§§. 55. 56. 57. Zusammentreffen mehrerer Verbrechen oder Vergehen.
weichend von den anderen Deutschen Gesetzgebungen, hier so wenig wie in anderen Fällen darauf ausdrücklich verwiesen.
So einfach nun aber auch das Verhältniß zu sein scheint, um welches es sich hier handelt, so verschiedenartig und verwickelt stellt es sich dar, wenn man kasuistisch auf die einzelnen Fälle eingeht, welche sich durch die Kombinirung des vollendeten Verbrechens, der Versuchs- handlungen und der verschiedenen Arten der Theilnahme als möglich erweisen, und wenn man dann insbesondere die einzelnen Aeußerungen einer verbrecherischen Thätigkeit mit Rücksicht auf die Frage erwägt, ob man es dabei nur mit Einem Verbrechen oder Vergehen oder mit einer Mehrheit von strafbaren Handlungen zu thun hat. Die juristische Kunst kann sich bei der sicheren Lösung solcher schwierigen Fälle in ihrer Mei- sterschaft zeigen; sie wird, indem sie die Handlung in ihre Bestandtheile auflöst, entweder die innere Einheit derselben zur Anschauung bringen oder die selbständige Bedeutung der einzelnen verbrecherischen Aeußerun- gen darthun. Je sicherer diese Operation vor sich geht, je mehr sich die schärfste Begriffsbestimmung an die unbefangene Anschauung thatsäch- licher Beziehungen anschließt, um so häufiger wird sie zu einem Ergeb- niß führen, welches mit der Totalanschauung des unbefangenen Beob- achters übereinstimmt.
Die gemeinrechtliche Doktrin hat nun dieser juristischen Operation zu Hülfe zu kommen gesucht, indem sie bei der s. g. idealen Konkurrenz besondere Kategorien machte, und namentlich das fortgesetzte Verbrechen als eine solche unterschied. Dem sind die meisten neueren Strafgesetz- bücher gefolgt, p) und auch bei der Revision des Preußischen Strafrechts ging man Anfangs darauf ein. Der Entwurf von 1827. bestimmte:
§. 149. "Wenn mehrere auf einander folgende strafbare Hand- lungen derselben Art nur als fortschreitende Ausführung dessel- ben verbrecherischen Entschlusses, anzusehen, oder in Beziehung auf dasselbe dauernde Verhältniß begangen, oder nur als Theile und Stufen einer und derselben That zu betrachten sind, so sollen zwar alle diese Handlungen zusammen als ein fortgesetztes Verbrechen angesehen, jedoch als besonderer Schärfungsgrund bei Zumessung der Strafe (§. 137.) berücksichtigt werden."
Später beschränkte man sich darauf, statt jener, dem Hannoverschen Entwurf nachgebildeten Vorschrift nur allgemein auf das fortgesetzte Ver-
§§. 55. 56. 57. Zuſammentreffen mehrerer Verbrechen oder Vergehen.
weichend von den anderen Deutſchen Geſetzgebungen, hier ſo wenig wie in anderen Fällen darauf ausdrücklich verwieſen.
So einfach nun aber auch das Verhältniß zu ſein ſcheint, um welches es ſich hier handelt, ſo verſchiedenartig und verwickelt ſtellt es ſich dar, wenn man kaſuiſtiſch auf die einzelnen Fälle eingeht, welche ſich durch die Kombinirung des vollendeten Verbrechens, der Verſuchs- handlungen und der verſchiedenen Arten der Theilnahme als möglich erweiſen, und wenn man dann insbeſondere die einzelnen Aeußerungen einer verbrecheriſchen Thätigkeit mit Rückſicht auf die Frage erwägt, ob man es dabei nur mit Einem Verbrechen oder Vergehen oder mit einer Mehrheit von ſtrafbaren Handlungen zu thun hat. Die juriſtiſche Kunſt kann ſich bei der ſicheren Löſung ſolcher ſchwierigen Fälle in ihrer Mei- ſterſchaft zeigen; ſie wird, indem ſie die Handlung in ihre Beſtandtheile auflöſt, entweder die innere Einheit derſelben zur Anſchauung bringen oder die ſelbſtändige Bedeutung der einzelnen verbrecheriſchen Aeußerun- gen darthun. Je ſicherer dieſe Operation vor ſich geht, je mehr ſich die ſchärfſte Begriffsbeſtimmung an die unbefangene Anſchauung thatſäch- licher Beziehungen anſchließt, um ſo häufiger wird ſie zu einem Ergeb- niß führen, welches mit der Totalanſchauung des unbefangenen Beob- achters übereinſtimmt.
