Im Staatsrathe wurde jedoch bemerkt, daß die verbrecherische Ab- sicht hier in gleicher Weise, wie beim Diebstahle, näher bezeichnet werden müsse, indem nur dadurch der Unterschied zwischen dem vorliegenden Vergehen und der Selbsthülfe klar hervortreten werde. x) In Folge dieser Bemerkung wählte man für den Entwurf von 1843. §. 495. den Aus- druck "ohne dessen Einwilligung in rechtswidriger Absicht wegnimmt," und diese Fassung ging auch in den Entwurf von 1847. §. 335. über; in dem Entwurf von 1850. §. 249. wurden aber die Worte "ohne dessen Einwilligung" als überflüssig weggelassen, da es sich schon aus der Bezeichnung "wer in rechtswidriger Absicht wegnimmt" ergebe, daß die Entwendung der Sache ohne Einwilligung des Inhabers stattfinden müsse. y) -- In der Kommission der ersten Kammer wurde die Defini- tion, welche in ihrer jetzigen Fassung der des Diebstahls entspricht, namentlich hinsichtlich der Worte "wegnimmt oder wegzunehmen versucht" getadelt, weil sie den Thatbestand zu sehr beschränke. Es werde dadurch bei strenger Auslegung die Verletzung des stillschweigenden Pfandrechts, z. B. bei invectis und illatis durch heimliche Fortschaffung als straflos ausgeschlossen. Der Regierungs-Kommissar bemerkte jedoch, daß es allerdings in der Absicht gelegen habe, hier die detrectatio im eigent- lichen Sinne, wie beim Diebstahle, festzuhalten, also Rechtsverhältnisse, wie das gedachte, nicht unter den Thatbestand des Vergehens zu be- lassen. z)
I. Von besonderer Wichtigkeit für den Begriff dieses Vergehens ist die Bedeutung, in welcher der Ausdruck "in rechtswidriger Absicht" zu nehmen ist. Die gewinnsüchtige Absicht ist hier so wenig, wie beim Diebstahle allein gemeint; es kommt vielmehr darauf an, ob der Eigen- thümer durch das Wegnehmen der Sache einen Zweck verfolgt, der mit dem Rechte des Inhabers in Widerspruch steht, indem er namentlich dessen Anspruch auf Nutzung oder Sicherung verletzt. Die Eigenmacht oder Selbsthülfe, die in der wirklichen oder vermeintlichen Ausübung eines Rechtes geübt wird, fällt daher nicht unter die Strafbestimmung dieses Paragraphen.
II. Ebenso wenig wie ein Diebstahl an einer eigenen Sache be- gangen werden kann, ist ein Raub an derselben möglich. Wenn also mit der Wegnahme Gewalt oder Drohung verbunden werden, so liegt in diesem Umstande, falls nicht ein anderes Delikt, z. B. schwere Kör- perverletzung, Erpressung, dadurch hervorgerufen wird, nur ein Zumes-
x)Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 14. Mai 1842.
y)Motive zum Entwurf von 1850. §. 249.
z)Bericht der Kommission der ersten Kammer zu §. 271.
§. 271. Entwendung eigener Sachen.
Im Staatsrathe wurde jedoch bemerkt, daß die verbrecheriſche Ab- ſicht hier in gleicher Weiſe, wie beim Diebſtahle, näher bezeichnet werden müſſe, indem nur dadurch der Unterſchied zwiſchen dem vorliegenden Vergehen und der Selbſthülfe klar hervortreten werde. x) In Folge dieſer Bemerkung wählte man für den Entwurf von 1843. §. 495. den Aus- druck „ohne deſſen Einwilligung in rechtswidriger Abſicht wegnimmt,“ und dieſe Faſſung ging auch in den Entwurf von 1847. §. 335. über; in dem Entwurf von 1850. §. 249. wurden aber die Worte „ohne deſſen Einwilligung“ als überflüſſig weggelaſſen, da es ſich ſchon aus der Bezeichnung „wer in rechtswidriger Abſicht wegnimmt“ ergebe, daß die Entwendung der Sache ohne Einwilligung des Inhabers ſtattfinden müſſe. y) — In der Kommiſſion der erſten Kammer wurde die Defini- tion, welche in ihrer jetzigen Faſſung der des Diebſtahls entſpricht, namentlich hinſichtlich der Worte „wegnimmt oder wegzunehmen verſucht“ getadelt, weil ſie den Thatbeſtand zu ſehr beſchränke. Es werde dadurch bei ſtrenger Auslegung die Verletzung des ſtillſchweigenden Pfandrechts, z. B. bei invectis und illatis durch heimliche Fortſchaffung als ſtraflos ausgeſchloſſen. Der Regierungs-Kommiſſar bemerkte jedoch, daß es allerdings in der Abſicht gelegen habe, hier die detrectatio im eigent- lichen Sinne, wie beim Diebſtahle, feſtzuhalten, alſo Rechtsverhältniſſe, wie das gedachte, nicht unter den Thatbeſtand des Vergehens zu be- laſſen. z)
I. Von beſonderer Wichtigkeit für den Begriff dieſes Vergehens iſt die Bedeutung, in welcher der Ausdruck „in rechtswidriger Abſicht“ zu nehmen iſt. Die gewinnſüchtige Abſicht iſt hier ſo wenig, wie beim Diebſtahle allein gemeint; es kommt vielmehr darauf an, ob der Eigen- thümer durch das Wegnehmen der Sache einen Zweck verfolgt, der mit dem Rechte des Inhabers in Widerſpruch ſteht, indem er namentlich deſſen Anſpruch auf Nutzung oder Sicherung verletzt. Die Eigenmacht oder Selbſthülfe, die in der wirklichen oder vermeintlichen Ausübung eines Rechtes geübt wird, fällt daher nicht unter die Strafbeſtimmung dieſes Paragraphen.
