Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Erkenntnißquellen des Volksrechts.
mein anerkannten Einrichtungen auf das Deutlichste aus, und
jeder reelle Kaufmann geht bei jedem einzelnen Geschäfte, wel-
ches er abschließt, von der Voraussetzung aus, daß auch in
dem besonderen Falle die Contrahenten gegenseitig alle Regeln,
welche der kaufmännische Credit auferlegt, stillschweigend aner-
kennen, und auf dieser Basis (secundum bonam fidem)
operiren. Der kaufmännische Credit (der hier aber natürlich
im weiteren Sinne, und nicht bloß in Beziehung auf später
zu leistende Zahlungen aufgefaßt wird) ist so zu sagen die
Seele des Handelsrechts; er bringt die oft scheinbar so singu-
lären Handelsgebräuche zum rechten Verständniß, und gewährt
für manche dunkle Institute erst die rechte Einsicht. Die schwie-
rigsten Lehren des Wechselrechts, die Frage über die rechtliche
Wirkung der Connossemente, über die Perfection brieflich abge-
schlossener Verträge u. s. w. lassen sich nach diesem Princip
leicht und mit Sicherheit lösen. -- Aber freilich ist unsere Ju-
risprudenz noch weit davon entfernt, sich auf diese Weise mit
dem Volksrecht zu identificiren, und dasselbe zum höheren, wis-
senschaftlichen Verständniß zu erheben, so nothwendig das auch
gerade unter den gegenwärtigen Verhältnissen, wo keine Volks-
gerichte die Rechtspflege in Händen haben, seyn kann. Denn
der Kaufmann z. B. findet die Anerkennung und Befolgung
der in der Handelswelt allgemein angenommenen Normen so
natürlich, und nimmt sie so sehr als sich von selbst verstehend
an, daß er weiter nicht über den letzten Grund ihrer Geltung
reflectirt, und auf Befragen vielleicht gar nichts als den allge-
meinen Brauch dafür anzuführen weiß, was denn nach der
älteren Theorie noch eine besondere Beweisführung nöthig ma-
chen würde. -- Wie nachtheilig es aber wirkt, wenn die Ju-
risprudenz dem Volksrechte ein falsches Princip unterbreitet,

Erkenntnißquellen des Volksrechts.
mein anerkannten Einrichtungen auf das Deutlichſte aus, und
jeder reelle Kaufmann geht bei jedem einzelnen Geſchaͤfte, wel-
ches er abſchließt, von der Vorausſetzung aus, daß auch in
dem beſonderen Falle die Contrahenten gegenſeitig alle Regeln,
welche der kaufmaͤnniſche Credit auferlegt, ſtillſchweigend aner-
kennen, und auf dieſer Baſis (secundum bonam fidem)
operiren. Der kaufmaͤnniſche Credit (der hier aber natuͤrlich
im weiteren Sinne, und nicht bloß in Beziehung auf ſpaͤter
zu leiſtende Zahlungen aufgefaßt wird) iſt ſo zu ſagen die
Seele des Handelsrechts; er bringt die oft ſcheinbar ſo ſingu-
laͤren Handelsgebraͤuche zum rechten Verſtaͤndniß, und gewaͤhrt
fuͤr manche dunkle Inſtitute erſt die rechte Einſicht. Die ſchwie-
rigſten Lehren des Wechſelrechts, die Frage uͤber die rechtliche
Wirkung der Connoſſemente, uͤber die Perfection brieflich abge-
ſchloſſener Vertraͤge u. ſ. w. laſſen ſich nach dieſem Princip
leicht und mit Sicherheit loͤſen. — Aber freilich iſt unſere Ju-
risprudenz noch weit davon entfernt, ſich auf dieſe Weiſe mit
dem Volksrecht zu identificiren, und daſſelbe zum hoͤheren, wiſ-
ſenſchaftlichen Verſtaͤndniß zu erheben, ſo nothwendig das auch
gerade unter den gegenwaͤrtigen Verhaͤltniſſen, wo keine Volks-
gerichte die Rechtspflege in Haͤnden haben, ſeyn kann. Denn
der Kaufmann z. B. findet die Anerkennung und Befolgung
der in der Handelswelt allgemein angenommenen Normen ſo
natuͤrlich, und nimmt ſie ſo ſehr als ſich von ſelbſt verſtehend
an, daß er weiter nicht uͤber den letzten Grund ihrer Geltung
reflectirt, und auf Befragen vielleicht gar nichts als den allge-
meinen Brauch dafuͤr anzufuͤhren weiß, was denn nach der
aͤlteren Theorie noch eine beſondere Beweisfuͤhrung noͤthig ma-
chen wuͤrde. — Wie nachtheilig es aber wirkt, wenn die Ju-
risprudenz dem Volksrechte ein falſches Princip unterbreitet,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0137" n="125"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erkenntnißquellen des Volksrechts</hi>.</fw><lb/>
mein anerkannten Einrichtungen auf das Deutlich&#x017F;te aus, und<lb/>
jeder reelle Kaufmann geht bei jedem einzelnen Ge&#x017F;cha&#x0364;fte, wel-<lb/>
ches er ab&#x017F;chließt, von der Voraus&#x017F;etzung aus, daß auch in<lb/>
dem be&#x017F;onderen Falle die Contrahenten gegen&#x017F;eitig alle Regeln,<lb/>
welche der kaufma&#x0364;nni&#x017F;che Credit auferlegt, &#x017F;till&#x017F;chweigend aner-<lb/>
kennen, und auf die&#x017F;er Ba&#x017F;is <hi rendition="#aq">(secundum bonam fidem)</hi><lb/>
