Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Historische Einleitung. Deutschen, wie sie zuerst in der beglaubigten Geschichte auf-treten, nicht mehr an; es zeigt sich vielmehr bei ihnen schon jede Anlage, welche zur höheren menschlichen Bildung befähigt, und der Anfang geordneter politischer Verhältnisse. Aber diese waren doch erst im Entstehen begriffen, und hatten noch nicht die Kraft, die Einzelnen zu einer bewußten Volkseinheit zu- sammen zu führen. Auf der allgemeinen Grundlage mensch- licher Verbindungen, der Familie, waren die weiteren Vereine erwachsen, welche sich genossenschaftlich abschlossen, und inso- fern sie sich an einen bestimmten Grundbesitz knüpften, zu Gemeinden sich ausbildeten. Aus diesen traten wieder Ein- zelne zu freien Gefolgschaften zusammen, indem sie sich unter gefeierten Häuptlingen zu Kämpfen und Abentheuern verban- den, und über die Grenzen hinausschweifend, der nachdrängen- den Volksmacht oft die Bahn zu Eroberungen und neuen An- siedlungen wiesen. So entwickelten sich die einzelnen Völker- schaften und Stammesgenossenschaften, welche aber erst im fünften Jahrhundert nach Christus unter dem Einfluß der durch die Römerkriege hervorgerufenen Bündnisse zu einer ge- wissen Stätigkeit und Abgeschlossenheit kamen. Sie standen äußerlich getrennt neben einander, ja oft feindlich sich gegen- über; aber alle hielt doch das Band gleicher Abstammung zu- sammen: Religion, Sprache, Sitte und Recht waren aus der- selben Wurzel hervorgegangen, und entfalteten sich, ungeachtet so vieler und bedeutender Abweichungen, im Ganzen doch in einer bewunderungswürdigen Harmonie. Tritt dieser Bil- dungsproceß äußerlich auch nur bei den einzelnen Stämmen hervor, so zeigt sich der tieferen Betrachtung doch bald, daß hier eine nationale Entwicklung vor sich gehe, der später auch die mehr formelle Vereinigung nicht fehlen werde. Hiſtoriſche Einleitung. Deutſchen, wie ſie zuerſt in der beglaubigten Geſchichte auf-treten, nicht mehr an; es zeigt ſich vielmehr bei ihnen ſchon jede Anlage, welche zur hoͤheren menſchlichen Bildung befaͤhigt, und der Anfang geordneter politiſcher Verhaͤltniſſe. Aber dieſe waren doch erſt im Entſtehen begriffen, und hatten noch nicht die Kraft, die Einzelnen zu einer bewußten Volkseinheit zu- ſammen zu fuͤhren. Auf der allgemeinen Grundlage menſch- licher Verbindungen, der Familie, waren die weiteren Vereine erwachſen, welche ſich genoſſenſchaftlich abſchloſſen, und inſo- fern ſie ſich an einen beſtimmten Grundbeſitz knuͤpften, zu Gemeinden ſich ausbildeten. Aus dieſen traten wieder Ein- zelne zu freien Gefolgſchaften zuſammen, indem ſie ſich unter gefeierten Haͤuptlingen zu Kaͤmpfen und Abentheuern verban- den, und uͤber die Grenzen hinausſchweifend, der nachdraͤngen- den Volksmacht oft die Bahn zu Eroberungen und neuen An- ſiedlungen wieſen. So entwickelten ſich die einzelnen Voͤlker- ſchaften und Stammesgenoſſenſchaften, welche aber erſt im fuͤnften Jahrhundert nach Chriſtus unter dem Einfluß der durch die Roͤmerkriege hervorgerufenen Buͤndniſſe zu einer ge- wiſſen Staͤtigkeit und Abgeſchloſſenheit kamen. Sie ſtanden