Eine Untersuchung über den Werth des Juristenrechts läßt sich in zwiefacher Weise anstellen. Man kann es einmal ganz allgemein zur Entscheidung bringen, ob und inwiefern es an- gemessen ist, daß der Juristenstand eine solche Stellung im Volke einnehme, welche ihm die Macht gewährt, seine Ueber- zeugung zu einer selbständigen Rechtsquelle zu erheben. Al- lein die Aufgabe läßt sich auch enger fassen, so daß mit Be- ziehung auf ein bestimmtes, positives Recht derjenige Theil des- selben, welcher sich als Juristenrecht darstellt, einer kritischen Betrachtung unterworfen wird. Wir haben es nun zunächst mit dem deutschen Rechtswesen zu thun, und insofern bildet die Lösung der zweiten Frage vorzugsweise den Gegenstand der folgenden Erörterung; aber wie überhaupt in dieser Schrift nicht bloß das gegenwärtig Bestehende ins Auge gefaßt, son- dern der Blick auch auf die innere Begründung und weitere Fortbildung und Reform desselben gerichtet worden ist, so soll auch jetzt die Behandlung der Sache nicht durch willkührlich gezogene Grenzen eingeengt werden. Wird doch selbst eine Prüfung, die mehr, wie es hier geschehen, ins Einzelne ein- ginge, zu keinem sicheren Resultate führen, wenn nicht die all- gemeinen Gesichtspuncte, auf welche es bei einer solchen Un- tersuchung ankommt, vorher festgestellt worden sind. Manches ist darüber freilich schon in den früheren Erörterungen vorge- bracht worden, auf die hier im Allgemeinen Bezug zu neh-
Zwölftes Kapitel. Werth des Juriſtenrechts.
Eine Unterſuchung uͤber den Werth des Juriſtenrechts laͤßt ſich in zwiefacher Weiſe anſtellen. Man kann es einmal ganz allgemein zur Entſcheidung bringen, ob und inwiefern es an- gemeſſen iſt, daß der Juriſtenſtand eine ſolche Stellung im Volke einnehme, welche ihm die Macht gewaͤhrt, ſeine Ueber- zeugung zu einer ſelbſtaͤndigen Rechtsquelle zu erheben. Al- lein die Aufgabe laͤßt ſich auch enger faſſen, ſo daß mit Be- ziehung auf ein beſtimmtes, poſitives Recht derjenige Theil deſ- ſelben, welcher ſich als Juriſtenrecht darſtellt, einer kritiſchen Betrachtung unterworfen wird. Wir haben es nun zunaͤchſt mit dem deutſchen Rechtsweſen zu thun, und inſofern bildet die Loͤſung der zweiten Frage vorzugsweiſe den Gegenſtand der folgenden Eroͤrterung; aber wie uͤberhaupt in dieſer Schrift nicht bloß das gegenwaͤrtig Beſtehende ins Auge gefaßt, ſon- dern der Blick auch auf die innere Begruͤndung und weitere Fortbildung und Reform deſſelben gerichtet worden iſt, ſo ſoll auch jetzt die Behandlung der Sache nicht durch willkuͤhrlich gezogene Grenzen eingeengt werden. Wird doch ſelbſt eine Pruͤfung, die mehr, wie es hier geſchehen, ins Einzelne ein- ginge, zu keinem ſicheren Reſultate fuͤhren, wenn nicht die all- gemeinen Geſichtspuncte, auf welche es bei einer ſolchen Un- terſuchung ankommt, vorher feſtgeſtellt worden ſind. Manches iſt daruͤber freilich ſchon in den fruͤheren Eroͤrterungen vorge- bracht worden, auf die hier im Allgemeinen Bezug zu neh-
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Zwölftes Kapitel.
Werth des Juriſtenrechts.
Eine Unterſuchung uͤber den Werth des Juriſtenrechts laͤßt
ſich in zwiefacher Weiſe anſtellen. Man kann es einmal ganz
allgemein zur Entſcheidung bringen, ob und inwiefern es an-
gemeſſen iſt, daß der Juriſtenſtand eine ſolche Stellung im
Volke einnehme, welche ihm die Macht gewaͤhrt, ſeine Ueber-
zeugung zu einer ſelbſtaͤndigen Rechtsquelle zu erheben. Al-
lein die Aufgabe laͤßt ſich auch enger faſſen, ſo daß mit Be-
ziehung auf ein beſtimmtes, poſitives Recht derjenige Theil deſ-
ſelben, welcher ſich als Juriſtenrecht darſtellt, einer kritiſchen
Betrachtung unterworfen wird. Wir haben es nun zunaͤchſt
mit dem deutſchen Rechtsweſen zu thun, und inſofern bildet
die Loͤſung der zweiten Frage vorzugsweiſe den Gegenſtand der
folgenden Eroͤrterung; aber wie uͤberhaupt in dieſer Schrift
nicht bloß das gegenwaͤrtig Beſtehende ins Auge gefaßt, ſon-
dern der Blick auch auf die innere Begruͤndung und weitere
Fortbildung und Reform deſſelben gerichtet worden iſt, ſo ſoll
auch jetzt die Behandlung der Sache nicht durch willkuͤhrlich
gezogene Grenzen eingeengt werden. Wird doch ſelbſt eine
Pruͤfung, die mehr, wie es hier geſchehen, ins Einzelne ein-
ginge, zu keinem ſicheren Reſultate fuͤhren, wenn nicht die all-
gemeinen Geſichtspuncte, auf welche es bei einer ſolchen Un-
terſuchung ankommt, vorher feſtgeſtellt worden ſind. Manches
iſt daruͤber freilich ſchon in den fruͤheren Eroͤrterungen vorge-
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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. [342]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/354>, abgerufen am 24.11.2024.
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