Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Feststellung des Gegenstandes.
Bestandtheil des Volkes, in diesem Kreise des Denkens die
Gesammtheit vertritt. Das Recht ist im besondern Bewußt-
seyn dieses Standes nur eine Fortsetzung und eigenthümliche
Entwicklung des Volksrechts. Es führt daher nun ein zwie-
faches Leben: seinen Grundzügen nach lebt es fort im gemein-
samen Bewußtseyn des Volks, die genauere Ausbildung und
Anwendung im Einzelnen ist der besondere Beruf des Juri-
stenstandes. Die äußern Formen der Thätigkeit dieses Stan-
des geben ein Bild von der sehr allmäligen Entwicklung des-
selben. Zuerst erscheint er bloß als Rath gebend in einzelnen
Fällen, theils durch Gutachten über die Entscheidung eines
Rechtsstreits, theils durch Belehrung über die richtige Abfas-
sung feierlicher Rechtsgeschäfte. Daneben finden sich dann als
erste literarische Versuche gewöhnlich Formulare, mechanische
Anweisungen zur genauen Besorgung von Rechtsgeschäften.
Nach und nach wird die Thätigkeit geistiger und bildet sich
zur Wissenschaft aus. Nun erscheinen als theoretische For-
men Darstellungen des Rechts theils in mannichfaltigen Bü-
chern, theils in mündlicher Lehre: als praktische Formen aber
die Urtheilssprüche der Gerichte, die sich von den alten Volks-
gerichten theils durch die wissenschaftliche Bildung der Mitglie-
der, theils durch die Tradition bleibender Collegien unterschei-
den. Man kann hiernach bei dem Juristenstande eine zwie-
fache Wirksamkeit unterscheiden: eine materielle, indem sich die
rechtserzeugende Thätigkeit des Volks großentheils in ihn zu-
rückzieht, und von ihm, als dem Repräsentanten des Ganzen,
fortwährend geübt wird: und eine formelle, rein wissenschaft-
liche, indem von ihm das Recht überhaupt, wie es auch ent-
standen seyn möge, in wissenschaftlicher Weise zum Bewußt-
seyn gebracht und dargestellt wird." -- --


Feſtſtellung des Gegenſtandes.
Beſtandtheil des Volkes, in dieſem Kreiſe des Denkens die
Geſammtheit vertritt. Das Recht iſt im beſondern Bewußt-
ſeyn dieſes Standes nur eine Fortſetzung und eigenthuͤmliche
Entwicklung des Volksrechts. Es fuͤhrt daher nun ein zwie-
faches Leben: ſeinen Grundzuͤgen nach lebt es fort im gemein-
ſamen Bewußtſeyn des Volks, die genauere Ausbildung und
Anwendung im Einzelnen iſt der beſondere Beruf des Juri-
ſtenſtandes. Die aͤußern Formen der Thaͤtigkeit dieſes Stan-
des geben ein Bild von der ſehr allmaͤligen Entwicklung deſ-
ſelben. Zuerſt erſcheint er bloß als Rath gebend in einzelnen
Faͤllen, theils durch Gutachten uͤber die Entſcheidung eines
Rechtsſtreits, theils durch Belehrung uͤber die richtige Abfaſ-
ſung feierlicher Rechtsgeſchaͤfte. Daneben finden ſich dann als
erſte literariſche Verſuche gewoͤhnlich Formulare, mechaniſche
Anweiſungen zur genauen Beſorgung von Rechtsgeſchaͤften.
Nach und nach wird die Thaͤtigkeit geiſtiger und bildet ſich
zur Wiſſenſchaft aus. Nun erſcheinen als theoretiſche For-
men Darſtellungen des Rechts theils in mannichfaltigen Buͤ-
chern, theils in muͤndlicher Lehre: als praktiſche Formen aber
die Urtheilsſpruͤche der Gerichte, die ſich von den alten Volks-
gerichten theils durch die wiſſenſchaftliche Bildung der Mitglie-
der, theils durch die Tradition bleibender Collegien unterſchei-
den. Man kann hiernach bei dem Juriſtenſtande eine zwie-
fache Wirkſamkeit unterſcheiden: eine materielle, indem ſich die
rechtserzeugende Thaͤtigkeit des Volks großentheils in ihn zu-
ruͤckzieht, und von ihm, als dem Repraͤſentanten des Ganzen,
fortwaͤhrend geuͤbt wird: und eine formelle, rein wiſſenſchaft-
liche, indem von ihm das Recht uͤberhaupt, wie es auch ent-
ſtanden ſeyn moͤge, in wiſſenſchaftlicher Weiſe zum Bewußt-
ſeyn gebracht und dargeſtellt wird.“ — —


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0073" n="61"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fe&#x017F;t&#x017F;tellung des Gegen&#x017F;tandes</hi>.</fw><lb/>
Be&#x017F;tandtheil des Volkes, in die&#x017F;em Krei&#x017F;e des Denkens die<lb/>
Ge&#x017F;ammtheit vertritt. Das Recht i&#x017F;t im be&#x017F;ondern Bewußt-<lb/>
&#x017F;eyn die&#x017F;es Standes nur eine Fort&#x017F;etzung und eigenthu&#x0364;mliche<lb/>
Entwicklung des Volksrechts. Es fu&#x0364;hrt daher nun ein zwie-<lb/>
faches Leben: &#x017F;einen Grundzu&#x0364;gen nach lebt es fort im gemein-<lb/>
