Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.Th. I. Bestrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. I. Von d. Strafen. So faßte auch das Mittelalter die Sache auf, nur daß hier der Das Allgemeine Landrecht ist ein Ausdruck dieser Entwicklung der n) B. D. v. 22. Febr. 1813. (G.-S. 1813. S. 22.). In Erwägung, daß
die herzerhebende allgemeine Aeußerung treuer Vaterlandsliebe ein äußeres Kennzeichen derselben für alle Staatsbürger fordert, verordnen Wir, daß: 1) auch außer dem Kriegsdienste von allen Männern, die das zwanzigste Jahr zurückgelegt haben, die Preußische National-Kokarde von bekannter Farbe, schwarz und weiß, am Hute ge- tragen werden soll, wenn diese Ehre von ihnen nicht verwirkt ist; 2) die Kokarde wird getragen von allen, welche in Unserm Staate geboren sind, oder die Rechte Un- serer Unterthanen durch Ansiedlung oder Eintritt in Unsern Dienst erlangt haben; 3) das Recht, die Kokarde zu tragen, wird verwirkt durch Feigheit vor dem Feinde, durch die Bestimmung des heutigen Gesetzes über das Ausweichen des Kriegsdienstes und durch Festungs- oder Zuchthausarrest mit Strafarbeit verbunden. Das stets an- wesende Sinnbild von dem Panier des Vaterlandes muß Jeder, der es in der Ko- karde trägt, mit der Erinnerung an seine heiligsten Pflichten, doppelt erfüllen. Th. I. Beſtrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. I. Von d. Strafen. So faßte auch das Mittelalter die Sache auf, nur daß hier der Das Allgemeine Landrecht iſt ein Ausdruck dieſer Entwicklung der n) B. D. v. 22. Febr. 1813. (G.-S. 1813. S. 22.). In Erwägung, daß
die herzerhebende allgemeine Aeußerung treuer Vaterlandsliebe ein äußeres Kennzeichen derſelben für alle Staatsbürger fordert, verordnen Wir, daß: 1) auch außer dem Kriegsdienſte von allen Männern, die das zwanzigſte Jahr zurückgelegt haben, die Preußiſche National-Kokarde von bekannter Farbe, ſchwarz und weiß, am Hute ge- tragen werden ſoll, wenn dieſe Ehre von ihnen nicht verwirkt iſt; 2) die Kokarde wird getragen von allen, welche in Unſerm Staate geboren ſind, oder die Rechte Un- ſerer Unterthanen durch Anſiedlung oder Eintritt in Unſern Dienſt erlangt haben; 3) das Recht, die Kokarde zu tragen, wird verwirkt durch Feigheit vor dem Feinde, durch die Beſtimmung des heutigen Geſetzes über das Ausweichen des Kriegsdienſtes und durch Feſtungs- oder Zuchthausarreſt mit Strafarbeit verbunden. Das ſtets an- weſende Sinnbild von dem Panier des Vaterlandes muß Jeder, der es in der Ko- karde trägt, mit der Erinnerung an ſeine heiligſten Pflichten, doppelt erfüllen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0114" n="104"/> <fw place="top" type="header">Th. I. Beſtrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. I. Von d. Strafen.