Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Volksrecht und das Gerichtswesen.
Schutzpflichtigen durch ihre Voigte vertreten, in einer Ver-
sammlung vereinigen? Wie viele würden schon wegen ehe-
hafter Noth ausbleiben; die Weiber haben in der Regel keinen
Geschlechtsvormund mehr; die früher Hörige waren, sind jetzt
persönlich frei, aber oft nicht geeignet, mit voller politischer
Berechtigung auch nur in der Gemeinde aufzutreten. Statt
solcher Einrichtungen, die nur noch ausnahmsweise als die
Urversammlung der stimmberechtigten Gemeindeglieder vorkom-
men können, dient jetzt die Presse, welche ja überhaupt das
wichtigste Mittel der modernen Publicität ist, so daß sie, wenn
auch nur die Möglichkeit des freien Zutritts zu den Verhand-
lungen für wenige besteht, doch allen die Früchte desselben
zukommen läßt. Daher können Zeitungsberichte, öffentliche
Bekanntmachungen, namentlich die Edictalcitationen gegenwär-
tig Manches von dem, was man mit dem alten Echteding
bezweckte, ersetzen.

Welches Princip ist denn nun aber im Proceß vorzuzie-
hen, das der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit, oder das der
Heimlichkeit und Schriftlichkeit? In einem Werke, welches
von dem deutschen Volksrecht handelt, wird sich die Antwort
schon von selbst ergeben. Wir haben freilich schon an die drei-
hundert Jahre uns mit dem fremdländischen, römisch-canoni-
schen Kunstwerk der Juristen herumgetragen, und die Form
unseres Rechtslebens in diese Bande geschlagen. Aber wenn
noch die Kraft einer lebensvollen und organischen Regenera-
tion in der Nation ist; wenn der göttliche Funken altgermani-
scher Freiheit, der in England zur hellen Flamme aufgeschla-
gen ist, und selbst das erstarrte Leben der romanischen Völker
geistig durchwärmt hat, in Deutschland, seiner Heimath, nicht
ganz verkommen ist, sondern, unter der Asche fortglimmend,

Das Volksrecht und das Gerichtsweſen.
Schutzpflichtigen durch ihre Voigte vertreten, in einer Ver-
ſammlung vereinigen? Wie viele wuͤrden ſchon wegen ehe-
hafter Noth ausbleiben; die Weiber haben in der Regel keinen
Geſchlechtsvormund mehr; die fruͤher Hoͤrige waren, ſind jetzt
perſoͤnlich frei, aber oft nicht geeignet, mit voller politiſcher
Berechtigung auch nur in der Gemeinde aufzutreten. Statt
ſolcher Einrichtungen, die nur noch ausnahmsweiſe als die
Urverſammlung der ſtimmberechtigten Gemeindeglieder vorkom-
men koͤnnen, dient jetzt die Preſſe, welche ja uͤberhaupt das
wichtigſte Mittel der modernen Publicitaͤt iſt, ſo daß ſie, wenn
auch nur die Moͤglichkeit des freien Zutritts zu den Verhand-
lungen fuͤr wenige beſteht, doch allen die Fruͤchte deſſelben
zukommen laͤßt. Daher koͤnnen Zeitungsberichte, oͤffentliche
Bekanntmachungen, namentlich die Edictalcitationen gegenwaͤr-
tig Manches von dem, was man mit dem alten Echteding
bezweckte, erſetzen.

