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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. XXVIII. Verbr. u. Verg. im Amte.
kann. Es liegt sehr nahe, res judicata anzunehmen, wenn ein Beamter
wegen eines mit Amtsentsetzung bedrohten gemeinen oder Amtsverbrechen
verfolgt, freigesprochen, oder Falls die Amtsentsetzung nur fakultativ
angedroht war, auf diese Strafe nicht erkannt ist. Dagegen ist es sehr
klar, daß die Nichterkennung einer Strafe des gemeinen Strafrechts,
der Ausspruch, es sei der Verlust oder die Suspension der Ehrenrechte,
die immerwährende oder zeitige Unfähigkeit zu öffentlichen Aemtern nicht
begründet, nicht die Erklärung in sich schließt, die fragliche Handlung
sei nicht von der Bedeutung, daß sie die Auflösung des besonderen civil-
rechtlichen Verhältnisses, in welchem sich der Beamte zu der Staats-
regierung befinde, mit andern Worten die Amtsentsetzung oder Dienst-
entlassung nach sich ziehen müsse. Hält man diesen Gesichtspunkt fest,
so tritt es klar hervor, daß die Strafverfolgung und die Disziplinar-
verfolgung keineswegs einen Gegensatz bilden, sondern daß sie zwei
nebeneinander hergehende Wege sind, um zu zwei verschiedenen Zielen
zu gelangen: der eine, damit eine Strafe des gemeinen Strafrechts
ausgesprochen; der andere, damit eine Verletzung der Dienstpflichten
geahndet, nöthigenfalls ein unwürdiger Beamter von seinem Amte ent-
fernt werde. Der eine Weg darf durch die Betretung des andern nie
ausgeschlossen werden, die Disziplinarverfolgung kann vor der gemeinen
Strafverfolgung, gleichzeitig mit derselben und nach derselben eingeleitet
werden, nur mit der sich von selbst verstehenden Einschränkung, daß
wenn im gemeinen Strafverfahren eine Strafe ausgesprochen ist, welche
die Dienstentlassung von Rechtswegen nach sich zieht, das Disziplinar-
verfahren deshalb nicht mehr eintreten kann, weil dasselbe gegen-
standslos geworden ist. Bei dieser Auffassung der Sache fällt der
Uebelstand weg, daß eine Handlung der Kognition der Disziplinar-
behörde durch den Umstand entzogen wird, daß dieselbe zugleich mit
einer Strafe des gemeinen Strafrechts bedroht ist; vielmehr bleibt, es
mag eine gemeine Strafe erkannt werden oder nicht, die Prüfung der
Handlung im Interesse des Dienstes und die Ahndung derselben mit
der Dienstentlassung allemal vorbehalten. Es können ferner, wie es
von dem disziplinarischen Standpunkte aus nothwendig ist, alle Hand-
lungen des Beamten in ihrer Verbindung geprüft werden, und es
scheiden nicht einzelne deshalb aus, weil sie zugleich eine gemeine Strafe
nach sich ziehen können. Beide Momente sind von augenscheinlicher
Wichtigkeit, denn wenn es im Interesse des Dienstes nothwendig ist,
besondere Behörden unter Anwendung besonderer Formen mit der Auf-
rechterhaltung der Disziplin zu betrauen, so darf ihre Wirksamkeit nicht
dadurch gelähmt werden, daß eine Handlung des Beamten, welche

Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XXVIII. Verbr. u. Verg. im Amte.
kann. Es liegt ſehr nahe, res judicata anzunehmen, wenn ein Beamter
wegen eines mit Amtsentſetzung bedrohten gemeinen oder Amtsverbrechen
verfolgt, freigeſprochen, oder Falls die Amtsentſetzung nur fakultativ
angedroht war, auf dieſe Strafe nicht erkannt iſt. Dagegen iſt es ſehr
klar, daß die Nichterkennung einer Strafe des gemeinen Strafrechts,
der Ausſpruch, es ſei der Verluſt oder die Suspenſion der Ehrenrechte,
die immerwährende oder zeitige Unfähigkeit zu öffentlichen Aemtern nicht
begründet, nicht die Erklärung in ſich ſchließt, die fragliche Handlung
ſei nicht von der Bedeutung, daß ſie die Auflöſung des beſonderen civil-
rechtlichen Verhältniſſes, in welchem ſich der Beamte zu der Staats-
regierung befinde, mit andern Worten die Amtsentſetzung oder Dienſt-
entlaſſung nach ſich ziehen müſſe. Hält man dieſen Geſichtspunkt feſt,
ſo tritt es klar hervor, daß die Strafverfolgung und die Disziplinar-
verfolgung keineswegs einen Gegenſatz bilden, ſondern daß ſie zwei
nebeneinander hergehende Wege ſind, um zu zwei verſchiedenen Zielen
zu gelangen: der eine, damit eine Strafe des gemeinen Strafrechts
ausgeſprochen; der andere, damit eine Verletzung der Dienſtpflichten
geahndet, nöthigenfalls ein unwürdiger Beamter von ſeinem Amte ent-
