schon dann zu einem gewissen Abschluß gelangen, wenn die wichtigsten Momente bezeichnet werden, welche bei der Ausführung des Werkes vorzugsweise maaßgebend sein mußten, und wenn sich dann nachweisen läßt, daß die Gesetzgebung auf sie die gebührende Rücksicht genommen hat. -- Wirft man von diesem Standpunkte aus einen Blick auf das Revisionswerk, so ergiebt sich zunächst, daß es der Gesetzgebung im All- gemeinen oblag, das bestehende Recht, wie es in seiner verschiedenartigen Entfaltung in Preußen zur Anwendung kam, als den gegebenen Stoff zu verwenden, aus dem der neue Bau zu errichten war. Es mußten aber dabei die Fortschritte der Gesetzgebung und der Wissenschaft, wie sie in Deutschland und bei verwandten Völkern zu erkennen waren, stets in ihrer vollen Bedeutung gewürdigt und zur Veredlung des eigenen Rechts benutzt werden. Das ganze Werk endlich durfte von dem be- stimmten Staate Preußen und von seinen besonderen Bedürfnissen und Anforderungen nicht losgebunden gedacht, sondern mußte in klarer An- schauung der Verhältnisse auf diesen Punkt gerichtet werden. Das Preußische Heerwesen z. B. verlangte die sorgfältigste Berücksichtigung.
In der That zeigt nun der Gang, welchen die Revision des Straf- rechts genommen hat, daß die angegebenen Momente dabei in gebühren- der Weise zur Geltung gekommen sind. Das Allgemeine Landrecht bil- dete den Ausgangspunkt für die Gesetzgebung, deren Aufgabe zunächst an dessen Inhalt geprüft ward; man zog aber auch die Ergebnisse, welche die Wissenschaft des gemeinen deutschen Strafrechts und die neueren deutschen Gesetzgebungen darboten, zur freiesten Benutzung heran, und gewährte endlich dem Rheinischen Recht in seiner logischen Durch- bildung und seinen formellen Vorzügen, bei der Fassung der letzten Ent- würfe den ihm gebührenden Einfluß. So ist es geschehen, daß ein Werk hergestellt werden konnte, welches sich einer seltenen Zustimmung erfreut, während die unweise Vernachlässigung des einen oder des an- deren jener hervorgehobenen Momente den entgegengesetzten Erfolg her- beigeführt haben würde. Freilich durften jene verschiedenen Elemente nicht unvermittelt neben einander ruhen; die Arbeit mußte, um ein Gan- zes zu werden, einen bestimmten Charakter gewinnen, und daß sie die- sen erlangt hat und in konsequenter Durchführung bestimmter leitender Ideen wie aus Einem Gusse erscheint, sichert ihr hauptsächlich ihren Werth und versöhnt selbst mit manchen Einzelnheiten, die wohl jeder -- mit mehr oder weniger Recht -- daran auszusetzen finden wird.
Was nun zunächst das System betrifft, welches sich in der An- ordnung und Vertheilung des Stoffes erkennen läßt, so ist dasselbe als
Beseler Kommentar. 2
§. V. Syſtem und Charakter des Strafgeſetzbuchs.
ſchon dann zu einem gewiſſen Abſchluß gelangen, wenn die wichtigſten Momente bezeichnet werden, welche bei der Ausführung des Werkes vorzugsweiſe maaßgebend ſein mußten, und wenn ſich dann nachweiſen läßt, daß die Geſetzgebung auf ſie die gebührende Rückſicht genommen hat. — Wirft man von dieſem Standpunkte aus einen Blick auf das Reviſionswerk, ſo ergiebt ſich zunächſt, daß es der Geſetzgebung im All- gemeinen oblag, das beſtehende Recht, wie es in ſeiner verſchiedenartigen Entfaltung in Preußen zur Anwendung kam, als den gegebenen Stoff zu verwenden, aus dem der neue Bau zu errichten war. Es mußten aber dabei die Fortſchritte der Geſetzgebung und der Wiſſenſchaft, wie ſie in Deutſchland und bei verwandten Völkern zu erkennen waren, ſtets in ihrer vollen Bedeutung gewürdigt und zur Veredlung des eigenen Rechts benutzt werden. Das ganze Werk endlich durfte von dem be- ſtimmten Staate Preußen und von ſeinen beſonderen Bedürfniſſen und Anforderungen nicht losgebunden gedacht, ſondern mußte in klarer An- ſchauung der Verhältniſſe auf dieſen Punkt gerichtet werden. Das Preußiſche Heerweſen z. B. verlangte die ſorgfältigſte Berückſichtigung.