II. Ebenſo wenig wie ein Diebſtahl an einer eigenen Sache be- gangen werden kann, iſt ein Raub an derſelben möglich. Wenn alſo mit der Wegnahme Gewalt oder Drohung verbunden werden, ſo liegt in dieſem Umſtande, falls nicht ein anderes Delikt, z. B. ſchwere Kör- perverletzung, Erpreſſung, dadurch hervorgerufen wird, nur ein Zumeſ-
x)Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 14. Mai 1842.
y)Motive zum Entwurf von 1850. §. 249.
z)Bericht der Kommiſſion der erſten Kammer zu §. 271.
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[511/0521]
§. 271. Entwendung eigener Sachen.
Im Staatsrathe wurde jedoch bemerkt, daß die verbrecheriſche Ab-
ſicht hier in gleicher Weiſe, wie beim Diebſtahle, näher bezeichnet werden
müſſe, indem nur dadurch der Unterſchied zwiſchen dem vorliegenden
Vergehen und der Selbſthülfe klar hervortreten werde. x) In Folge dieſer
Bemerkung wählte man für den Entwurf von 1843. §. 495. den Aus-
druck „ohne deſſen Einwilligung in rechtswidriger Abſicht wegnimmt,“
und dieſe Faſſung ging auch in den Entwurf von 1847. §. 335. über;
in dem Entwurf von 1850. §. 249. wurden aber die Worte „ohne
deſſen Einwilligung“ als überflüſſig weggelaſſen, da es ſich ſchon aus
der Bezeichnung „wer in rechtswidriger Abſicht wegnimmt“ ergebe, daß
die Entwendung der Sache ohne Einwilligung des Inhabers ſtattfinden
müſſe. y)
— In der Kommiſſion der erſten Kammer wurde die Defini-
tion, welche in ihrer jetzigen Faſſung der des Diebſtahls entſpricht,
namentlich hinſichtlich der Worte „wegnimmt oder wegzunehmen verſucht“
getadelt, weil ſie den Thatbeſtand zu ſehr beſchränke. Es werde dadurch
bei ſtrenger Auslegung die Verletzung des ſtillſchweigenden Pfandrechts,
z. B. bei invectis und illatis durch heimliche Fortſchaffung als ſtraflos
ausgeſchloſſen. Der Regierungs-Kommiſſar bemerkte jedoch, daß es
allerdings in der Abſicht gelegen habe, hier die detrectatio im eigent-
lichen Sinne, wie beim Diebſtahle, feſtzuhalten, alſo Rechtsverhältniſſe,
wie das gedachte, nicht unter den Thatbeſtand des Vergehens zu be-
laſſen. z)
I. Von beſonderer Wichtigkeit für den Begriff dieſes Vergehens
iſt die Bedeutung, in welcher der Ausdruck „in rechtswidriger Abſicht“
zu nehmen iſt. Die gewinnſüchtige Abſicht iſt hier ſo wenig, wie beim
Diebſtahle allein gemeint; es kommt vielmehr darauf an, ob der Eigen-
thümer durch das Wegnehmen der Sache einen Zweck verfolgt, der mit
dem Rechte des Inhabers in Widerſpruch ſteht, indem er namentlich
deſſen Anſpruch auf Nutzung oder Sicherung verletzt. Die Eigenmacht
oder Selbſthülfe, die in der wirklichen oder vermeintlichen Ausübung
eines Rechtes geübt wird, fällt daher nicht unter die Strafbeſtimmung
dieſes Paragraphen.
II. Ebenſo wenig wie ein Diebſtahl an einer eigenen Sache be-
gangen werden kann, iſt ein Raub an derſelben möglich. Wenn alſo
mit der Wegnahme Gewalt oder Drohung verbunden werden, ſo liegt
in dieſem Umſtande, falls nicht ein anderes Delikt, z. B. ſchwere Kör-
perverletzung, Erpreſſung, dadurch hervorgerufen wird, nur ein Zumeſ-
x) Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 14. Mai 1842.
y) Motive zum Entwurf von 1850. §. 249.
z) Bericht der Kommiſſion der erſten Kammer zu §. 271.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/521>, abgerufen am 04.02.2025.
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