fernt werde. Der eine Weg darf durch die Betretung des andern nie
ausgeſchloſſen werden, die Disziplinarverfolgung kann vor der gemeinen
Strafverfolgung, gleichzeitig mit derſelben und nach derſelben eingeleitet
werden, nur mit der ſich von ſelbſt verſtehenden Einſchränkung, daß
wenn im gemeinen Strafverfahren eine Strafe ausgeſprochen iſt, welche
die Dienſtentlaſſung von Rechtswegen nach ſich zieht, das Disziplinar-
verfahren deshalb nicht mehr eintreten kann, weil daſſelbe gegen-
ſtandslos geworden iſt. Bei dieſer Auffaſſung der Sache fällt der
Uebelſtand weg, daß eine Handlung der Kognition der Disziplinar-
behörde durch den Umſtand entzogen wird, daß dieſelbe zugleich mit
einer Strafe des gemeinen Strafrechts bedroht iſt; vielmehr bleibt, es
mag eine gemeine Strafe erkannt werden oder nicht, die Prüfung der
Handlung im Intereſſe des Dienſtes und die Ahndung derſelben mit
der Dienſtentlaſſung allemal vorbehalten. Es können ferner, wie es
von dem disziplinariſchen Standpunkte aus nothwendig iſt, alle Hand-
lungen des Beamten in ihrer Verbindung geprüft werden, und es
ſcheiden nicht einzelne deshalb aus, weil ſie zugleich eine gemeine Strafe
nach ſich ziehen können. Beide Momente ſind von augenſcheinlicher
Wichtigkeit, denn wenn es im Intereſſe des Dienſtes nothwendig iſt,
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[548/0558] Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XXVIII. Verbr. u. Verg. im Amte. kann. Es liegt ſehr nahe, res judicata anzunehmen, wenn ein Beamter wegen eines mit Amtsentſetzung bedrohten gemeinen oder Amtsverbrechen verfolgt, freigeſprochen, oder Falls die Amtsentſetzung nur fakultativ angedroht war, auf dieſe Strafe nicht erkannt iſt. Dagegen iſt es ſehr klar, daß die Nichterkennung einer Strafe des gemeinen Strafrechts, der Ausſpruch, es ſei der Verluſt oder die Suspenſion der Ehrenrechte, die immerwährende oder zeitige Unfähigkeit zu öffentlichen Aemtern nicht begründet, nicht die Erklärung in ſich ſchließt, die fragliche Handlung ſei nicht von der Bedeutung, daß ſie die Auflöſung des beſonderen civil- rechtlichen Verhältniſſes, in welchem ſich der Beamte zu der Staats- regierung befinde, mit andern Worten die Amtsentſetzung oder Dienſt- entlaſſung nach ſich ziehen müſſe. Hält man dieſen Geſichtspunkt feſt, ſo tritt es klar hervor, daß die Strafverfolgung und die Disziplinar- verfolgung keineswegs einen Gegenſatz bilden, ſondern daß ſie zwei nebeneinander hergehende Wege ſind, um zu zwei verſchiedenen Zielen zu gelangen: der eine, damit eine Strafe des gemeinen Strafrechts ausgeſprochen; der andere, damit eine Verletzung der Dienſtpflichten geahndet, nöthigenfalls ein unwürdiger Beamter von ſeinem Amte ent- fernt werde. Der eine Weg darf durch die Betretung des andern nie ausgeſchloſſen werden, die Disziplinarverfolgung kann vor der gemeinen Strafverfolgung, gleichzeitig mit derſelben und nach derſelben eingeleitet werden, nur mit der ſich von ſelbſt verſtehenden Einſchränkung, daß wenn im gemeinen Strafverfahren eine Strafe ausgeſprochen iſt, welche die Dienſtentlaſſung von Rechtswegen nach ſich zieht, das Disziplinar- verfahren deshalb nicht mehr eintreten kann, weil daſſelbe gegen- ſtandslos geworden iſt. Bei dieſer Auffaſſung der Sache fällt der Uebelſtand weg, daß eine Handlung der Kognition der Disziplinar- behörde durch den Umſtand entzogen wird, daß dieſelbe zugleich mit einer Strafe des gemeinen Strafrechts bedroht iſt; vielmehr bleibt, es mag eine gemeine Strafe erkannt werden oder nicht, die Prüfung der Handlung im Intereſſe des Dienſtes und die Ahndung derſelben mit der Dienſtentlaſſung allemal vorbehalten. Es können ferner, wie es von dem disziplinariſchen Standpunkte aus nothwendig iſt, alle Hand- lungen des Beamten in ihrer Verbindung geprüft werden, und es ſcheiden nicht einzelne deshalb aus, weil ſie zugleich eine gemeine Strafe nach ſich ziehen können. Beide Momente ſind von augenſcheinlicher Wichtigkeit, denn wenn es im Intereſſe des Dienſtes nothwendig iſt, beſondere Behörden unter Anwendung beſonderer Formen mit der Auf- rechterhaltung der Disziplin zu betrauen, ſo darf ihre Wirkſamkeit nicht dadurch gelähmt werden, daß eine Handlung des Beamten, welche

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/558>, abgerufen am 27.04.2024.