</fw><lb/> <p>So faßte auch das Mittelalter die Sache auf, nur daß hier der<lb/> Einfluß der Korporationen und Stände größtentheils die Aufgabe des<lb/> modernen Staates erfüllte. Die <hi rendition="#g">Friedloſigkeit</hi> hob jede Rechtsfä-<lb/> higkeit auf, ſtellte den Geächteten außer dem Geſetz. Die <hi rendition="#g">Rechtloſig-<lb/> keit</hi> war der Verluſt der Freiheitsrechte, die <hi rendition="#g">Ehrloſigkeit</hi> der Verluſt<lb/> der Ehre als Inbegriff der beſonderen Standesrechte gedacht. Dieſe<lb/> gaben im ſpäteren Mittelalter dem öffentlichen Rechtsleben faſt ſeinen<lb/> ganzen Inhalt, traten aber allmählich vor der Entwicklung des moder-<lb/> nen Staatsbürgerthums zurück. Dadurch ward der Begriff der Ehr-<lb/> loſigkeit unſicher und ſchwankend, und als nun noch die römiſche In-<lb/> famie — in der ſpäteren Kaiſerzeit faſt ohne Bedeutung — von den<lb/> Juriſten hineingezogen wurde, wußte man der ganzen Lehre kaum ein<lb/> praktiſches Intereſſe abzugewinnen.</p><lb/> <p>Das Allgemeine Landrecht iſt ein Ausdruck dieſer Entwicklung der<lb/> gemeinrechtlichen Doktrin; die wenigen Beſtimmungen, welche es über<lb/> Ehrloſigkeit, Verluſt der Ehre enthält, ſtehen vereinzelt und ohne daß<lb/> ſich die rechtlichen Wirkungen mit Sicherheit beſtimmen ließen. Aber<lb/> das Bedürfniß der Reform machte ſich geltend, und es iſt intereſſant,<lb/> daß es gerade in der Zeit des patriotiſchen Aufſchwungs im Jahre 13.<lb/> und vom Standpunkte der ſittlichen Würdigung des Staatsbürgerrechts<lb/> aus geſchah. <note place="foot" n="n)">B. D. v. 22. <hi rendition="#g">Febr</hi>. 1813. (G.-S. 1813. S. 22.). In Erwägung, daß<lb/> die herzerhebende allgemeine Aeußerung treuer Vaterlandsliebe ein äußeres Kennzeichen<lb/> derſelben für alle Staatsbürger fordert, verordnen Wir, daß: 1) auch außer dem<lb/> Kriegsdienſte von allen Männern, die das zwanzigſte Jahr zurückgelegt haben, die<lb/> Preußiſche National-Kokarde von bekannter Farbe, ſchwarz und weiß, am Hute ge-<lb/> tragen werden ſoll, wenn dieſe Ehre von ihnen nicht verwirkt iſt; 2) die Kokarde<lb/> wird getragen von allen, welche in Unſerm Staate geboren ſind, oder die Rechte Un-<lb/> ſerer Unterthanen durch Anſiedlung oder Eintritt in Unſern Dienſt erlangt haben;<lb/> 3) das Recht, die Kokarde zu tragen, wird verwirkt durch Feigheit vor dem Feinde,<lb/> durch die Beſtimmung des heutigen Geſetzes über das Ausweichen des Kriegsdienſtes<lb/> und durch Feſtungs- oder Zuchthausarreſt mit Strafarbeit verbunden. Das ſtets an-<lb/> weſende Sinnbild von dem Panier des Vaterlandes muß Jeder, der es in der Ko-<lb/> karde trägt, mit der Erinnerung an ſeine heiligſten Pflichten, doppelt erfüllen.</note> Das Recht, die National-Kokarde zu tragen, ſollte nach<lb/> der Verordnung vom 22. Febr. 1813. verwirkt werden durch Feigheit<lb/> vor dem Feinde, durch Ausweichen des Kriegsdienſtes und durch <hi rendition="#g">Fe-<lb/> ſtungs- oder Zuchthausarreſt mit Strafarbeit</hi>. Aber die Eh-<lb/> renſtrafe als Folge dieſer Strafarten auszuſprechen, war deswegen im<lb/> hohen Grade bedenklich, weil dieſelben nach dem Allgemeinen Landrecht<lb/> nicht bloß auf ſchwere, entehrende Verbrechen geſetzt waren, ſondern<lb/> auch wegen geringerer Verſchuldung, ja wegen bloßer Fahrläſſigkeit ein-<lb/> treten konnten, und in ihrer Anwendung zum Theil von dem Stande<lb/> des Verbrechers abhingen. Die Verordnung vom 22. Febr. erfuhr da-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [104/0114]
Th. I. Beſtrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. I. Von d. Strafen.
