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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Das Volksrecht und die Gesetzgebung.
wesens zu Stande bringen kann; vereinzelt wird keine zum
Ziele kommen. Die Gesetzgebung aber ist vor Allem darauf
angewiesen, durch Wegschaffung des Unorganischen, Unpassen-
den und Veralteten dem ganzen Entwicklungsproceß eine freie
Bahn zu bereiten, die Rechtsinstitute, welche das Volksleben
und die Wissenschaft ausgebildet haben, zu befestigen und zu
vollenden, und endlich mit freier, schöpferischer Kunst Neues
hervorzurufen und zu begründen. Ist ihr aber diese Aufgabe
im Allgemeinen mit Bestimmtheit zu vindiciren, so kann es
doch geschehen, daß wieder darüber verschiedene Ansichten be-
stehen, in welchem Umfange und bis zu welchem Grade sie
thätig einzugreifen hat, -- ein Streit, der in mancher Hinsicht
mehr noch durch die gegebenen Verhältnisse, als durch eine
allgemein gültige Beweisführung seine Erledigung finden
wird. Wie es sich nun in dieser Beziehung mit der Aufgabe
der Gesetzgebung in Deutschland verhält, und auf welche Weise
man dieselbe auffassen und näher bestimmen kann, das soll
hier in der Kürze angedeutet werden.

1. Das kühnste und großartigste Unternehmen wäre nun
ohne Zweifel dieses, wenn der ganze in Deutschland vorhan-
dene Rechtsstoff einer Revision unterzogen, und in freier, prin-
cipienmäßiger Durchbildung durch einen großen, constituiren-
den Act der Gesetzgebung geordnet und festgestellt würde. Bei
diesem Werke, welches man mit dem Ausdruck Codification
zu bezeichnen pflegt, würde es denn vor Allem darauf ankom-
men, die allgemeinen Rechtsgrundsätze und die einzelnen Rechts-
institute in ihren leitenden Principien klar und bestimmt hin-
zustellen, und nur da, wo es für die Rechtssicherheit durchaus
nöthig wäre, wie im Proceß und überhaupt wo es sich um
bestimmte Formen und Fristen handelt, ein fein ausgearbeite-

Das Volksrecht und die Geſetzgebung.
weſens zu Stande bringen kann; vereinzelt wird keine zum
Ziele kommen. Die Geſetzgebung aber iſt vor Allem darauf
angewieſen, durch Wegſchaffung des Unorganiſchen, Unpaſſen-
den und Veralteten dem ganzen Entwicklungsproceß eine freie
Bahn zu bereiten, die Rechtsinſtitute, welche das Volksleben
und die Wiſſenſchaft ausgebildet haben, zu befeſtigen und zu
vollenden, und endlich mit freier, ſchoͤpferiſcher Kunſt Neues
hervorzurufen und zu begruͤnden. Iſt ihr aber dieſe Aufgabe
im Allgemeinen mit Beſtimmtheit zu vindiciren, ſo kann es
doch geſchehen, daß wieder daruͤber verſchiedene Anſichten be-
ſtehen, in welchem Umfange und bis zu welchem Grade ſie
thaͤtig einzugreifen hat, — ein Streit, der in mancher Hinſicht
mehr noch durch die gegebenen Verhaͤltniſſe, als durch eine
allgemein guͤltige Beweisfuͤhrung ſeine Erledigung finden
wird. Wie es ſich nun in dieſer Beziehung mit der Aufgabe
der Geſetzgebung in Deutſchland verhaͤlt, und auf welche Weiſe
man dieſelbe auffaſſen und naͤher beſtimmen kann, das ſoll
hier in der Kuͤrze angedeutet werden.

1. Das kuͤhnſte und großartigſte Unternehmen waͤre nun
ohne Zweifel dieſes, wenn der ganze in Deutſchland vorhan-
dene Rechtsſtoff einer Reviſion unterzogen, und in freier, prin-
cipienmaͤßiger Durchbildung durch einen großen, conſtituiren-
den Act der Geſetzgebung geordnet und feſtgeſtellt wuͤrde. Bei
dieſem Werke, welches man mit dem Ausdruck Codification
zu bezeichnen pflegt, wuͤrde es denn vor Allem darauf ankom-
men, die allgemeinen Rechtsgrundſaͤtze und die einzelnen Rechts-
inſtitute in ihren leitenden Principien klar und beſtimmt hin-
zuſtellen, und nur da, wo es fuͤr die Rechtsſicherheit durchaus
noͤthig waͤre, wie im Proceß und uͤberhaupt wo es ſich um
beſtimmte Formen und Friſten handelt, ein fein ausgearbeite-

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[235/0247] Das Volksrecht und die Geſetzgebung. weſens zu Stande bringen kann; vereinzelt wird keine zum Ziele kommen. Die Geſetzgebung aber iſt vor Allem darauf angewieſen, durch Wegſchaffung des Unorganiſchen, Unpaſſen- den und Veralteten dem ganzen Entwicklungsproceß eine freie Bahn zu bereiten, die Rechtsinſtitute, welche das Volksleben und die Wiſſenſchaft ausgebildet haben, zu befeſtigen und zu vollenden, und endlich mit freier, ſchoͤpferiſcher Kunſt Neues hervorzurufen und zu begruͤnden. Iſt ihr aber dieſe Aufgabe im Allgemeinen mit Beſtimmtheit zu vindiciren, ſo kann es doch geſchehen, daß wieder daruͤber verſchiedene Anſichten be- ſtehen, in welchem Umfange und bis zu welchem Grade ſie thaͤtig einzugreifen hat, — ein Streit, der in mancher Hinſicht mehr noch durch die gegebenen Verhaͤltniſſe, als durch eine allgemein guͤltige Beweisfuͤhrung ſeine Erledigung finden wird. Wie es ſich nun in dieſer Beziehung mit der Aufgabe der Geſetzgebung in Deutſchland verhaͤlt, und auf welche Weiſe man dieſelbe auffaſſen und naͤher beſtimmen kann, das ſoll hier in der Kuͤrze angedeutet werden. 1. Das kuͤhnſte und großartigſte Unternehmen waͤre nun ohne Zweifel dieſes, wenn der ganze in Deutſchland vorhan- dene Rechtsſtoff einer Reviſion unterzogen, und in freier, prin- cipienmaͤßiger Durchbildung durch einen großen, conſtituiren- den Act der Geſetzgebung geordnet und feſtgeſtellt wuͤrde. Bei dieſem Werke, welches man mit dem Ausdruck Codification zu bezeichnen pflegt, wuͤrde es denn vor Allem darauf ankom- men, die allgemeinen Rechtsgrundſaͤtze und die einzelnen Rechts- inſtitute in ihren leitenden Principien klar und beſtimmt hin- zuſtellen, und nur da, wo es fuͤr die Rechtsſicherheit durchaus noͤthig waͤre, wie im Proceß und uͤberhaupt wo es ſich um beſtimmte Formen und Friſten handelt, ein fein ausgearbeite-

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/247>, abgerufen am 02.05.2024.