In der That zeigt nun der Gang, welchen die Reviſion des Straf- rechts genommen hat, daß die angegebenen Momente dabei in gebühren- der Weiſe zur Geltung gekommen ſind. Das Allgemeine Landrecht bil- dete den Ausgangspunkt für die Geſetzgebung, deren Aufgabe zunächſt an deſſen Inhalt geprüft ward; man zog aber auch die Ergebniſſe, welche die Wiſſenſchaft des gemeinen deutſchen Strafrechts und die neueren deutſchen Geſetzgebungen darboten, zur freieſten Benutzung heran, und gewährte endlich dem Rheiniſchen Recht in ſeiner logiſchen Durch- bildung und ſeinen formellen Vorzügen, bei der Faſſung der letzten Ent- würfe den ihm gebührenden Einfluß. So iſt es geſchehen, daß ein Werk hergeſtellt werden konnte, welches ſich einer ſeltenen Zuſtimmung erfreut, während die unweiſe Vernachläſſigung des einen oder des an- deren jener hervorgehobenen Momente den entgegengeſetzten Erfolg her- beigeführt haben würde. Freilich durften jene verſchiedenen Elemente nicht unvermittelt neben einander ruhen; die Arbeit mußte, um ein Gan- zes zu werden, einen beſtimmten Charakter gewinnen, und daß ſie die- ſen erlangt hat und in konſequenter Durchführung beſtimmter leitender Ideen wie aus Einem Guſſe erſcheint, ſichert ihr hauptſächlich ihren Werth und verſöhnt ſelbſt mit manchen Einzelnheiten, die wohl jeder — mit mehr oder weniger Recht — daran auszuſetzen finden wird.
Was nun zunächſt das Syſtem betrifft, welches ſich in der An- ordnung und Vertheilung des Stoffes erkennen läßt, ſo iſt daſſelbe als
Beſeler Kommentar. 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0027"n="17"/><fwplace="top"type="header">§. V. Syſtem und Charakter des Strafgeſetzbuchs.</fw><lb/>ſchon dann zu einem gewiſſen Abſchluß gelangen, wenn die wichtigſten<lb/>
Momente bezeichnet werden, welche bei der Ausführung des Werkes<lb/>
vorzugsweiſe maaßgebend ſein mußten, und wenn ſich dann nachweiſen<lb/>
läßt, daß die Geſetzgebung auf ſie die gebührende Rückſicht genommen<lb/>
hat. — Wirft man von dieſem Standpunkte aus einen Blick auf das<lb/>
Reviſionswerk, ſo ergiebt ſich zunächſt, daß es der Geſetzgebung im All-<lb/>
gemeinen oblag, das beſtehende Recht, wie es in ſeiner verſchiedenartigen<lb/>
Entfaltung in Preußen zur Anwendung kam, als den gegebenen Stoff<lb/>
zu verwenden, aus dem der neue Bau zu errichten war. Es mußten<lb/>
aber dabei die Fortſchritte der Geſetzgebung und der Wiſſenſchaft, wie<lb/>ſie in Deutſchland und bei verwandten Völkern zu erkennen waren, ſtets<lb/>
in ihrer vollen Bedeutung gewürdigt und zur Veredlung des eigenen<lb/>
Rechts benutzt werden. Das ganze Werk endlich durfte von dem be-<lb/>ſtimmten Staate Preußen und von ſeinen beſonderen Bedürfniſſen und<lb/>
Anforderungen nicht losgebunden gedacht, ſondern mußte in klarer An-<lb/>ſchauung der Verhältniſſe auf dieſen Punkt gerichtet werden. Das<lb/>
Preußiſche Heerweſen z. B. verlangte die ſorgfältigſte Berückſichtigung.</p><lb/><p>In der That zeigt nun der Gang, welchen die Reviſion des Straf-<lb/>
rechts genommen hat, daß die angegebenen Momente dabei in gebühren-<lb/>
der Weiſe zur Geltung gekommen ſind. Das Allgemeine Landrecht bil-<lb/>
dete den Ausgangspunkt für die Geſetzgebung, deren Aufgabe zunächſt<lb/>
an deſſen Inhalt geprüft ward; man zog aber auch die Ergebniſſe,<lb/>
welche die Wiſſenſchaft des gemeinen deutſchen Strafrechts und die<lb/>
neueren deutſchen Geſetzgebungen darboten, zur freieſten Benutzung heran,<lb/>
und gewährte endlich dem Rheiniſchen Recht in ſeiner logiſchen Durch-<lb/>
bildung und ſeinen formellen Vorzügen, bei der Faſſung der letzten Ent-<lb/>
würfe den ihm gebührenden Einfluß. So iſt es geſchehen, daß ein<lb/>
Werk hergeſtellt werden konnte, welches ſich einer ſeltenen Zuſtimmung<lb/>
erfreut, während die unweiſe Vernachläſſigung des einen oder des an-<lb/>
deren jener hervorgehobenen Momente den entgegengeſetzten Erfolg her-<lb/>
beigeführt haben würde. Freilich durften jene verſchiedenen Elemente<lb/>
nicht unvermittelt neben einander ruhen; die Arbeit mußte, um ein Gan-<lb/>
zes zu werden, einen beſtimmten Charakter gewinnen, und daß ſie die-<lb/>ſen erlangt hat und in konſequenter Durchführung beſtimmter leitender<lb/>
Ideen wie aus Einem Guſſe erſcheint, ſichert ihr hauptſächlich ihren<lb/>
Werth und verſöhnt ſelbſt mit manchen Einzelnheiten, die wohl jeder —<lb/>
mit mehr oder weniger Recht — daran auszuſetzen finden wird.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Was nun zunächſt das Syſtem betrifft, welches ſich in der An-<lb/>
ordnung und Vertheilung des Stoffes erkennen läßt, ſo iſt daſſelbe als<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Beſeler</hi> Kommentar. 2</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[17/0027]
§. V. Syſtem und Charakter des Strafgeſetzbuchs.