So faßte auch das Mittelalter die Sache auf, nur daß hier der
Einfluß der Korporationen und Stände größtentheils die Aufgabe des
modernen Staates erfüllte. Die Friedloſigkeit hob jede Rechtsfä-
higkeit auf, ſtellte den Geächteten außer dem Geſetz. Die Rechtloſig-
keit war der Verluſt der Freiheitsrechte, die Ehrloſigkeit der Verluſt
der Ehre als Inbegriff der beſonderen Standesrechte gedacht. Dieſe
gaben im ſpäteren Mittelalter dem öffentlichen Rechtsleben faſt ſeinen
ganzen Inhalt, traten aber allmählich vor der Entwicklung des moder-
nen Staatsbürgerthums zurück. Dadurch ward der Begriff der Ehr-
loſigkeit unſicher und ſchwankend, und als nun noch die römiſche In-
famie — in der ſpäteren Kaiſerzeit faſt ohne Bedeutung — von den
Juriſten hineingezogen wurde, wußte man der ganzen Lehre kaum ein
praktiſches Intereſſe abzugewinnen.
Das Allgemeine Landrecht iſt ein Ausdruck dieſer Entwicklung der
gemeinrechtlichen Doktrin; die wenigen Beſtimmungen, welche es über
Ehrloſigkeit, Verluſt der Ehre enthält, ſtehen vereinzelt und ohne daß
ſich die rechtlichen Wirkungen mit Sicherheit beſtimmen ließen. Aber
das Bedürfniß der Reform machte ſich geltend, und es iſt intereſſant,
daß es gerade in der Zeit des patriotiſchen Aufſchwungs im Jahre 13.
und vom Standpunkte der ſittlichen Würdigung des Staatsbürgerrechts
aus geſchah. n) Das Recht, die National-Kokarde zu tragen, ſollte nach
der Verordnung vom 22. Febr. 1813. verwirkt werden durch Feigheit
vor dem Feinde, durch Ausweichen des Kriegsdienſtes und durch Fe-
ſtungs- oder Zuchthausarreſt mit Strafarbeit. Aber die Eh-
renſtrafe als Folge dieſer Strafarten auszuſprechen, war deswegen im
hohen Grade bedenklich, weil dieſelben nach dem Allgemeinen Landrecht
nicht bloß auf ſchwere, entehrende Verbrechen geſetzt waren, ſondern
auch wegen geringerer Verſchuldung, ja wegen bloßer Fahrläſſigkeit ein-
treten konnten, und in ihrer Anwendung zum Theil von dem Stande
des Verbrechers abhingen. Die Verordnung vom 22. Febr. erfuhr da-
n) B. D. v. 22. Febr. 1813. (G.-S. 1813. S. 22.). In Erwägung, daß
die herzerhebende allgemeine Aeußerung treuer Vaterlandsliebe ein äußeres Kennzeichen
derſelben für alle Staatsbürger fordert, verordnen Wir, daß: 1) auch außer dem
Kriegsdienſte von allen Männern, die das zwanzigſte Jahr zurückgelegt haben, die
Preußiſche National-Kokarde von bekannter Farbe, ſchwarz und weiß, am Hute ge-
tragen werden ſoll, wenn dieſe Ehre von ihnen nicht verwirkt iſt; 2) die Kokarde
wird getragen von allen, welche in Unſerm Staate geboren ſind, oder die Rechte Un-
ſerer Unterthanen durch Anſiedlung oder Eintritt in Unſern Dienſt erlangt haben;
3) das Recht, die Kokarde zu tragen, wird verwirkt durch Feigheit vor dem Feinde,
durch die Beſtimmung des heutigen Geſetzes über das Ausweichen des Kriegsdienſtes
und durch Feſtungs- oder Zuchthausarreſt mit Strafarbeit verbunden. Das ſtets an-
weſende Sinnbild von dem Panier des Vaterlandes muß Jeder, der es in der Ko-
karde trägt, mit der Erinnerung an ſeine heiligſten Pflichten, doppelt erfüllen.
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