Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_024.001 III. Epik. p2b_024.002§ 16. Begriff der Epik. p2b_024.024p2b_024.003 p2b_024.008 p2b_024.009 p2b_024.012 § 17. Anforderungen an den Epiker. p2b_024.025 p2b_024.029 p2b_024.030 Hoch, o Demodokos, preist dich mein Herz vor den Sterblichen allen! p2b_024.033 p2b_024.037Dich hat die Muse gelehrt, Zeus Tochter sie, oder Apollon! p2b_024.034 So genau nach der Ordnung besingst du der Danaer Schicksal, p2b_024.035 Was sie gethan und erduldet im lang ermüdenden Feldzug; p2b_024.036 Gleich als ob du selber dabei warst, oder es hörtest. (Odyssee, übers. v. Voß 8. 487 ff., vgl. 11. 368 ff.) p2b_024.038 p2b_024.001 III. Epik. p2b_024.002§ 16. Begriff der Epik. p2b_024.024p2b_024.003 p2b_024.008 p2b_024.009 p2b_024.012 § 17. Anforderungen an den Epiker. p2b_024.025 p2b_024.029 p2b_024.030 Hoch, o Demodokos, preist dich mein Herz vor den Sterblichen allen! p2b_024.033 p2b_024.037Dich hat die Muse gelehrt, Zeus Tochter sie, oder Apollon! p2b_024.034 So genau nach der Ordnung besingst du der Danaer Schicksal, p2b_024.035 Was sie gethan und erduldet im lang ermüdenden Feldzug; p2b_024.036 Gleich als ob du selber dabei warst, oder es hörtest. (Odyssee, übers. v. Voß 8. 487 ff., vgl. 11. 368 ff.) p2b_024.038 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0046" n="24"/> <lb n="p2b_024.001"/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">III</hi>. Epik.</hi> </head> <lb n="p2b_024.002"/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 16. Begriff der Epik.</hi> </head> <p><lb n="p2b_024.003"/> 1. Die epische Poesie hat ihren Namen vom griechischen Worte <lb n="p2b_024.004"/> Epos (<foreign xml:lang="grc">ἔπος</foreign> == Wort, Erzählung <foreign xml:lang="grc">τὰ ἔπη</foreign>, Od. 4. 597). Sie ist die <lb n="p2b_024.005"/> dichterische Erzählung des Geschehenen, des erlebten Wirklichen wie <lb n="p2b_024.006"/> des in der Sage Lebenden, oder auch des Erdichteten. Epische Poesie <lb n="p2b_024.007"/> und erzählende Poesie sind gleichbedeutend.</p> <p><lb n="p2b_024.008"/> 2. Sie ist objektive Poesie.</p> <p><lb n="p2b_024.009"/> 1. Sofern die Epik auf der Basis der nationalen Sage ruht, ist sie <lb n="p2b_024.010"/> <hi rendition="#g">national,</hi> während die das dichtende Subjekt wiederspiegelnde Lyrik <hi rendition="#g">individuell</hi> <lb n="p2b_024.011"/> oder im weiten Sinne <hi rendition="#g">kosmopolitisch, universell</hi> ist.</p> <p><lb n="p2b_024.012"/> 2. Die epische Poesie ist im Gegensatz zur subjektiven lyrischen und didaktischen <lb n="p2b_024.013"/> Poesie <hi rendition="#g">objektiv.</hi> Jhr <hi rendition="#g">Objekt</hi> sind äußere, außerhalb des Dichters <lb n="p2b_024.014"/> liegende Erscheinungen, Thatsachen, Begebenheiten des menschlichen Lebens, <lb n="p2b_024.015"/> oder auch Erdichtungen, welch letztere nur der innern Wahrscheinlichkeit nicht <lb n="p2b_024.016"/> entbehren dürfen und so dargestellt sein müssen, wie sie möglicherweise geschehen <lb n="p2b_024.017"/> konnten. Es soll nicht gesagt sein, daß die epische Poesie das Gefühl ganz <lb n="p2b_024.018"/> ausschlösse. Dieses geht jedoch von den Personen des Epos aus, sofern es <lb n="p2b_024.019"/> nicht in symbolischer Form auftritt. Ein Vorzug der Poesie im Epos ist es, <lb n="p2b_024.020"/> wenn sie ihre Helden mit dem dichterischen Zauber subjektiven Empfindens <lb n="p2b_024.021"/> schmückt, so daß ─ unter Hinzutritt anmutiger Wahrscheinlichkeit in den Verhältnissen <lb n="p2b_024.022"/> und Situationen ─ der objektive Gegenstand gleichsam mit der <lb n="p2b_024.023"/> subjektiven Empfindung und Anschauung zusammenschmilzt.</p> </div> <lb n="p2b_024.024"/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 17. Anforderungen an den Epiker.</hi> </head> <p><lb n="p2b_024.025"/> 1. Der Epiker muß malend vorgehen. Er muß das Leben erzählen; <lb n="p2b_024.026"/> er muß vergangene Begebenheiten in ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge <lb n="p2b_024.027"/> wiedergeben, wie wir es des näheren unter Epos darlegen <lb n="p2b_024.028"/> werden.</p> <p><lb n="p2b_024.029"/> 2. Der Epiker darf sich nie in den Vordergrund drängen.</p> <p><lb n="p2b_024.030"/> 1. Die Anforderungen an den Epiker sind wahr in folgenden Versen <lb n="p2b_024.031"/> geschildert: <lb n="p2b_024.032"/> <lg><l>Hoch, o Demodokos, preist dich mein Herz vor den Sterblichen allen!