Und wenn ihr die Geschlechter beide fragt -p1b_214.002 Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte.
p1b_214.003 (Statt: so werden sie euch antworten: Nach Freiheit strebt u. s. w.)
p1b_214.004
(Goethe.)
p1b_214.005 3. Anakoluthie.
p1b_214.006 Die Anakoluthie (griech. anakolouthia == die Zusammenhangslosigkeit) p1b_214.007 bezeichnet jene Unrichtigkeit in der Folge, jene oft fehlerhafte p1b_214.008 Abweichung von der Konstruktion, welche mit einem Nachsatz fortfährt, p1b_214.009 den man nach dem Vordersatz nicht erwartet. Somit ist Anakoluth p1b_214.010 ein Satz, dessen Ende dem Anfang grammatisch nicht entspricht.
p1b_214.011 Der Dichter - besonders der Lyriker - wählt Anakoluthien, um durch p1b_214.012 ihre plötzliche Änderung der Redeweise Effekt zu erzielen.
p1b_214.013 Tadelnswert ist die unbeabsichtigte Anakoluthie, wenn z. B. der Redner p1b_214.014 während des Sprechens den Vordersatz vergißt und gezwungenermaßen einen p1b_214.015 falschen Schluß bringt.
p1b_214.016 Beispiele der Anakoluthie:
p1b_214.017
a.
Nun ist er wirklich da der Tag,p1b_214.018 Wo ich vom Hause scheide,p1b_214.019 Den Stecken schnitt ich mir vom Hagp1b_214.020 - So herzlich als man's sagen mag,p1b_214.021 Lebt wohl ihr Eltern beide!
(Herm. Schmid.)
p1b_214.022 (Hier bezeichnet der Schluß der 3. Zeile die Anakoluthie. Am Schluß p1b_214.023 der 4. Zeile findet sich auch eine Ellipse, nämlich: Ruf ich euch Eltern zu.)
p1b_214.024
b.
Und uns knüpfte vielmehr die traurigste Stunde zusammen.p1b_214.025 Montags morgens - ich weiß es genau; denn Tages vorher warp1b_214.026 Jener schreckliche Brand, der unser Städtchen verzehrte -p1b_214.027 Zwanzig Jahre sind's nun &c.
p1b_214.028
(Goethe, Hermann und Dorothea.)
p1b_214.029 4. Aposiopesis.
p1b_214.030 Die Aposiopesis (aposiopesis == Verschweigen == reticentia) p1b_214.031 ist eine in der Poesie nur selten gebrauchte rhetorische Figur. Sie p1b_214.032 bedeutet das absichts- und bedeutungsvolle Abbrechen des Satzes an p1b_214.033 der Stelle, an welcher die Hauptsache erwartet wird, die nun erraten p1b_214.034 werden muß (z. B. Jch will euch -! == Quos ego -! Virg. p1b_214.035 Äneide I, 139). Sie ist der Ellipse verwandt, ja, man könnte sie als p1b_214.036 eine in Leidenschaft oder zu rhetorischen Zwecken gebrauchte Ellipse p1b_214.037 bezeichnen.
p1b_214.038 Beispiele:
p1b_214.039
Dich schützt dein Wappenrock, sonst solltest du -
p1b_214.040
(Schiller, Jungfrau von Orleans.)
p1b_214.041
Einsam auf des Berges Höhep1b_214.042 Stark und immergrün zu stehn -(Was nun? fragt man.)p1b_214.043 Tanne, könnt ich mit dir tauschen.
p1b_214.044
(Freiligrath.)
p1b_214.045
Was Tell? Jhr wolltet - Nimmermehr - Jhr zittert.
p1b_214.046
(Schiller.)
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Und wenn ihr die Geschlechter beide fragt ─p1b_214.002 Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte.
p1b_214.003 (Statt: so werden sie euch antworten: Nach Freiheit strebt u. s. w.)
p1b_214.004
(Goethe.)
p1b_214.005 3. Anakoluthie.
p1b_214.006 Die Anakoluthie (griech. ἀνακολουθία == die Zusammenhangslosigkeit) p1b_214.007 bezeichnet jene Unrichtigkeit in der Folge, jene oft fehlerhafte p1b_214.008 Abweichung von der Konstruktion, welche mit einem Nachsatz fortfährt, p1b_214.009 den man nach dem Vordersatz nicht erwartet. Somit ist Anakoluth p1b_214.010 ein Satz, dessen Ende dem Anfang grammatisch nicht entspricht.
p1b_214.011 Der Dichter ─ besonders der Lyriker ─ wählt Anakoluthien, um durch p1b_214.012 ihre plötzliche Änderung der Redeweise Effekt zu erzielen.
p1b_214.013 Tadelnswert ist die unbeabsichtigte Anakoluthie, wenn z. B. der Redner p1b_214.014 während des Sprechens den Vordersatz vergißt und gezwungenermaßen einen p1b_214.015 falschen Schluß bringt.
p1b_214.016 Beispiele der Anakoluthie:
p1b_214.017
a.
