Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_564.001 Was immer ihm behagt an Speis' und Tranke; p1b_564.002 So ließ auch mir die Liebe p1b_564.003 Verwegne Wünsche, Hoffnungen und Triebe. p1b_564.004 Nun quält mir Tag für Tag p1b_564.005 Vergangnes Glück die Seele, p1b_564.006 Seit ich verbannt ein trübes Leben führte. p1b_564.007 Ob Jemand wähnen mag, p1b_564.008 Jch hätte solche Fehle, p1b_564.009 Daß drob so schwere Strafe mir gebührte? p1b_564.010 So kleiner Jrrtum schürte p1b_564.011 Die Rach' in Eurem Herzen p1b_564.012 Mir, Herrin, so zur Pein! p1b_564.013 Jhr treibt ja Wucher ein. p1b_564.014 Doch sollten Euch des Weitverbannten Schmerzen p1b_564.015 Gewähren Freud' und Frieden, p1b_564.016 Sei meiner Qual nie Rast und Ziel beschieden. p1b_564.017 O schöne klare Flut p1b_564.018 Und Hain' ihr am Gelände, p1b_564.019 Mit deren Laub sich edle Sieger schmücken; p1b_564.020 Die ihr für Pfleg' und Hut p1b_564.021 Des geizgen Pflanzers Hände p1b_564.022 Vom selben Stamm laßt mehrlei Früchte pflücken; p1b_564.023 Euch möge nie bedrücken, p1b_564.024 Wofern in meinen Qualen p1b_564.025 Jhr Lab' und Trost mir weiht, p1b_564.026 Ein Ungemach und Leid, p1b_564.027 Dieweil der Mond empfängt der Sonne Strahlen, p1b_564.028 Auf daß die Nachwelt lerne, p1b_564.029 Man sterbe nicht durch Trennung oder Ferne. p1b_564.030 Mein Lied, verbannt hier bleibst du, - eine Stimme, p1b_564.031 Nackt, ungehört, erkaltet, p1b_564.032 Bis einst die Zeit zur Echo dich gestaltet. p1b_564.033 § 172. Die Vierzeile. p1b_564.034 p1b_564.036 p1b_564.042 Vers 1.Der Frühling ist ein Dichter; p1b_564.044 Wohin er blicket, blühet Baum und Strauch. p1b_564.045 Der Herbst ein Splitterrichter: p1b_564.046 Die Blätter welken, die berührt sein Hauch. 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Man kann Vierzeile wie Ritornell <lb n="p1b_564.041"/> als eine Art Epigramm oder Sinngedicht auffassen.</p> <p> <lb n="p1b_564.042"/> <hi rendition="#g">Beispiele:</hi> </p> <lb n="p1b_564.043"/> <lg> <l n="1.">Der Frühling ist ein Dichter;</l> <lb n="p1b_564.044"/> <l>Wohin er blicket, blühet Baum und Strauch.</l> <lb n="p1b_564.045"/> <l>Der Herbst ein Splitterrichter:</l> <lb n="p1b_564.046"/> <l>Die Blätter welken, die berührt sein Hauch.</l> </lg> <p> <hi rendition="#right">(Rückert.)</hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [564/0598]
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Was immer ihm behagt an Speis' und Tranke; p1b_564.002
So ließ auch mir die Liebe p1b_564.003
Verwegne Wünsche, Hoffnungen und Triebe.
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Sei meiner Qual nie Rast und Ziel beschieden.
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O schöne klare Flut p1b_564.018
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Man sterbe nicht durch Trennung oder Ferne.
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Mein Lied, verbannt hier bleibst du, ─ eine Stimme, p1b_564.031
Nackt, ungehört, erkaltet, p1b_564.032
Bis einst die Zeit zur Echo dich gestaltet.
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§ 172. Die Vierzeile. p1b_564.034
Die gewöhnliche italienische Vierzeile ist ein kleines vierzeiliges p1b_564.035
Gedichtchen witziger oder galanter Natur.
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Durch die Verschiedenartigkeit der Zeilenlänge und des an keine besondere p1b_564.037
Regel gebundenen Reimes ist das Auseinanderfallen in zwei Zweizeilen verhindert. p1b_564.038
Goethe hat die Vierzeilen hundertweise als deutsche Xenien eingeführt, p1b_564.039
unter welchem neuen Titel auch die Rückertschen Vierzeilen in der Ges. p1b_564.040
Ausg. Rückerts (Bd. VII) sich finden. Man kann Vierzeile wie Ritornell p1b_564.041
als eine Art Epigramm oder Sinngedicht auffassen.
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Beispiele:
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Der Frühling ist ein Dichter; p1b_564.044
Wohin er blicket, blühet Baum und Strauch. p1b_564.045
Der Herbst ein Splitterrichter: p1b_564.046
Die Blätter welken, die berührt sein Hauch.
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