Welches Princip iſt denn nun aber im Proceß vorzuzie-
hen, das der Oeffentlichkeit und Muͤndlichkeit, oder das der
Heimlichkeit und Schriftlichkeit? In einem Werke, welches
von dem deutſchen Volksrecht handelt, wird ſich die Antwort
ſchon von ſelbſt ergeben. Wir haben freilich ſchon an die drei-
hundert Jahre uns mit dem fremdlaͤndiſchen, roͤmiſch-canoni-
ſchen Kunſtwerk der Juriſten herumgetragen, und die Form
unſeres Rechtslebens in dieſe Bande geſchlagen. Aber wenn
noch die Kraft einer lebensvollen und organiſchen Regenera-
tion in der Nation iſt; wenn der goͤttliche Funken altgermani-
ſcher Freiheit, der in England zur hellen Flamme aufgeſchla-
gen iſt, und ſelbſt das erſtarrte Leben der romaniſchen Voͤlker
geiſtig durchwaͤrmt hat, in Deutſchland, ſeiner Heimath, nicht
ganz verkommen iſt, ſondern, unter der Aſche fortglimmend,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0299" n="287"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Das Volksrecht und das Gerichtswe&#x017F;en</hi>.</fw><lb/>
Schutzpflichtigen durch ihre Voigte vertreten, in <hi rendition="#g">einer</hi> Ver-<lb/>
&#x017F;ammlung vereinigen? Wie viele wu&#x0364;rden &#x017F;chon wegen ehe-<lb/>
hafter Noth ausbleiben; die Weiber haben in der Regel keinen<lb/>
Ge&#x017F;chlechtsvormund mehr; die fru&#x0364;her Ho&#x0364;rige waren, &#x017F;ind jetzt<lb/>
per&#x017F;o&#x0364;nlich frei, aber oft nicht geeignet, mit voller politi&#x017F;cher<lb/>
Berechtigung auch nur in der Gemeinde aufzutreten. Statt<lb/>
&#x017F;olcher Einrichtungen, die nur noch ausnahmswei&#x017F;e als die<lb/>
Urver&#x017F;ammlung der &#x017F;timmberechtigten Gemeindeglieder vorkom-<lb/>
men ko&#x0364;nnen, dient jetzt die Pre&#x017F;&#x017F;e, welche ja u&#x0364;berhaupt das<lb/>
wichtig&#x017F;te Mittel der modernen Publicita&#x0364;t i&#x017F;t, &#x017F;o daß &#x017F;ie, wenn<lb/>
auch nur die Mo&#x0364;glichkeit des freien Zutritts zu den Verhand-<lb/>
lungen fu&#x0364;r wenige be&#x017F;teht, doch allen die Fru&#x0364;chte de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
zukommen la&#x0364;ßt. Daher ko&#x0364;nnen Zeitungsberichte, o&#x0364;ffentliche<lb/>
Bekanntmachungen, namentlich die Edictalcitationen gegenwa&#x0364;r-<lb/>
tig Manches von dem, was man mit dem alten Echteding<lb/>
bezweckte, er&#x017F;etzen.</p><lb/>
            <p>Welches Princip i&#x017F;t denn nun aber im Proceß vorzuzie-<lb/>
hen, das der Oeffentlichkeit und Mu&#x0364;ndlichkeit, oder das der<lb/>
Heimlichkeit und Schriftlichkeit? In einem Werke, welches<lb/>
von dem deut&#x017F;chen Volksrecht handelt, wird &#x017F;ich die Antwort<lb/>
&#x017F;chon von &#x017F;elb&#x017F;t ergeben. Wir haben freilich &#x017F;chon an die drei-<lb/>
hundert Jahre uns mit dem fremdla&#x0364;ndi&#x017F;chen, ro&#x0364;mi&#x017F;ch-canoni-<lb/>
&#x017F;chen Kun&#x017F;twerk der Juri&#x017F;ten herumgetragen, und die Form<lb/>
un&#x017F;eres Rechtslebens in die&#x017F;e Bande ge&#x017F;chlagen. Aber wenn<lb/>
noch die Kraft einer lebensvollen und organi&#x017F;chen Regenera-<lb/>
tion in der Nation i&#x017F;t; wenn der go&#x0364;ttliche Funken altgermani-<lb/>
&#x017F;cher Freiheit, der in England zur hellen Flamme aufge&#x017F;chla-<lb/>
gen i&#x017F;t, und &#x017F;elb&#x017F;t das er&#x017F;tarrte Leben der romani&#x017F;chen Vo&#x0364;lker<lb/>
gei&#x017F;tig durchwa&#x0364;rmt hat, in Deut&#x017F;chland, &#x017F;einer Heimath, nicht<lb/>
ganz verkommen i&#x017F;t, &#x017F;ondern, unter der A&#x017F;che fortglimmend,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[287/0299] Das Volksrecht und das Gerichtsweſen. Schutzpflichtigen durch ihre Voigte vertreten, in einer Ver- ſammlung vereinigen? Wie viele wuͤrden ſchon wegen ehe- hafter Noth ausbleiben; die Weiber haben in der Regel keinen Geſchlechtsvormund mehr; die fruͤher Hoͤrige waren, ſind jetzt perſoͤnlich frei, aber oft nicht geeignet, mit voller politiſcher Berechtigung auch nur in der Gemeinde aufzutreten. Statt ſolcher Einrichtungen, die nur noch ausnahmsweiſe als die Urverſammlung der ſtimmberechtigten Gemeindeglieder vorkom- men koͤnnen, dient jetzt die Preſſe, welche ja uͤberhaupt das wichtigſte Mittel der modernen Publicitaͤt iſt, ſo daß ſie, wenn auch nur die Moͤglichkeit des freien Zutritts zu den Verhand- lungen fuͤr wenige beſteht, doch allen die Fruͤchte deſſelben zukommen laͤßt. Daher koͤnnen Zeitungsberichte, oͤffentliche Bekanntmachungen, namentlich die Edictalcitationen gegenwaͤr- tig Manches von dem, was man mit dem alten Echteding bezweckte, erſetzen. Welches Princip iſt denn nun aber im Proceß vorzuzie- hen, das der Oeffentlichkeit und Muͤndlichkeit, oder das der Heimlichkeit und Schriftlichkeit? In einem Werke, welches von dem deutſchen Volksrecht handelt, wird ſich die Antwort ſchon von ſelbſt ergeben. Wir haben freilich ſchon an die drei- hundert Jahre uns mit dem fremdlaͤndiſchen, roͤmiſch-canoni- ſchen Kunſtwerk der Juriſten herumgetragen, und die Form unſeres Rechtslebens in dieſe Bande geſchlagen. Aber wenn noch die Kraft einer lebensvollen und organiſchen Regenera- tion in der Nation iſt; wenn der goͤttliche Funken altgermani- ſcher Freiheit, der in England zur hellen Flamme aufgeſchla- gen iſt, und ſelbſt das erſtarrte Leben der romaniſchen Voͤlker geiſtig durchwaͤrmt hat, in Deutſchland, ſeiner Heimath, nicht ganz verkommen iſt, ſondern, unter der Aſche fortglimmend,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/299
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/299>, abgerufen am 25.11.2024.