Das beschränkt gemeine Strafrecht war aber nicht ausschließlich in den angeführten Hauptquellen enthalten; deren Inhalt war vielmehr durch andere Bestimmungen mannigfach verändert, ergänzt und er- läutert, und insofern diese Abänderungen in unmittelbarer Beziehung zu den Hauptquellen standen, und mit ihnen denselben Umfang der Geltung hatten, erschienen sie als Bestandtheile des betreffenden Rechtssystems, und waren dem beschränkt gemeinen Rechte beizuzählen.
c. Als dritte Art der Rechtsquellen sind die Partikularrechte zu nennen, welche sich nach dem Umfange ihrer Geltung als Provinzial- rechte (in dem herkömmlichen, weiteren Sinne des Wortes) oder als Lokalrechte darstellen.
Am Wichtigsten nun für das Strafrecht waren die unter b. auf- geführten Rechtsquellen, welche weitaus den größten Theil der gel- tenden Bestimmungen enthielten; auch war das neue Strafgesetz zunächst bestimmt, an deren Stelle zu treten. Jene Rechtsquellen mußten daher ausdrücklich und unbedingt aufgehoben werden, und das ist durch die Vorschrift des Art. II. Abs. 1. geschehen. Das Strafgesetzbuch ent- hält jetzt, nach Beseitigung des beschränkt gemeinen Rechts, das gemeine Preußische Kriminalrecht als ein einheitliches Rechtssystem, und davon ist die nothwendige Folge, daß, wo in irgend einem Gesetze auf Bestim- mungen des bisherigen Strafrechts verwiesen wird, an die Stelle der Vorschriften der früher gültigen Rechtsquellen gegenwärtig die des Strafgesetzbuchs treten (Art. III.).
Jene Aufhebung der älteren Rechtsquellen ist aber in Art. II. nicht in der Form einer selbständigen, principiellen Vorschrift ausgesprochen, sondern nur in Verbindung mit einem allgemeinen Rechtssatze vorge- schrieben worden. Es heißt daselbst nämlich:
"Mit diesem Zeitpunkte (Art. I.) werden außer Wirksamkeit gesetzt: alle Strafbestimmungen, die Materien betreffen, auf welche das gegenwärtige Strafgesetzbuch sich bezieht; nament- lich der zwanzigste Titel" u. s. w.
Es scheint hier also vorausgesetzt zu sein, daß die bezeichneten Rechtsquellen ihrem Gegenstande nach stets genau mit dem Strafgesetz- buch übereinstimmen, was bei einer näheren Untersuchung im Einzelnen sich kaum als durchaus richtig herausstellen würde. Möglicher Weise hat aber mit jener Fassung zunächst nur ausgedrückt werden sollen, daß das Strafgesetzbuch bestimmt sei, als das Eine gemeine Recht an die Stelle jener verschiedenen Rechtssysteme zu treten, und diese Auslegung wird theils wegen der Vorschrift des Art. III., theils wegen des in Art. II. Abs. 2. hervorgehobenen Gegensatzes der "besonderen Straf- gesetze" als die der Absicht des Gesetzgebers entsprechendebezeichnet
Das Einführungsgeſetz. Abſchnitt I.
Das beſchränkt gemeine Strafrecht war aber nicht ausſchließlich in den angeführten Hauptquellen enthalten; deren Inhalt war vielmehr durch andere Beſtimmungen mannigfach verändert, ergänzt und er- läutert, und inſofern dieſe Abänderungen in unmittelbarer Beziehung zu den Hauptquellen ſtanden, und mit ihnen denſelben Umfang der Geltung hatten, erſchienen ſie als Beſtandtheile des betreffenden Rechtsſyſtems, und waren dem beſchränkt gemeinen Rechte beizuzählen.
c. Als dritte Art der Rechtsquellen ſind die Partikularrechte zu nennen, welche ſich nach dem Umfange ihrer Geltung als Provinzial- rechte (in dem herkömmlichen, weiteren Sinne des Wortes) oder als Lokalrechte darſtellen.
Am Wichtigſten nun für das Strafrecht waren die unter b. auf- geführten Rechtsquellen, welche weitaus den größten Theil der gel- tenden Beſtimmungen enthielten; auch war das neue Strafgeſetz zunächſt beſtimmt, an deren Stelle zu treten. Jene Rechtsquellen mußten daher ausdrücklich und unbedingt aufgehoben werden, und das iſt durch die Vorſchrift des Art. II. Abſ. 1. geſchehen. Das Strafgeſetzbuch ent- hält jetzt, nach Beſeitigung des beſchränkt gemeinen Rechts, das gemeine Preußiſche Kriminalrecht als ein einheitliches Rechtsſyſtem, und davon iſt die nothwendige Folge, daß, wo in irgend einem Geſetze auf Beſtim- mungen des bisherigen Strafrechts verwieſen wird, an die Stelle der Vorſchriften der früher gültigen Rechtsquellen gegenwärtig die des Strafgeſetzbuchs treten (Art. III.).