Die gemeinrechtliche Doktrin hat nun dieſer juriſtiſchen Operation zu Hülfe zu kommen geſucht, indem ſie bei der ſ. g. idealen Konkurrenz beſondere Kategorien machte, und namentlich das fortgeſetzte Verbrechen als eine ſolche unterſchied. Dem ſind die meiſten neueren Strafgeſetz- bücher gefolgt, p) und auch bei der Reviſion des Preußiſchen Strafrechts ging man Anfangs darauf ein. Der Entwurf von 1827. beſtimmte:
§. 149. „Wenn mehrere auf einander folgende ſtrafbare Hand- lungen derſelben Art nur als fortſchreitende Ausführung deſſel- ben verbrecheriſchen Entſchluſſes, anzuſehen, oder in Beziehung auf daſſelbe dauernde Verhältniß begangen, oder nur als Theile und Stufen einer und derſelben That zu betrachten ſind, ſo ſollen zwar alle dieſe Handlungen zuſammen als ein fortgeſetztes Verbrechen angeſehen, jedoch als beſonderer Schärfungsgrund bei Zumeſſung der Strafe (§. 137.) berückſichtigt werden.“
Später beſchränkte man ſich darauf, ſtatt jener, dem Hannoverſchen Entwurf nachgebildeten Vorſchrift nur allgemein auf das fortgeſetzte Ver-
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§§. 55. 56. 57. Zuſammentreffen mehrerer Verbrechen oder Vergehen.
weichend von den anderen Deutſchen Geſetzgebungen, hier ſo wenig wie
in anderen Fällen darauf ausdrücklich verwieſen.
So einfach nun aber auch das Verhältniß zu ſein ſcheint, um
welches es ſich hier handelt, ſo verſchiedenartig und verwickelt ſtellt es
ſich dar, wenn man kaſuiſtiſch auf die einzelnen Fälle eingeht, welche
ſich durch die Kombinirung des vollendeten Verbrechens, der Verſuchs-
handlungen und der verſchiedenen Arten der Theilnahme als möglich
erweiſen, und wenn man dann insbeſondere die einzelnen Aeußerungen
einer verbrecheriſchen Thätigkeit mit Rückſicht auf die Frage erwägt, ob
man es dabei nur mit Einem Verbrechen oder Vergehen oder mit einer
Mehrheit von ſtrafbaren Handlungen zu thun hat. Die juriſtiſche Kunſt
kann ſich bei der ſicheren Löſung ſolcher ſchwierigen Fälle in ihrer Mei-
ſterſchaft zeigen; ſie wird, indem ſie die Handlung in ihre Beſtandtheile
auflöſt, entweder die innere Einheit derſelben zur Anſchauung bringen
oder die ſelbſtändige Bedeutung der einzelnen verbrecheriſchen Aeußerun-
gen darthun. Je ſicherer dieſe Operation vor ſich geht, je mehr ſich die
ſchärfſte Begriffsbeſtimmung an die unbefangene Anſchauung thatſäch-
licher Beziehungen anſchließt, um ſo häufiger wird ſie zu einem Ergeb-
niß führen, welches mit der Totalanſchauung des unbefangenen Beob-
achters übereinſtimmt.
Die gemeinrechtliche Doktrin hat nun dieſer juriſtiſchen Operation
zu Hülfe zu kommen geſucht, indem ſie bei der ſ. g. idealen Konkurrenz
beſondere Kategorien machte, und namentlich das fortgeſetzte Verbrechen
als eine ſolche unterſchied. Dem ſind die meiſten neueren Strafgeſetz-
bücher gefolgt, p) und auch bei der Reviſion des Preußiſchen Strafrechts
ging man Anfangs darauf ein. Der Entwurf von 1827. beſtimmte:
§. 149. „Wenn mehrere auf einander folgende ſtrafbare Hand-
lungen derſelben Art nur als fortſchreitende Ausführung deſſel-
ben verbrecheriſchen Entſchluſſes, anzuſehen, oder in Beziehung
auf daſſelbe dauernde Verhältniß begangen, oder nur als Theile
und Stufen einer und derſelben That zu betrachten ſind, ſo ſollen
zwar alle dieſe Handlungen zuſammen als ein fortgeſetztes
Verbrechen angeſehen, jedoch als beſonderer Schärfungsgrund bei
Zumeſſung der Strafe (§. 137.) berückſichtigt werden.“
Später beſchränkte man ſich darauf, ſtatt jener, dem Hannoverſchen
Entwurf nachgebildeten Vorſchrift nur allgemein auf das fortgeſetzte Ver-
p) Hannov. Criminalgeſetzbuch Art. 106. — Braunſchw. Criminal-
geſetzb. §. 56. — Heſſ. Strafgeſetzb. Art. 111. 112. — Bad. Strafgeſetzb.
§. 180. 181. — Thüring. Strafgeſetzb. Art. 51.
Beſeler Kommentar. 14
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/219>, abgerufen am 24.11.2024.
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