ſchon dann zu einem gewiſſen Abſchluß gelangen, wenn die wichtigſten
Momente bezeichnet werden, welche bei der Ausführung des Werkes
vorzugsweiſe maaßgebend ſein mußten, und wenn ſich dann nachweiſen
läßt, daß die Geſetzgebung auf ſie die gebührende Rückſicht genommen
hat. — Wirft man von dieſem Standpunkte aus einen Blick auf das
Reviſionswerk, ſo ergiebt ſich zunächſt, daß es der Geſetzgebung im All-
gemeinen oblag, das beſtehende Recht, wie es in ſeiner verſchiedenartigen
Entfaltung in Preußen zur Anwendung kam, als den gegebenen Stoff
zu verwenden, aus dem der neue Bau zu errichten war. Es mußten
aber dabei die Fortſchritte der Geſetzgebung und der Wiſſenſchaft, wie
ſie in Deutſchland und bei verwandten Völkern zu erkennen waren, ſtets
in ihrer vollen Bedeutung gewürdigt und zur Veredlung des eigenen
Rechts benutzt werden. Das ganze Werk endlich durfte von dem be-
ſtimmten Staate Preußen und von ſeinen beſonderen Bedürfniſſen und
Anforderungen nicht losgebunden gedacht, ſondern mußte in klarer An-
ſchauung der Verhältniſſe auf dieſen Punkt gerichtet werden. Das
Preußiſche Heerweſen z. B. verlangte die ſorgfältigſte Berückſichtigung.
In der That zeigt nun der Gang, welchen die Reviſion des Straf-
rechts genommen hat, daß die angegebenen Momente dabei in gebühren-
der Weiſe zur Geltung gekommen ſind. Das Allgemeine Landrecht bil-
dete den Ausgangspunkt für die Geſetzgebung, deren Aufgabe zunächſt
an deſſen Inhalt geprüft ward; man zog aber auch die Ergebniſſe,
welche die Wiſſenſchaft des gemeinen deutſchen Strafrechts und die
neueren deutſchen Geſetzgebungen darboten, zur freieſten Benutzung heran,
und gewährte endlich dem Rheiniſchen Recht in ſeiner logiſchen Durch-
bildung und ſeinen formellen Vorzügen, bei der Faſſung der letzten Ent-
würfe den ihm gebührenden Einfluß. So iſt es geſchehen, daß ein
Werk hergeſtellt werden konnte, welches ſich einer ſeltenen Zuſtimmung
erfreut, während die unweiſe Vernachläſſigung des einen oder des an-
deren jener hervorgehobenen Momente den entgegengeſetzten Erfolg her-
beigeführt haben würde. Freilich durften jene verſchiedenen Elemente
nicht unvermittelt neben einander ruhen; die Arbeit mußte, um ein Gan-
zes zu werden, einen beſtimmten Charakter gewinnen, und daß ſie die-
ſen erlangt hat und in konſequenter Durchführung beſtimmter leitender
Ideen wie aus Einem Guſſe erſcheint, ſichert ihr hauptſächlich ihren
Werth und verſöhnt ſelbſt mit manchen Einzelnheiten, die wohl jeder —
mit mehr oder weniger Recht — daran auszuſetzen finden wird.
Was nun zunächſt das Syſtem betrifft, welches ſich in der An-
ordnung und Vertheilung des Stoffes erkennen läßt, ſo iſt daſſelbe als
Beſeler Kommentar. 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/27>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.