</l><lb n="p2b_024.033"/><l>Dich hat die Muse gelehrt, Zeus Tochter sie, oder <hi rendition="#g">Apollon!</hi></l><lb n="p2b_024.034"/><l>So genau <hi rendition="#g">nach der Ordnung</hi> besingst du der Danaer Schicksal,</l><lb n="p2b_024.035"/><l>Was sie gethan und erduldet im lang ermüdenden Feldzug;</l><lb n="p2b_024.036"/><l><hi rendition="#g">Gleich als ob du selber dabei warst, oder es hörtest.</hi></l></lg> <lb n="p2b_024.037"/> <hi rendition="#right">(Odyssee, übers. v. Voß 8. 487 ff., vgl. 11. 368 ff.)</hi></p> <p><lb n="p2b_024.038"/> 2. Wesentlich für den Epiker ist, daß er hinter seinem epischen Helden <lb n="p2b_024.039"/> ganz verschwindet, daß er Entwickelung, Fortgang, Verwickelung und Lösung <lb n="p2b_024.040"/> aus den Charakteren hervorgehen lasse, ohne daß man seine leitende Hand merkt.</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [24/0046]
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III. Epik. p2b_024.002
§ 16. Begriff der Epik. p2b_024.003
1. Die epische Poesie hat ihren Namen vom griechischen Worte p2b_024.004
Epos (ἔπος == Wort, Erzählung τὰ ἔπη, Od. 4. 597). Sie ist die p2b_024.005
dichterische Erzählung des Geschehenen, des erlebten Wirklichen wie p2b_024.006
des in der Sage Lebenden, oder auch des Erdichteten. Epische Poesie p2b_024.007
und erzählende Poesie sind gleichbedeutend.
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2. Sie ist objektive Poesie.
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1. Sofern die Epik auf der Basis der nationalen Sage ruht, ist sie p2b_024.010
national, während die das dichtende Subjekt wiederspiegelnde Lyrik individuell p2b_024.011
oder im weiten Sinne kosmopolitisch, universell ist.
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2. Die epische Poesie ist im Gegensatz zur subjektiven lyrischen und didaktischen p2b_024.013
Poesie objektiv. Jhr Objekt sind äußere, außerhalb des Dichters p2b_024.014
liegende Erscheinungen, Thatsachen, Begebenheiten des menschlichen Lebens, p2b_024.015
oder auch Erdichtungen, welch letztere nur der innern Wahrscheinlichkeit nicht p2b_024.016
entbehren dürfen und so dargestellt sein müssen, wie sie möglicherweise geschehen p2b_024.017
konnten. Es soll nicht gesagt sein, daß die epische Poesie das Gefühl ganz p2b_024.018
ausschlösse. Dieses geht jedoch von den Personen des Epos aus, sofern es p2b_024.019
nicht in symbolischer Form auftritt. Ein Vorzug der Poesie im Epos ist es, p2b_024.020
wenn sie ihre Helden mit dem dichterischen Zauber subjektiven Empfindens p2b_024.021
schmückt, so daß ─ unter Hinzutritt anmutiger Wahrscheinlichkeit in den Verhältnissen p2b_024.022
und Situationen ─ der objektive Gegenstand gleichsam mit der p2b_024.023
subjektiven Empfindung und Anschauung zusammenschmilzt.
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§ 17. Anforderungen an den Epiker. p2b_024.025
1. Der Epiker muß malend vorgehen. Er muß das Leben erzählen; p2b_024.026
er muß vergangene Begebenheiten in ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge p2b_024.027
wiedergeben, wie wir es des näheren unter Epos darlegen p2b_024.028
werden.
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2. Der Epiker darf sich nie in den Vordergrund drängen.
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1. Die Anforderungen an den Epiker sind wahr in folgenden Versen p2b_024.031
geschildert: p2b_024.032
Hoch, o Demodokos, preist dich mein Herz vor den Sterblichen allen! p2b_024.033
Dich hat die Muse gelehrt, Zeus Tochter sie, oder Apollon! p2b_024.034
So genau nach der Ordnung besingst du der Danaer Schicksal, p2b_024.035
Was sie gethan und erduldet im lang ermüdenden Feldzug; p2b_024.036
Gleich als ob du selber dabei warst, oder es hörtest.
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(Odyssee, übers. v. Voß 8. 487 ff., vgl. 11. 368 ff.)
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2. Wesentlich für den Epiker ist, daß er hinter seinem epischen Helden p2b_024.039
ganz verschwindet, daß er Entwickelung, Fortgang, Verwickelung und Lösung p2b_024.040
aus den Charakteren hervorgehen lasse, ohne daß man seine leitende Hand merkt.
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