Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Erstes Kapitel. herrn und seines Hauses wahrzunehmen hatte, zur Bedeutungder für das gemeine Wohl thätigen Staatsbeamten sich erhob. Aber die Ausbildung der Volksfreiheit hielt mit der des Staats- princips keinen gleichen Schritt. Es ward nun von oben her bis in das kleinste Detail der Verwaltung herunter regiert und administrirt, bald unter dem Titel der fürstlich-obrigkeit- lichen Gewalt oder der allgemeinen Landespolizei, bald in Folge der neu ausgebildeten Lehre von den Regalien und überhaupt im fiscalischen Interesse der Finanz, für welche an vielen Or- ten die strenge Sonderung des Domanii von dem Steuerwe- sen nicht mehr festgehalten ward. Auf diese Weise bekam je- des deutsche Land einen ganzen Codex einzelner landesherrli- cher Verordnungen, welche sich an keine strenge Rechtsentwick- lung bindend oft mehr den Charakter von Instructionen für die Beamten, als von förmlich publicirten Gesetzen hatten. Für das eigentliche Rechtswesen selbst geschah wenig, die reformir- ten Land- und Stadtrechte, an denen das 16. Jahrhundert so reich war, werden seit dem Ausbruch des 30jährigen Krie- ges seltner, und verlieren auch an Bedeutung und Originali- tät. Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts zeigt sich wieder eine größere Thätigkeit auf diesem Gebiete, welche darauf ge- richtet war, die Fortschritte der Bildung und der Staatsent- wicklung auch in der Gesetzgebung zu bethätigen. Und nicht bloß auf die Entfernung einzelner Mißbräuche war man be- dacht; man beschäftigte sich schon mit der zeitgemäßen Fest- stellung des gesammten geltenden Rechts, worauf das practische Bedürfniß, die germanistische Tendenz der Juristen und die naturrechtliche Betrachtungsweise der damaligen Zeit hindräng- ten. In Baiern ward schon ein Theil des gemeinrechtlichen Usus modernus verarbeitet und in das Gesetzbuch aufgenom- Erſtes Kapitel. herrn und ſeines Hauſes wahrzunehmen hatte, zur Bedeutungder fuͤr das gemeine Wohl thaͤtigen Staatsbeamten ſich erhob. Aber die Ausbildung der Volksfreiheit hielt mit der des Staats- princips keinen gleichen Schritt. Es ward nun von oben her bis in das kleinſte Detail der Verwaltung herunter regiert und adminiſtrirt, bald unter dem Titel der fuͤrſtlich-obrigkeit- lichen Gewalt oder der allgemeinen Landespolizei, bald in Folge der neu ausgebildeten Lehre von den Regalien und uͤberhaupt im fiscaliſchen Intereſſe der Finanz, fuͤr welche an vielen Or- ten die ſtrenge Sonderung des Domanii von dem Steuerwe- ſen nicht mehr feſtgehalten ward. Auf dieſe Weiſe bekam je- des deutſche Land einen ganzen Codex einzelner landesherrli- cher Verordnungen, welche ſich an keine ſtrenge Rechtsentwick- lung bindend oft mehr den Charakter von Inſtructionen fuͤr die Beamten, als von foͤrmlich publicirten Geſetzen hatten. Fuͤr das eigentliche Rechtsweſen ſelbſt geſchah wenig, die reformir- ten Land- und Stadtrechte, an denen das 16. Jahrhundert ſo reich war, werden ſeit dem Ausbruch des 30jaͤhrigen Krie- ges ſeltner, und verlieren auch an Bedeutung und Originali- taͤt. Erſt im Laufe des 18. Jahrhunderts zeigt ſich wieder eine groͤßere Thaͤtigkeit auf dieſem Gebiete, welche darauf ge- richtet war, die Fortſchritte der Bildung und der Staatsent- wicklung auch in der Geſetzgebung zu bethaͤtigen. Und nicht bloß auf die Entfernung einzelner Mißbraͤuche war man be- dacht; man beſchaͤftigte ſich ſchon mit der zeitgemaͤßen Feſt- ſtellung des geſammten geltenden Rechts, worauf das practiſche Beduͤrfniß, die germaniſtiſche Tendenz der Juriſten und die naturrechtliche Betrachtungsweiſe der damaligen Zeit hindraͤng- ten. In Baiern ward ſchon ein Theil des gemeinrechtlichen Usus modernus verarbeitet und in das Geſetzbuch aufgenom- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0066" n="54"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſtes Kapitel</hi>.</fw><lb/> herrn und ſeines Hauſes wahrzunehmen hatte, zur Bedeutung<lb/> der fuͤr das gemeine Wohl thaͤtigen Staatsbeamten ſich erhob.<lb/> Aber die Ausbildung der Volksfreiheit hielt mit der des Staats-<lb/> princips keinen gleichen Schritt. 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Erſtes Kapitel.
herrn und ſeines Hauſes wahrzunehmen hatte, zur Bedeutung
der fuͤr das gemeine Wohl thaͤtigen Staatsbeamten ſich erhob.
Aber die Ausbildung der Volksfreiheit hielt mit der des Staats-
princips keinen gleichen Schritt. Es ward nun von oben her
bis in das kleinſte Detail der Verwaltung herunter regiert
und adminiſtrirt, bald unter dem Titel der fuͤrſtlich-obrigkeit-
lichen Gewalt oder der allgemeinen Landespolizei, bald in Folge
der neu ausgebildeten Lehre von den Regalien und uͤberhaupt
im fiscaliſchen Intereſſe der Finanz, fuͤr welche an vielen Or-
ten die ſtrenge Sonderung des Domanii von dem Steuerwe-
ſen nicht mehr feſtgehalten ward. Auf dieſe Weiſe bekam je-
des deutſche Land einen ganzen Codex einzelner landesherrli-
cher Verordnungen, welche ſich an keine ſtrenge Rechtsentwick-
lung bindend oft mehr den Charakter von Inſtructionen fuͤr
die Beamten, als von foͤrmlich publicirten Geſetzen hatten. Fuͤr
das eigentliche Rechtsweſen ſelbſt geſchah wenig, die reformir-
ten Land- und Stadtrechte, an denen das 16. Jahrhundert
ſo reich war, werden ſeit dem Ausbruch des 30jaͤhrigen Krie-
ges ſeltner, und verlieren auch an Bedeutung und Originali-
taͤt. Erſt im Laufe des 18. Jahrhunderts zeigt ſich wieder
eine groͤßere Thaͤtigkeit auf dieſem Gebiete, welche darauf ge-
richtet war, die Fortſchritte der Bildung und der Staatsent-
wicklung auch in der Geſetzgebung zu bethaͤtigen. Und nicht
bloß auf die Entfernung einzelner Mißbraͤuche war man be-
dacht; man beſchaͤftigte ſich ſchon mit der zeitgemaͤßen Feſt-
ſtellung des geſammten geltenden Rechts, worauf das practiſche
Beduͤrfniß, die germaniſtiſche Tendenz der Juriſten und die
naturrechtliche Betrachtungsweiſe der damaligen Zeit hindraͤng-
ten. In Baiern ward ſchon ein Theil des gemeinrechtlichen
Usus modernus verarbeitet und in das Geſetzbuch aufgenom-
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