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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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Jn Schillers jambischem Quinar seiner sämtlichen dramatischen Stücke p1b_367.003
(mit Ausnahme der Jungfrau von Orleans und der Braut von Messina) herrscht p1b_367.004
zwar formell, d. h. der Silbenzahl oder der räumlichen Ausdehnung nach, das fremde p1b_367.005
Gesetz des zwängend gliedernden Jambus; doch läßt er innerhalb desselben den p1b_367.006
freien deutschen Accent walten: das nach Arsis und Thesis skandierende p1b_367.007
urdeutsche Gesetz, das viele Darsteller, die den jambischen p1b_367.008
Versrhythmns auf der Bühne zum Ausdruck bringen wollen, p1b_367.009
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"improvisatorische Jnstinkt" sie (nach Jordan) p1b_367.012
vor Verdunkelung und Verderbnis durch eine fremd octroierte p1b_367.013
falsche Metrik bewahrt!
Man wird bei genauer Würdigung des p1b_367.014
Schillerschen Bühnenverses zugeben müssen, daß sich derselbe nur dadurch von p1b_367.015
dem epischen altgermanischen Vers unterscheidet, daß die Symmetrie seiner Taktzahl p1b_367.016
wechselt, indem nicht durchweg vier Hebungen, sondern oft nur 2-4 p1b_367.017
seine Gruppen bilden, z. B.

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(Don Carlos.)

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(Braut von Messina.)

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Wollte der Deklamator die Schiller'schen Bühnenverse durchweg nach den p1b_367.023
Anforderungen des Versrhythmus lesen, sofern sie die Silbenzahl des jambischen

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/401>, abgerufen am 26.08.2024.