Nun ist er wirklich da der Tag,p1b_214.018 Wo ich vom Hause scheide,p1b_214.019 Den Stecken schnitt ich mir vom Hagp1b_214.020 ─ So herzlich als man's sagen mag,p1b_214.021 Lebt wohl ihr Eltern beide!
(Herm. Schmid.)
p1b_214.022 (Hier bezeichnet der Schluß der 3. Zeile die Anakoluthie. Am Schluß p1b_214.023 der 4. Zeile findet sich auch eine Ellipse, nämlich: Ruf ich euch Eltern zu.)
p1b_214.024
b.
Und uns knüpfte vielmehr die traurigste Stunde zusammen.p1b_214.025 Montags morgens ─ ich weiß es genau; denn Tages vorher warp1b_214.026 Jener schreckliche Brand, der unser Städtchen verzehrte ─p1b_214.027 Zwanzig Jahre sind's nun &c.
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(Goethe, Hermann und Dorothea.)
p1b_214.029 4. Aposiopesis.
p1b_214.030 Die Aposiopesis (ἀποσιώπησις == Verschweigen == reticentia) p1b_214.031 ist eine in der Poesie nur selten gebrauchte rhetorische Figur. Sie p1b_214.032 bedeutet das absichts- und bedeutungsvolle Abbrechen des Satzes an p1b_214.033 der Stelle, an welcher die Hauptsache erwartet wird, die nun erraten p1b_214.034 werden muß (z. B. Jch will euch ─! == Quos ego ─! Virg. p1b_214.035 Äneide I, 139). Sie ist der Ellipse verwandt, ja, man könnte sie als p1b_214.036 eine in Leidenschaft oder zu rhetorischen Zwecken gebrauchte Ellipse p1b_214.037 bezeichnen.
p1b_214.038 Beispiele:
p1b_214.039
Dich schützt dein Wappenrock, sonst solltest du ─
p1b_214.040
(Schiller, Jungfrau von Orleans.)
p1b_214.041
Einsam auf des Berges Höhep1b_214.042 Stark und immergrün zu stehn ─(Was nun? fragt man.)p1b_214.043 Tanne, könnt ich mit dir tauschen.
p1b_214.044
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Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte.
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(Statt: so werden sie euch antworten: Nach Freiheit strebt u. s. w.)
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3. Anakoluthie.
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ein Satz, dessen Ende dem Anfang grammatisch nicht entspricht.
p1b_214.011
Der Dichter ─ besonders der Lyriker ─ wählt Anakoluthien, um durch p1b_214.012
ihre plötzliche Änderung der Redeweise Effekt zu erzielen.
p1b_214.013
Tadelnswert ist die unbeabsichtigte Anakoluthie, wenn z. B. der Redner p1b_214.014
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falschen Schluß bringt.
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Beispiele der Anakoluthie:
p1b_214.017
a.
Nun ist er wirklich da der Tag, p1b_214.018
Wo ich vom Hause scheide, p1b_214.019
Den Stecken schnitt ich mir vom Hag p1b_214.020
─ So herzlich als man's sagen mag, p1b_214.021
Lebt wohl ihr Eltern beide!
(Herm. Schmid.)
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(Hier bezeichnet der Schluß der 3. Zeile die Anakoluthie. Am Schluß p1b_214.023
der 4. Zeile findet sich auch eine Ellipse, nämlich: Ruf ich euch Eltern zu.)
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b.
Und uns knüpfte vielmehr die traurigste Stunde zusammen. p1b_214.025
Montags morgens ─ ich weiß es genau; denn Tages vorher war p1b_214.026
Jener schreckliche Brand, der unser Städtchen verzehrte ─ p1b_214.027
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p1b_214.028
(Goethe, Hermann und Dorothea.)
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4. Aposiopesis.
p1b_214.030
Die Aposiopesis (ἀποσιώπησις == Verschweigen == reticentia) p1b_214.031
ist eine in der Poesie nur selten gebrauchte rhetorische Figur. Sie p1b_214.032
bedeutet das absichts- und bedeutungsvolle Abbrechen des Satzes an p1b_214.033
der Stelle, an welcher die Hauptsache erwartet wird, die nun erraten p1b_214.034
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Äneide I, 139). Sie ist der Ellipse verwandt, ja, man könnte sie als p1b_214.036
eine in Leidenschaft oder zu rhetorischen Zwecken gebrauchte Ellipse p1b_214.037
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p1b_214.038
Beispiele:
p1b_214.039
Dich schützt dein Wappenrock, sonst solltest du ─
p1b_214.040
(Schiller, Jungfrau von Orleans.)
p1b_214.041
Einsam auf des Berges Höhe p1b_214.042
Stark und immergrün zu stehn ─(Was nun? fragt man.) p1b_214.043
Tanne, könnt ich mit dir tauschen.
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(Freiligrath.)
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Was Tell? Jhr wolltet ─ Nimmermehr ─ Jhr zittert.
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/248>, abgerufen am 15.08.2024.
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