&#x017F;amen Bewußt&#x017F;eyn des Volks, die genauere Ausbildung und<lb/>
Anwendung im Einzelnen i&#x017F;t der be&#x017F;ondere Beruf des Juri-<lb/>
&#x017F;ten&#x017F;tandes. Die a&#x0364;ußern Formen der Tha&#x0364;tigkeit die&#x017F;es Stan-<lb/>
des geben ein Bild von der &#x017F;ehr allma&#x0364;ligen Entwicklung de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elben. Zuer&#x017F;t er&#x017F;cheint er bloß als Rath gebend in einzelnen<lb/>
Fa&#x0364;llen, theils durch Gutachten u&#x0364;ber die Ent&#x017F;cheidung eines<lb/>
Rechts&#x017F;treits, theils durch Belehrung u&#x0364;ber die richtige Abfa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ung feierlicher Rechtsge&#x017F;cha&#x0364;fte. Daneben finden &#x017F;ich dann als<lb/>
er&#x017F;te literari&#x017F;che Ver&#x017F;uche gewo&#x0364;hnlich Formulare, mechani&#x017F;che<lb/>
Anwei&#x017F;ungen zur genauen Be&#x017F;orgung von Rechtsge&#x017F;cha&#x0364;ften.<lb/>
Nach und nach wird die Tha&#x0364;tigkeit gei&#x017F;tiger und bildet &#x017F;ich<lb/>
zur Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft aus. Nun er&#x017F;cheinen als theoreti&#x017F;che For-<lb/>
men Dar&#x017F;tellungen des Rechts theils in mannichfaltigen Bu&#x0364;-<lb/>
chern, theils in mu&#x0364;ndlicher Lehre: als prakti&#x017F;che Formen aber<lb/>
die Urtheils&#x017F;pru&#x0364;che der Gerichte, die &#x017F;ich von den alten Volks-<lb/>
gerichten theils durch die wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Bildung der Mitglie-<lb/>
der, theils durch die Tradition bleibender Collegien unter&#x017F;chei-<lb/>
den. Man kann hiernach bei dem Juri&#x017F;ten&#x017F;tande eine zwie-<lb/>
fache Wirk&#x017F;amkeit unter&#x017F;cheiden: eine materielle, indem &#x017F;ich die<lb/>
rechtserzeugende Tha&#x0364;tigkeit des Volks großentheils in ihn zu-<lb/>
ru&#x0364;ckzieht, und von ihm, als dem Repra&#x0364;&#x017F;entanten des Ganzen,<lb/>
fortwa&#x0364;hrend geu&#x0364;bt wird: und eine formelle, rein wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft-<lb/>
liche, indem von ihm das Recht u&#x0364;berhaupt, wie es auch ent-<lb/>
&#x017F;tanden &#x017F;eyn mo&#x0364;ge, in wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlicher Wei&#x017F;e zum Bewußt-<lb/>
&#x017F;eyn gebracht und darge&#x017F;tellt wird.&#x201C; &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0073] Feſtſtellung des Gegenſtandes. Beſtandtheil des Volkes, in dieſem Kreiſe des Denkens die Geſammtheit vertritt. Das Recht iſt im beſondern Bewußt- ſeyn dieſes Standes nur eine Fortſetzung und eigenthuͤmliche Entwicklung des Volksrechts. Es fuͤhrt daher nun ein zwie- faches Leben: ſeinen Grundzuͤgen nach lebt es fort im gemein- ſamen Bewußtſeyn des Volks, die genauere Ausbildung und Anwendung im Einzelnen iſt der beſondere Beruf des Juri- ſtenſtandes. Die aͤußern Formen der Thaͤtigkeit dieſes Stan- des geben ein Bild von der ſehr allmaͤligen Entwicklung deſ- ſelben. Zuerſt erſcheint er bloß als Rath gebend in einzelnen Faͤllen, theils durch Gutachten uͤber die Entſcheidung eines Rechtsſtreits, theils durch Belehrung uͤber die richtige Abfaſ- ſung feierlicher Rechtsgeſchaͤfte. Daneben finden ſich dann als erſte literariſche Verſuche gewoͤhnlich Formulare, mechaniſche Anweiſungen zur genauen Beſorgung von Rechtsgeſchaͤften. Nach und nach wird die Thaͤtigkeit geiſtiger und bildet ſich zur Wiſſenſchaft aus. Nun erſcheinen als theoretiſche For- men Darſtellungen des Rechts theils in mannichfaltigen Buͤ- chern, theils in muͤndlicher Lehre: als praktiſche Formen aber die Urtheilsſpruͤche der Gerichte, die ſich von den alten Volks- gerichten theils durch die wiſſenſchaftliche Bildung der Mitglie- der, theils durch die Tradition bleibender Collegien unterſchei- den. Man kann hiernach bei dem Juriſtenſtande eine zwie- fache Wirkſamkeit unterſcheiden: eine materielle, indem ſich die rechtserzeugende Thaͤtigkeit des Volks großentheils in ihn zu- ruͤckzieht, und von ihm, als dem Repraͤſentanten des Ganzen, fortwaͤhrend geuͤbt wird: und eine formelle, rein wiſſenſchaft- liche, indem von ihm das Recht uͤberhaupt, wie es auch ent- ſtanden ſeyn moͤge, in wiſſenſchaftlicher Weiſe zum Bewußt- ſeyn gebracht und dargeſtellt wird.“ — —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/73
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/73>, abgerufen am 07.05.2024.