aͤußerlich getrennt neben einander, ja oft feindlich ſich gegen- uͤber; aber alle hielt doch das Band gleicher Abſtammung zu- ſammen: Religion, Sprache, Sitte und Recht waren aus der- ſelben Wurzel hervorgegangen, und entfalteten ſich, ungeachtet ſo vieler und bedeutender Abweichungen, im Ganzen doch in einer bewunderungswuͤrdigen Harmonie. Tritt dieſer Bil- dungsproceß aͤußerlich auch nur bei den einzelnen Staͤmmen hervor, ſo zeigt ſich der tieferen Betrachtung doch bald, daß hier eine nationale Entwicklung vor ſich gehe, der ſpaͤter auch die mehr formelle Vereinigung nicht fehlen werde. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0017" n="5"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Hiſtoriſche Einleitung</hi>.</fw><lb/> Deutſchen, wie ſie zuerſt in der beglaubigten Geſchichte auf-<lb/> treten, nicht mehr an; es zeigt ſich vielmehr bei ihnen ſchon<lb/> jede Anlage, welche zur hoͤheren menſchlichen Bildung befaͤhigt,<lb/> und der Anfang geordneter politiſcher Verhaͤltniſſe. Aber dieſe<lb/> waren doch erſt im Entſtehen begriffen, und hatten noch nicht<lb/> die Kraft, die Einzelnen zu einer bewußten Volkseinheit zu-<lb/> ſammen zu fuͤhren. 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Hiſtoriſche Einleitung.
Deutſchen, wie ſie zuerſt in der beglaubigten Geſchichte auf-
treten, nicht mehr an; es zeigt ſich vielmehr bei ihnen ſchon
jede Anlage, welche zur hoͤheren menſchlichen Bildung befaͤhigt,
und der Anfang geordneter politiſcher Verhaͤltniſſe. Aber dieſe
waren doch erſt im Entſtehen begriffen, und hatten noch nicht
die Kraft, die Einzelnen zu einer bewußten Volkseinheit zu-
ſammen zu fuͤhren. Auf der allgemeinen Grundlage menſch-
licher Verbindungen, der Familie, waren die weiteren Vereine
erwachſen, welche ſich genoſſenſchaftlich abſchloſſen, und inſo-
fern ſie ſich an einen beſtimmten Grundbeſitz knuͤpften, zu
Gemeinden ſich ausbildeten. Aus dieſen traten wieder Ein-
zelne zu freien Gefolgſchaften zuſammen, indem ſie ſich unter
gefeierten Haͤuptlingen zu Kaͤmpfen und Abentheuern verban-
den, und uͤber die Grenzen hinausſchweifend, der nachdraͤngen-
den Volksmacht oft die Bahn zu Eroberungen und neuen An-
ſiedlungen wieſen. So entwickelten ſich die einzelnen Voͤlker-
ſchaften und Stammesgenoſſenſchaften, welche aber erſt im
fuͤnften Jahrhundert nach Chriſtus unter dem Einfluß der
durch die Roͤmerkriege hervorgerufenen Buͤndniſſe zu einer ge-
wiſſen Staͤtigkeit und Abgeſchloſſenheit kamen. Sie ſtanden
aͤußerlich getrennt neben einander, ja oft feindlich ſich gegen-
uͤber; aber alle hielt doch das Band gleicher Abſtammung zu-
ſammen: Religion, Sprache, Sitte und Recht waren aus der-
ſelben Wurzel hervorgegangen, und entfalteten ſich, ungeachtet
ſo vieler und bedeutender Abweichungen, im Ganzen doch in
einer bewunderungswuͤrdigen Harmonie. Tritt dieſer Bil-
dungsproceß aͤußerlich auch nur bei den einzelnen Staͤmmen
hervor, ſo zeigt ſich der tieferen Betrachtung doch bald, daß
hier eine nationale Entwicklung vor ſich gehe, der ſpaͤter auch
die mehr formelle Vereinigung nicht fehlen werde.
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