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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Fünftes Kapitel.
und der Tag, an welchem er sein Amt antritt, ein Volks-
fest ist: so giebt und schickt diese den Gemeinden einen un-
bekannten Fremden, an dem eben in der Beförderungsliste
nun gerade die Reihe zur Anstellung war, er mag der indi-
viduell rechte Mann sein oder nicht. Wenn jene, durch das
Hineinziehen in das gemeinschaftliche Interesse der Gemeinde,
in jedem Mitgliede das Gefühl und Bewußtsein der Ge-
meinschaft und des innigen, fest verknüpften Zusammenhangs
erhält und immer auffrischt, und eben dadurch von Innen
heraus der kirchliche Geist wächst, blüht und Früchte trägt,
so isolirt diese, hält Alles aus einander und degradirt die
Kirche zu einer polizeilichen Anstalt der Regierung. Geho-
ben, gestärkt, begeistert durch jene, durchkältete mich diese.
Die oft knechtische Verehrung, die der sein Departement
bereisende, visitirende Consistorialrath findet, konnte mich
nicht blenden und entschädigen, und da ich sonst zu Hamm,
als Presbyter im Presbyterium, als Mitglied der Kreis-
und Provinzial-Synode, an den freisinnigen, offenen, from-
men und redlich-ernsten kirchlichen Berathungen frohen An-
theil genommen, so konnte, ich gestehe es freimüthig, mir
nicht gefallen der grüne Regierungstisch, an welchem geist-
liche und weltliche Räthe, diese in der Mehrzahl, die Ange-
legenheiten der Kirche dictatorisch, oft in gegenseitiger colle-
gialischer Connivenz, oft in persönlicher Opposition, leiteten
und entschieden. An dem Urbilde der christlichen Kirche und
ihrer ersten apostolischen Verfassung mit Liebe und Sehn-
sucht hangend, wollte und konnte ich nicht in Sympathie
kommen mit diesem büreaukratischen Mechanismus, und ich
bin gewiß, daß wenn der Herr der Kirche kommen, sie visi-
tiren und seine Tenne fegen sollte, er, wie einst im Tem-

Fuͤnftes Kapitel.
und der Tag, an welchem er ſein Amt antritt, ein Volks-
feſt iſt: ſo giebt und ſchickt dieſe den Gemeinden einen un-
bekannten Fremden, an dem eben in der Befoͤrderungsliſte
nun gerade die Reihe zur Anſtellung war, er mag der indi-
viduell rechte Mann ſein oder nicht. Wenn jene, durch das
Hineinziehen in das gemeinſchaftliche Intereſſe der Gemeinde,
in jedem Mitgliede das Gefuͤhl und Bewußtſein der Ge-
meinſchaft und des innigen, feſt verknuͤpften Zuſammenhangs
erhaͤlt und immer auffriſcht, und eben dadurch von Innen
heraus der kirchliche Geiſt waͤchſt, bluͤht und Fruͤchte traͤgt,
ſo iſolirt dieſe, haͤlt Alles aus einander und degradirt die
Kirche zu einer polizeilichen Anſtalt der Regierung. Geho-
ben, geſtaͤrkt, begeiſtert durch jene, durchkaͤltete mich dieſe.
Die oft knechtiſche Verehrung, die der ſein Departement
bereiſende, viſitirende Conſiſtorialrath findet, konnte mich
nicht blenden und entſchaͤdigen, und da ich ſonſt zu Hamm,
als Presbyter im Presbyterium, als Mitglied der Kreis-
und Provinzial-Synode, an den freiſinnigen, offenen, from-
men und redlich-ernſten kirchlichen Berathungen frohen An-
theil genommen, ſo konnte, ich geſtehe es freimuͤthig, mir
nicht gefallen der gruͤne Regierungstiſch, an welchem geiſt-
liche und weltliche Raͤthe, dieſe in der Mehrzahl, die Ange-
legenheiten der Kirche dictatoriſch, oft in gegenſeitiger colle-
gialiſcher Connivenz, oft in perſoͤnlicher Oppoſition, leiteten
und entſchieden. An dem Urbilde der chriſtlichen Kirche und
ihrer erſten apoſtoliſchen Verfaſſung mit Liebe und Sehn-
ſucht hangend, wollte und konnte ich nicht in Sympathie
kommen mit dieſem buͤreaukratiſchen Mechanismus, und ich
bin gewiß, daß wenn der Herr der Kirche kommen, ſie viſi-
tiren und ſeine Tenne fegen ſollte, er, wie einſt im Tem-

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[156/0168] Fuͤnftes Kapitel. und der Tag, an welchem er ſein Amt antritt, ein Volks- feſt iſt: ſo giebt und ſchickt dieſe den Gemeinden einen un- bekannten Fremden, an dem eben in der Befoͤrderungsliſte nun gerade die Reihe zur Anſtellung war, er mag der indi- viduell rechte Mann ſein oder nicht. Wenn jene, durch das Hineinziehen in das gemeinſchaftliche Intereſſe der Gemeinde, in jedem Mitgliede das Gefuͤhl und Bewußtſein der Ge- meinſchaft und des innigen, feſt verknuͤpften Zuſammenhangs erhaͤlt und immer auffriſcht, und eben dadurch von Innen heraus der kirchliche Geiſt waͤchſt, bluͤht und Fruͤchte traͤgt, ſo iſolirt dieſe, haͤlt Alles aus einander und degradirt die Kirche zu einer polizeilichen Anſtalt der Regierung. Geho- ben, geſtaͤrkt, begeiſtert durch jene, durchkaͤltete mich dieſe. Die oft knechtiſche Verehrung, die der ſein Departement bereiſende, viſitirende Conſiſtorialrath findet, konnte mich nicht blenden und entſchaͤdigen, und da ich ſonſt zu Hamm, als Presbyter im Presbyterium, als Mitglied der Kreis- und Provinzial-Synode, an den freiſinnigen, offenen, from- men und redlich-ernſten kirchlichen Berathungen frohen An- theil genommen, ſo konnte, ich geſtehe es freimuͤthig, mir nicht gefallen der gruͤne Regierungstiſch, an welchem geiſt- liche und weltliche Raͤthe, dieſe in der Mehrzahl, die Ange- legenheiten der Kirche dictatoriſch, oft in gegenſeitiger colle- gialiſcher Connivenz, oft in perſoͤnlicher Oppoſition, leiteten und entſchieden. An dem Urbilde der chriſtlichen Kirche und ihrer erſten apoſtoliſchen Verfaſſung mit Liebe und Sehn- ſucht hangend, wollte und konnte ich nicht in Sympathie kommen mit dieſem buͤreaukratiſchen Mechanismus, und ich bin gewiß, daß wenn der Herr der Kirche kommen, ſie viſi- tiren und ſeine Tenne fegen ſollte, er, wie einſt im Tem-

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/168>, abgerufen am 30.04.2024.