Jene Aufhebung der älteren Rechtsquellen iſt aber in Art. II. nicht in der Form einer ſelbſtändigen, principiellen Vorſchrift ausgeſprochen, ſondern nur in Verbindung mit einem allgemeinen Rechtsſatze vorge- ſchrieben worden. Es heißt daſelbſt nämlich:
„Mit dieſem Zeitpunkte (Art. I.) werden außer Wirkſamkeit geſetzt: alle Strafbeſtimmungen, die Materien betreffen, auf welche das gegenwärtige Strafgeſetzbuch ſich bezieht; nament- lich der zwanzigſte Titel“ u. ſ. w.
Es ſcheint hier alſo vorausgeſetzt zu ſein, daß die bezeichneten Rechtsquellen ihrem Gegenſtande nach ſtets genau mit dem Strafgeſetz- buch übereinſtimmen, was bei einer näheren Unterſuchung im Einzelnen ſich kaum als durchaus richtig herausſtellen würde. Möglicher Weiſe hat aber mit jener Faſſung zunächſt nur ausgedrückt werden ſollen, daß das Strafgeſetzbuch beſtimmt ſei, als das Eine gemeine Recht an die Stelle jener verſchiedenen Rechtsſyſteme zu treten, und dieſe Auslegung wird theils wegen der Vorſchrift des Art. III., theils wegen des in Art. II. Abſ. 2. hervorgehobenen Gegenſatzes der „beſonderen Straf- geſetze“ als die der Abſicht des Geſetzgebers entſprechendebezeichnet
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Das Einführungsgeſetz. Abſchnitt I.
Das beſchränkt gemeine Strafrecht war aber nicht ausſchließlich
in den angeführten Hauptquellen enthalten; deren Inhalt war vielmehr
durch andere Beſtimmungen mannigfach verändert, ergänzt und er-
läutert, und inſofern dieſe Abänderungen in unmittelbarer Beziehung zu
den Hauptquellen ſtanden, und mit ihnen denſelben Umfang der Geltung
hatten, erſchienen ſie als Beſtandtheile des betreffenden
Rechtsſyſtems,
und waren dem beſchränkt gemeinen Rechte beizuzählen.
c. Als dritte Art der Rechtsquellen ſind die Partikularrechte zu
nennen, welche ſich nach dem Umfange ihrer Geltung als Provinzial-
rechte (in dem herkömmlichen, weiteren Sinne des Wortes) oder als
Lokalrechte darſtellen.
Am Wichtigſten nun für das Strafrecht waren die unter b. auf-
geführten Rechtsquellen, welche weitaus den größten Theil der gel-
tenden Beſtimmungen enthielten; auch war das neue Strafgeſetz
zunächſt beſtimmt, an deren Stelle zu treten. Jene Rechtsquellen mußten
daher ausdrücklich und unbedingt aufgehoben werden, und das iſt durch
die Vorſchrift des Art. II. Abſ. 1. geſchehen. Das Strafgeſetzbuch ent-
hält jetzt, nach Beſeitigung des beſchränkt gemeinen Rechts, das gemeine
Preußiſche Kriminalrecht als ein einheitliches Rechtsſyſtem, und davon
iſt die nothwendige Folge, daß, wo in irgend einem Geſetze auf Beſtim-
mungen des bisherigen Strafrechts verwieſen wird, an die Stelle der
Vorſchriften der früher gültigen Rechtsquellen gegenwärtig die des
Strafgeſetzbuchs treten (Art. III.).
Jene Aufhebung der älteren Rechtsquellen iſt aber in Art. II. nicht
in der Form einer ſelbſtändigen, principiellen Vorſchrift ausgeſprochen,
ſondern nur in Verbindung mit einem allgemeinen Rechtsſatze vorge-
ſchrieben worden. Es heißt daſelbſt nämlich:
„Mit dieſem Zeitpunkte (Art. I.) werden außer Wirkſamkeit
geſetzt: alle Strafbeſtimmungen, die Materien betreffen, auf
welche das gegenwärtige Strafgeſetzbuch ſich bezieht; nament-
lich der zwanzigſte Titel“ u. ſ. w.
Es ſcheint hier alſo vorausgeſetzt zu ſein, daß die bezeichneten
Rechtsquellen ihrem Gegenſtande nach ſtets genau mit dem Strafgeſetz-
buch übereinſtimmen, was bei einer näheren Unterſuchung im Einzelnen
ſich kaum als durchaus richtig herausſtellen würde. Möglicher Weiſe
hat aber mit jener Faſſung zunächſt nur ausgedrückt werden ſollen, daß
das Strafgeſetzbuch beſtimmt ſei, als das Eine gemeine Recht an die
Stelle jener verſchiedenen Rechtsſyſteme zu treten, und dieſe Auslegung
wird theils wegen der Vorſchrift des Art. III., theils wegen des in
Art. II. Abſ. 2. hervorgehobenen Gegenſatzes der „beſonderen Straf-
geſetze“ als die der Abſicht des Geſetzgebers entſprechendebezeichnet
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/606>, abgerufen am 24.11.2024.
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