operiren. Der kaufma&#x0364;nni&#x017F;che Credit (der hier aber natu&#x0364;rlich<lb/>
im weiteren Sinne, und nicht bloß in Beziehung auf &#x017F;pa&#x0364;ter<lb/>
zu lei&#x017F;tende Zahlungen aufgefaßt wird) i&#x017F;t &#x017F;o zu &#x017F;agen die<lb/>
Seele des Handelsrechts; er bringt die oft &#x017F;cheinbar &#x017F;o &#x017F;ingu-<lb/>
la&#x0364;ren Handelsgebra&#x0364;uche zum rechten Ver&#x017F;ta&#x0364;ndniß, und gewa&#x0364;hrt<lb/>
fu&#x0364;r manche dunkle In&#x017F;titute er&#x017F;t die rechte Ein&#x017F;icht. Die &#x017F;chwie-<lb/>
rig&#x017F;ten Lehren des Wech&#x017F;elrechts, die Frage u&#x0364;ber die rechtliche<lb/>
Wirkung <choice><sic>derC onno&#x017F;&#x017F;emente</sic><corr>der Conno&#x017F;&#x017F;emente</corr></choice>, u&#x0364;ber die Perfection brieflich abge-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ener Vertra&#x0364;ge u. &#x017F;. w. la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich nach die&#x017F;em Princip<lb/>
leicht und mit Sicherheit lo&#x0364;&#x017F;en. &#x2014; Aber freilich i&#x017F;t un&#x017F;ere Ju-<lb/>
risprudenz noch weit davon entfernt, &#x017F;ich auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e mit<lb/>
dem Volksrecht zu identificiren, und da&#x017F;&#x017F;elbe zum ho&#x0364;heren, wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Ver&#x017F;ta&#x0364;ndniß zu erheben, &#x017F;o nothwendig das auch<lb/>
gerade unter den gegenwa&#x0364;rtigen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en, wo keine Volks-<lb/>
gerichte die Rechtspflege in Ha&#x0364;nden haben, &#x017F;eyn kann. Denn<lb/>
der Kaufmann z. B. findet die Anerkennung und Befolgung<lb/>
der in der Handelswelt allgemein angenommenen Normen &#x017F;o<lb/>
natu&#x0364;rlich, und nimmt &#x017F;ie &#x017F;o &#x017F;ehr als &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;tehend<lb/>
an, daß er weiter nicht u&#x0364;ber den letzten Grund ihrer Geltung<lb/>
reflectirt, und auf Befragen vielleicht gar nichts als den allge-<lb/>
meinen Brauch dafu&#x0364;r anzufu&#x0364;hren weiß, was denn nach der<lb/>
a&#x0364;lteren Theorie noch eine be&#x017F;ondere Beweisfu&#x0364;hrung no&#x0364;thig ma-<lb/>
chen wu&#x0364;rde. &#x2014; Wie nachtheilig es aber wirkt, wenn die Ju-<lb/>
risprudenz dem Volksrechte ein fal&#x017F;ches Princip unterbreitet,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0137] Erkenntnißquellen des Volksrechts. mein anerkannten Einrichtungen auf das Deutlichſte aus, und jeder reelle Kaufmann geht bei jedem einzelnen Geſchaͤfte, wel- ches er abſchließt, von der Vorausſetzung aus, daß auch in dem beſonderen Falle die Contrahenten gegenſeitig alle Regeln, welche der kaufmaͤnniſche Credit auferlegt, ſtillſchweigend aner- kennen, und auf dieſer Baſis (secundum bonam fidem) operiren. Der kaufmaͤnniſche Credit (der hier aber natuͤrlich im weiteren Sinne, und nicht bloß in Beziehung auf ſpaͤter zu leiſtende Zahlungen aufgefaßt wird) iſt ſo zu ſagen die Seele des Handelsrechts; er bringt die oft ſcheinbar ſo ſingu- laͤren Handelsgebraͤuche zum rechten Verſtaͤndniß, und gewaͤhrt fuͤr manche dunkle Inſtitute erſt die rechte Einſicht. Die ſchwie- rigſten Lehren des Wechſelrechts, die Frage uͤber die rechtliche Wirkung der Connoſſemente, uͤber die Perfection brieflich abge- ſchloſſener Vertraͤge u. ſ. w. laſſen ſich nach dieſem Princip leicht und mit Sicherheit loͤſen. — Aber freilich iſt unſere Ju- risprudenz noch weit davon entfernt, ſich auf dieſe Weiſe mit dem Volksrecht zu identificiren, und daſſelbe zum hoͤheren, wiſ- ſenſchaftlichen Verſtaͤndniß zu erheben, ſo nothwendig das auch gerade unter den gegenwaͤrtigen Verhaͤltniſſen, wo keine Volks- gerichte die Rechtspflege in Haͤnden haben, ſeyn kann. Denn der Kaufmann z. B. findet die Anerkennung und Befolgung der in der Handelswelt allgemein angenommenen Normen ſo natuͤrlich, und nimmt ſie ſo ſehr als ſich von ſelbſt verſtehend an, daß er weiter nicht uͤber den letzten Grund ihrer Geltung reflectirt, und auf Befragen vielleicht gar nichts als den allge- meinen Brauch dafuͤr anzufuͤhren weiß, was denn nach der aͤlteren Theorie noch eine beſondere Beweisfuͤhrung noͤthig ma- chen wuͤrde. — Wie nachtheilig es aber wirkt, wenn die Ju- risprudenz dem Volksrechte ein falſches Princip unterbreitet,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/137
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/137>, abgerufen am 11.12.2024.