in verschiedenen <lb n="p2b_082.034"/> Volksliedern.</hi> </p> <lb n="p2b_082.035"/> <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">C</hi>. 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entzückend, wie die freien Berge mit ihren Felsen, Rissen, Schluchten, Wäldern p2b_082.002
und Seen. Diese urwüchsige Schönheit ─, sowie auch ihr Ursprung ─ ist p2b_082.003
ein wesentliches Unterscheidungs-Moment des Volksliedes von dem regelvollen p2b_082.004
Kunstliede.
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Das Volkslied wächst aus dem gesamten Volksgewissen und Volksgemüt p2b_082.006
heraus. Der Dichter, welcher es gesungen hat, war nur das Organ dieses p2b_082.007
Volksgeistes, der Ausdruck der die Nation bewegenden Volksstimmung; er wollte p2b_082.008
sich nie in seiner Vorzugsstellung präsentieren; er wollte nur das ausdrücken, p2b_082.009
was sein Volk bewegte. Daher ist das Volkslied arm geblieben in sprachlichen p2b_082.010
Formen und Wendungen und Metaphern, daher kam es ihm auch nicht auf p2b_082.011
Originalität an. Werkgr. Volkslied
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2. Der Volksdichter setzt keine besondere Bildung bei seinem Publikum p2b_082.013
voraus. Er ist daher auch dem Ungebildeten verständlich. Der Kunstdichter p2b_082.014
muß sich herabstimmen, er muß sich der Bildung des Volks accommodieren. p2b_082.015
Dies vermag nicht jeder.
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Daher haben es nur wenige Kunstdichter verstanden, den Volkston zu p2b_082.017
treffen; doch haben mehrere derselben Kunstlieder geschaffen, die mit einfachedlem p2b_082.018
kräftigem Ausdruck und poetischem Gedanken nicht einer besonderen Kulturstufe, p2b_082.019
wohl aber dem ganzen Volksleben entsprechen, die nicht Standespoesie, p2b_082.020
sondern volkstümliche Poesie sind, die den Geist des Volks und seine Bedürfnisse p2b_082.021
ausdrücken und die unsere Nation durchwogende Stimmung wiederspiegeln, p2b_082.022
die also, wenn sie auch keine Volkslieder waren, doch (wie es zuerst Hoffmann p2b_082.023
von Fallersleben that) volkstümlich genannt zu werden verdienen.
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§ 54. Geheimnisse in der Bildung des Volkslieds. p2b_082.025
1. Das Volkslied meidet die Abstraktion. Es verlangt anschauliche p2b_082.026
naive Ausdrucksweise.
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2. Alle Volkslieder sehen sich ähnlich. Die geheimnisvolle Eigenart p2b_082.028
ihres Baues besteht im Gebrauch gleicher Phrasen, Anklänge, Wendungen, p2b_082.029
Vorschläge, Elisionen.
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Eigenartig ist:
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A. Die Wiederholung ganzer Satzteile und Satzformen im gleichen p2b_082.032
Volksliede.
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B. Wiederholung ganzer Satzteile und Satzformen in verschiedenen p2b_082.034
Volksliedern.
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C. Umbildungen und Nachbildungen beliebt gewordener Volkslieder.
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D. Anklang des gleichen Gedankens in veränderter Form.
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E. Anwendung von Vorschlägen, Elisionen &c.
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1. Das Charakteristische des Volksliedes erkennt man erst, wenn man p2b_082.039
sich in dasselbe hineingelebt hat. Jst dies der Fall, so wird man sich hüten, p2b_082.040
alles, was ein Teil des Volkes singt, ohne weiteres als Volkslied zu bezeichnen. p2b_082.041
So ist ─ um nur eines zu erwähnen ─ das Lied „Freut Euch des Lebens“
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